Software-Entwicklungstrends/Die Dresdner Bank gewinnt Sympathien für Java

Ein erster Versuch ermutigt zu weiteren Entwicklungen

17.07.1998

Ausweitung des Geschäfts über die beiden Heimatmärkte Deutschland und Großbritannien hinaus ist eine der Vorgaben für die Sparte Global Equities von Dresdner Kleinwort Benson. "Wertpapierleihe" und "Repurchase Agreement" (Repos; siehe Kasten "Wertpapiere") werden erst seit kurzem in größerem Umfang genutzt, Tendenz steigend. Die Nutzbarkeit dieses Segments reicht von der Liquiditätssteuerung über die Anlagenertragsoptimierung bis zur Absicherung komplexer Derivategeschäfte.

Aus der zunehmenden Bedeutung dieses Geschäfts ergab sich für die DV-Verantwortlichen die Aufgabe, ein neues, handelsunterstützendes System für die Händler in diesem Marktsegment zu entwickeln. Es entstand Drelis, das mit Java geschriebene "Dresdner Bank Equity Lending Intranet System". Nach nur acht Monaten für Konzeption und Entwicklung wurde Drelis im März 1998 zunächst in Frankfurt eingeführt. Derzeit läuft der Roll-out in London, New York und Tokio. Jetzt arbeiten die Händler mit einem Web-Browser und haben Zugang zum Intranet der Dresdner Bank. Installationen entfallen, denn die benötigten Funktionalitäten lädt der Rechner des Anwenders ad hoc vom Web-Server. Diese bezogenen Java-Klassen entsprechen in der Terminologie herkömmlicher Lösungen den Programmen.

Die für die Darstellung der grafischen Benutzeroberfläche zuständigen Objekte bauen die Masken auf, andere stellen die Verbindung mit einem "JConnect-Server" von Sybase her, der wiederum mit der Datenbank kommuniziert.

"Das System unterstützt die Eingabe und Verwaltung der Geschäfte, die Disposition der Wertpapier- und Geldpositionen beziehungsweise Sicherheiten, die Überwachung von Kreditrisiken, die Berechnung von Entgelten und vieles mehr", erläutert Anette Reichel, Leiterin des Drelis-Projekts. Über einen "Reuters Data Feed" erhalten die Anwender in Echtzeit alle relevanten Marktdaten. Außerdem hat Drelis spezifische Schnittstellen mit externen und Back-Office-Systemen an den Lokationen.

Von der Geschäftseingabe über die Disposition bis zum Reporting bewegt sich der Anwender in einer automatisierten Umgebung. Eine "To Do List" gewährleistet die Bearbeitung von Geschäftsvorgängen gemäß der definierten Ablauforganisation und die Vollständigkeit der Eingaben.

Dabei ist die Geschäftseingabemaske eng mit den Dispositionsfunktionen verknüpft. Bereits während einer Eingabe erfolgt eine Warnung an andere Händler, die in dem von dem Geschäft betroffenen Zeitraum disponieren. Das ist besonders wichtig, denn die Händler greifen auf gemeinsam genutzte Aktienbestände zu, und über eine Position darf natürlich nur einmal disponiert werden.

In der Entwicklung erwies sich die "Sand Box" von Java als vorteilhaft. Sie machte es möglich, prototypisch angelegte Systemkomponenten im Produktionsumfeld zu erproben, ohne Beeinflussungen bestehender Programme befürchten zu müssen. "Dadurch", so Projektleiterin Reichel, "konnten wir einen ungewöhnlichen Schritt wagen und von Anfang an in der Umgebung entwickeln, in der Drelis später genutzt werden sollte."

So früh wie möglich hatten die Händler Zugriff auf die bereits erstellten Systemmodule und konnten im Entwicklungsprozeß ihre Wünsche und Kritik einbringen. Es ergaben sich einige vorher nicht bedachte Anforderungen. Diese Entwicklungsmethode betrachtet Toralf Dittmann, Geschäftsführer des Entwicklungspartners Framesoft, als einen der größten Vorteile.

Dem System liegt eine Drei-Schichten-Architektur zugrunde. Die Informationsdarstellung und Interaktion mit dem Anwender ist in Java-Applets implementiert, die in einem Web-Browser ablaufen. Die Informationsverarbeitung und die Berechnung abgeleiteter Informationen übernehmen Java-Applikationen auf dem zentralen Server. Für die Speicherung und die Informationsabfrage sind JConnect und der SQL Server von Sybase auf demselben Server zuständig.

Corba-Middleware und Java-Datenbank-Connectivity (JDBC) machten es den Entwicklern möglich, auch Funktionen zu programmieren, die mit anderen herkömmlichen Tools hohen Aufwand erfordert hätten. Ein Beispiel ist eine Push-Funktion zwischen Server und Client: Der Server berechnet automatisch im Hintergrund die Risikozahl für eine Position und schiebt sofort das Ergebnis in die Maske der laufenden Anwendung.

Laut Projektleiterin Reichel ist nach den Drelis-Erfahrungen die Richtung für weitere Entwicklung zu erkennen: "Mit neuen technologischen Konzepten hat man es im Detail nicht immer einfach. Aber die globale IT-Strategie von Dresdner Kleinwort Benson ist eindeutig: Objektorientierung, Java in Kombination mit Sybase-Datenbanktechnologie sowie Entwicklung auf offenen Standards wie Corba und JDBC."

Angeklickt

Dresdner Kleinwort Benson, die Investmentbanking-Sparte der Dresdner Bank, hat ein vollständig auf Java beruhendes Client-Server-System für ein Segment des Aktienhandels eingeführt. Schnelle und flexible Entwicklung, niedrige Anforderungen an die Client-Rechner, Intranet-Anbindung und schrittweise Einführung in die Anwendungspraxis überzeugten. Die Urheber des Systems sehen in ihm das erste Modell für künftige Entwicklungen.

Komponenten

Server: Sun Ultra Enterprise 3000, 2 x 250 MHz, 2 x 256 MB RAM;

Betriebssystem: Sun Solaris 2.5.1;

Datenbank: SQL Server 11.0.2.2 und JConnect for JDBC von Sybase, Sybase Replication-Server 11.0.3, Intersolv Sequelink;

Web-Server: Netscape Enter- prise-Server 3.0;

Client-OS: Windows NT 4.0;

Browser: Netscape Communicator 4.05.

"Wertpapiere"

Beim Wertpapierleihegeschäft übereignet die Bank einen bestimmten Wertpapierbestand leihweise an einen Dritten und erhebt dafür eine Leihgebühr. Der Entleiher verpflichtet sich, nach Ablauf einer festgelegten Frist "Wertpapiere gleicher Art und Ausstattung" an den Verleiher zurückzuübereignen. Dabei handelt es sich normalerweise um Aktienbestände der Bank oder institutioneller Anleger, die der Bank ihr Portfolio anvertrauen.

Ein Repo (Repurchase Agreement) wird auch als "echtes Wertpapier-Pensionsgeschäft" bezeichnet. Dabei verkauft die Bank eine Position für beispielsweise 100 Millionen Mark mit der festen Zusage, "Wertpapiere gleicher Art und Ausstattung" am Tag X für 110 Millionen Mark zurückzukaufen.

Beide Instrumente werden für ähnliche Zwecke eingesetzt, buchungstechnisch jedoch unterschiedlich behandelt: Bei der Leihe werden die betreffenden Wertpapiere aus der Bilanz ausgebucht und dagegen die entsprechende Forderung eingestellt; im Repo-Geschäft bilden die Wertpapiere die Sicherheit für eine Geldeinlage.

Bei der Leihe erhält der Entleiher am Ende eines Monats eine Rechnung über die Leihgebühr, während beim Repurchase Agreement der Kontrahent, zum Beispiel ein institutioneller Anleger oder eine andere Investmentbank, den vollen vereinbarten Kaufpreis zahlt und die Transaktion zum vereinbarten Termin und zu dem vorab vereinbarten Preis rückabgewickelt wird.

Rolf Bastian ist freier Journalist in Mainz.