Best in Cloud 2014

"Ein gutes User Interface ist möglichst wenig User Interface"

01.10.2014
Von Florian Kurzmaier
Für Professor Wolfgang Henseler ist die größte Gefahr für das Individuum im Netz, dass „es nicht versteht, dass Daten das neue Öl und Informationen das Benzin der Zukunft sind. “Was er damit meint und wie für den Design-Experten ein gutes Nutzer-Interface aussieht, hat Henseler uns im CW-Gespräch verraten.

Wolfgang Henseler ist Experte für User Interface Design, Gründer und Managing Creative Director von Sensory Minds und Professor für Digitale Medien an der Hochschule Pforzheim. Im COMPUTERWOCHE-Interview stellt er sich unseren Fragen zur gutem Design, dem "War of Talents" und seinem Vortrag auf der COMPUTERWOCHE-Veranstaltung Best in Cloud - mit erhellenden und überraschenden Antworten.

Wolfgang Henseler
Wolfgang Henseler

Herr Henseler, ein Jahr nach Snowden bezweifeln viele User die Sicherheit von Cloud-Diensten. Welchen Diensten schenken Sie privat und bei Sensory-Minds Ihr Vertrauen?

Wolfgang Henseler: Eigentlich keinem und trotzdem allen, denen ich meine vertraulichen Informationen, wie z.B. Kreditkarten-Details oder Passwörter anvertraut habe.

Wie erklären Sie es sich, dass angesichts der ausgesprochen ausgefeilten Spionageprogramme noch immer kein Run auf verschlüsselte Kommunikationsdienste oder Services wie das erst kürzlich mit dem deutschen Startup-Preis ausgezeichnete Boxcryptor eingesetzt hat? Zu wenig Aufklärung seitens der Medien, Faulheit der User oder zu komplexe Systeme?

Wolfgang Henseler: Ich glaube es sind eher die Phänomene bzw. Vorboten des anstehenden Gesellschaftswandels - von der modernen Gesellschaft hin zur Computergesellschaft. Sicherlich spielen alle von Ihnen aufgeführten Aspekte hierbei eine Rolle, wir bewegen uns aber sukzessive hin zu einer transparenten Gesellschaft und je eher wir diesen Status erreichen, umso eher werden die sicherheitsrelevanten Bedenken und Befürchtungen, die durchaus gerechtfertigt sind, schwinden. Schon heute kann ich sehen, wer mein iPhone geklaut hat, kann es remote deaktivieren, so dass durch diese neue Form der Transparenz der Diebstahl meines iPhones dem Dieb keinen Spaß mehr macht. Allerdings reden wir hier von Dekaden des Übergangs. Auf dem Weg dahin werden ausgefeiltere Methoden wie biometrische Identifizierung und intelligentere Verschlüsselungen einhergehen mit der Bereitschaft der zunehmenden Datenemission.

Schon jetzt sind kostenlose Dienste wie Facebook oder iCloud nicht mehr wirklich kostenlos. Vielmehr bezahlen Nutzer damit, dass ihre Bewegungen im Netz, ihre Klicks, ihre Social-Media-Posts zum Zwecke der gezielten Werbung getrackt und ausgewertet werden. Wo sehen Sie die größere Gefahr für das Individuum im Netz?

Wolfgang Henseler: Dass es nicht versteht, dass Daten das neue Öl und Informationen das Benzin der Zukunft sind. Das bedeutet, momentan verdienen die großen Konzerne wie Google, Facebook etc. daran, aber noch nicht der Nutzer. In Zukunft wird hier durch Aufklärung ein Bewusstseinswandel stattfinden, und dann sind Daten auch für den Konsumenten bares Geld, welches er und nicht ausschließlich die Konzerne, einsetzen kann, um entsprechende Vorteile zu generieren.

Cloud Computing gehört zu den wichtigsten Triebfedern für IT-Innovationen. Das Tempo der Branche ist enorm. Haben Sie den Eindruck, dass die Anwender hier mithalten können? Und müssen sie das überhaupt?

Wolfgang Henseler: Ich denke nein und ja. Für Anwender muss das System einfach funktionieren, für Entwickler hingegen bedeutet dies die neue Komplexität zu meistern und in Simplexität für den Anwender zu transformieren. Anders ausgedrückt: Warum soll ich mich darum kümmern, wo mein Gehirn meine Daten als neuronale Verknüpfungen ablegt oder wie mein Motor im Auto funktioniert.

Die Politik bemüht sich derzeit, dem Tempo der digitalen Entwicklungen standzuhalten. Vor einigen Wochen kam die "digitale Agenda" heraus, die gleich überall verrissen wurde. Soeben hat nun die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Johanna Wanka, die neue "Hightech-Strategie" der Bundesregierung vorgestellt. Haben Sie den Eindruck, dass die Politik wirklich verstanden hat, was die digitale Revolution für die deutsche Volkswirtschaft bedeutet?

Wolfgang Henseler: Nein, ich denke nicht. Das Problem besteht im Denken und zwar im Denken in den Dimensionen des Digitalen. Albert Einstein hat dies sehr schön auf den Punkt gebracht, indem er sagte: "The problems we are facing can´t be solved by the same thinking that created them." Und das drückt meines Erachtens genau dieses Dilemma, das wir hier haben, aus. Da wird einfach noch falsch bzw. tradiert gedacht.

Was macht aus Ihrer Sicht ein gelungenes User-Interface aus? Welches ist das beste User-Interface, das Sie bisher gesehen und benutzt haben?

Wolfgang Henseler: Ein gutes User Interface ist möglichst wenig User Interface. Es ist ein reiner, intuitiv zu benutzender Dienst, der situativ relevante Informationen bereitstellt, sich kooperativ verhält und einem Nutzer bei der Erfüllung seiner Aufgabe kontext-sensitiv unterstützt. Google Material stellt hierfür ganz gute Ansätze bereit, ist aber leider auch nicht konsequent genug durchdacht. Ich denke hier ist noch viel Aufklärungsarbeit vonnöten. Besonders der Paradigmenwechsel von grafischen zu natürlichen Benutzungsoberflächen (von GUI zu NUI) stellt die Designer und Entwickler vor die Aufgabe anders denken zu müssen. Man gestaltet nicht mehr Aussehen, sondern Verhalten.

Apples Design-Chef Sir Jonathan Ive gibt bei der Frage nach seinen Vorbildern gerne Dieter Rams an. Haben Sie ebenfalls ein Vorbild oder bestimmte Leitlinien, an denen Sie sich bei Ihren Arbeiten orientieren?

Wolfgang Henseler: Vorbilder, nein. Ich sehe mich da eher in der Tradition von Dieter Rams, allerdings im digitalen Denken. Das heißt ich orientiere mich an Kriterien für gutes Design und was dieses für die Nutzer, Gesellschaft und Wirtschaft leisten sollte. Ich orientiere mich an den Menschen und an deren Bedürfnissen, physiologischen Fähigkeiten, mentalen Modellen etc. und leite daraus meine Gestaltungsgrundsätze, wie beispielsweise die 10 Designprinzipien für Natural User Interface Design, ab.

Eine Frage, die sich nicht an den Design-Experten Henseler richtet, sondern an den Hochschullehrer: Unser Best-in-Cloud-Juror Professor Stefan Tai beklagt im COMPUTERWOCHE-Interview die mangelhafte Forschungsförderung in Deutschland. Junge, kreative Köpfe zieht es eher ins Silicon Valley als zu deutschen High-Tech-Konzernen wie Telekom oder Siemens. Wie nehmen Sie die Situation wahr?

Wolfgang Henseler: Das stimmt. Dies liegt meines Erachtens allerdings nicht an den vorhandenen Fördertöpfen, sondern primär daran, dass der Weg zu den Fördertöpfen so steinig und verbaut ist, dass es aus Deutschland heraus einfacher ist eine Förderung in den USA zu bekommen, als eine in Deutschland. Zudem gibt es natürlich das Problem, dass die genannten Unternehmen nicht den Nimbus des Kreativen repräsentieren, während Apple, Google oder Facebook wirklich cool sind.

Zur COMPUTERWOCHE-Veranstaltung Best in Cloud werden Sie eine Keynote beisteuern, auf wir uns schon sehr freuen. Das Thema: die sozialen und ökonomischen Folgen der massiven Veränderungen des Internets hin zu Cloud-Computing, Big Data, Industrie 4.0 oder dem "Internet of Things". Wo liegen für Sie die großen Herausforderungen an unsere Gesellschaft?

Wolfgang Henseler: Eine der größten Herausforderungen ist der bereits angesprochene Wandel im Denken. Also weg vom Faktenwissen hin zu methodischem Denken, oder anders ausgedrückt: vom Mitarbeiter zum Mitdenker. Wir dürfen unsere wichtigsten Wirtschaftsressourcen wie das Innovations- und Kreativitätsdenken nicht wie es derzeit passiert an das Silicon Valley verlieren, sondern müssen diese Kompetenz gezielt aufbauen und nutzen.

Aus dem Titel Ihre Vortrages, "Schöne smarte Welt", lese ich eine Anspielung auf Aldous Huxleys "Brave New World" heraus. Bewegen wir uns mit unserer mittlerweile sehr datenfixierten Wirtschaft - kombiniert mit ebenfalls ausgesprochen neugierigen Nachrichtendiensten - in Richtung einer Dystopie?

Wolfgang Henseler: Nein, nein, das denke ich nicht, eher das Gegenteil ist der Fall. Daten geben uns seit jeher Wissen und wir sind auf Daten angewiesen um zu überleben. Wir bewegen uns mit diesen neuen Phänomenen hin auf eine neue wesentlich bessere Gesellschaft. Das Problem sind immer die Übergänge von einer Form in die andere Form, weil diese mit Veränderungen, neuen Orientierungsmodellen etc. einhergehen, was uns Menschen immer ein Unbehagen bereitet. Wir haben hier aber die Möglichkeit als Mensch erstmals in einem Maße mitbestimmen und mitgestalten zu können, welches wir zuvor nie hatten. Es liegt also ans uns diese neue Gesellschaft aktiv zu formen und zu gestalten.

Was können wir als "einfache" Endverbraucher tun? Das iPhone in die Isar zu schmeißen und in die digitale Eremitage zu verschwinden dürfte wohl kaum eine Lösung sein. Und wie sieht es mit Unternehmen aus?

Wolfgang Henseler: Eher das Gegenteil. Wenn wir es verstehen uns über diese neuen Geräte (Smartphone, Smartwatch etc.) im demokratischen Sinne zu organisieren und entsprechende Strukturen hierfür entwickeln, dann gelangen wir in eine neue Dimension des Miteinanders, sowohl auf individueller und sozialer Ebene als auch auf Corporate Level.

Herr Henseler, vielen Dank für das Gespräch, wir freuen uns auf Ihren Vortrag bei Best in Cloud!

Wolfgang Henseler: Sehr gerne, es wird mir ein Vergnügen ;-)

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Es ist wieder soweit! Zum vierten Mal sucht die COMPUTERWOCHE-Redaktion die besten Cloud-Projekte in den Kategorien Software as a Service, Platform as a Service, Infrastructure as a Service und Cloud Enabling Infrastructure.