Microsofts neue Parole bei den Betriebssystemen: Friede, Freude, Portabilität

DOS und OS/2 sind keine Gegner - sie ergänzen sich

23.02.1990

MÜNCHEN (gs) - Microsoft hat endlich ein Einsehen. Was alle längst wußten, jetzt weiß man es offiziell auch in Redmond: OS/2 ist n i c h t der Ersatz für DOS. Eine drei Jahre währende Schizophrenie - Microsoft entwickelt mit Volldampf DOS-Produkte und predigt gleichzeitig den Umstieg von DOS auf OS/2 - scheint damit zu Ende.

"Wir betrachten DOS und OS/2 jetzt als eine Familie", eröffnete Microsofts Entwicklungschef Steve Ballmer Anfang Februar den Teilnehmern eines Entwicklerkongresses in Oakland. Er schloß sich zugleich der allgemeinen Einschätzung an, daß es gut und gern noch drei Jahre dauern könnte, ehe es mehr OS/2- als DOS-Installationen geben wird.

Auch der Hauptgrund für die bislang recht geringe Akzeptanz des neuen Betriebssystems scheint sich mittlerweile zu Microsoft durchgesprochen zu haben. "Was OS/2 behindert hat", verkündete Bill Gates dieser Tage bei einem Interview, "ist nur der Mangel an Anwendungssoftware und an Gerätetreibern." Das heißt im Klartext: Es liegt daran, daß OS/2 bis dato so gut wie unbrauchbar war (mit der Version 1.2 hat sich das geringfügig geändert).

Der Speicherbedarf von OS/2 jedenfalls sei nicht das Problem. "Wir arbeiten hart daran, ihn zu drücken und wir werden ihn weiter drücken", sagte Gates. Aber da gebe es keine magische Zahl. "Es ist nicht der Grad der Reduzierung, der zur Akzeptanz führt.'' Hinter dieser Äußerung steht, daß Microsoft sich offensichtlich außerstande sieht, das auf der Comdex im vergangenen Herbst gegebene Versprechen einzulösen, den Speicherbedarf des Betriebssystems von mindestens vier auf zwei Megabyte zu drücken, es sei denn um den Preis deutlicher Leistungsminderungen. Für Steve Ballmer und Peter Neupert, Chef der OS/2-Entwicklung bei Microsoft, war das ohnehin weniger ein Versprechen als ein Versprecher: "Eine schlampig formulierte Richtungsangabe".

Kein Wort mehr von einer Leistungsbeschränkung

Ganz ähnlich scheint es mit einem anderen im letzten Herbst gegebenen Versprechen zu sein. "Es wird ein DOS 5, 6 und 7 geben, und ein Windows 3, 4 und 5", erklärte Ballmer. Kein Wort mehr von einer Leistungsbeschränkung bei Windows zugunsten von OS/2, wie sie Lotus, Borland, Symantec und wohl auch IBM damals Microsoft abgepreßt hatten (COMPUTERWOCHE 49 vom 1. Dezember 1989, Seite 1).

Diese neue Entwicklung hatte sich bereits im Januar angedeutet, als Microsoft begann, sich massiv um einen Standard für DOS-Extender zu bemühen. Diese Brücken über die 640-KByte-Grenze von DOS in die weiten Adreßräume des Protected Mode der neueren Intel-Prozessoren will Microsoft nun zu mehrspurigen Autobahnen ausbauen. Extender nach dem derzeitigen De-facto-Standard VCPI (Virtual Control Program Interface) vertragen sich nicht mit Windows/386. An Multitasking-Umgebungen war bei ihrer Entwicklung nicht gedacht worden. Microsoft dagegen will eine Schnittstelle, die große DOS-Programme generell multitaskingtauglich macht - unter Windows, OS/2 und unter Unix.

Wenn es funktioniert, wäre dieses geplante DPMI (DOS Protected Mode Interface) ein Geniestreich. Mit einem Schlag wären einige der Probleme gelöst, die den Entwicklern in den vergangenen Jahren die heftigsten Kopfschmerzen bereiteten. Ständig für vier unterschiedliche Plattformen - DOS, OS/2, Unix, Macintosh - entwickeln zu müssen, war langsam zu einem Alptraum geworden. Wenn sich drei der Plattformen jetzt ein gutes Stück näherkämen, erleichterte es das Leben spürbar (für den vierten allerdings könnte es schwierig werden).

Allem Anschein nach sind alle Betroffenen von der Idee fasziniert, selbst die glühendsten Windows-Hasser. Noch in dieser Woche wollen sich Vertreter von Intel, Borland, Lotus, IBM, Microsoft sowie den etablierten DOS-Extender-Herstellern Phar Lap, Rational Systems und Eclipse in Santa Clara zusammensetzen und versuchen, zu einem Ergebnis kommen. J. Ben Williams, Vice-President bei Rational Systems, unterstützt den DPMI-Vorschlag, fordert allerdings, daß Microsoft seinerseits mit Windows auch das VCPI unterstützt.

OS/2 wird nicht gewinnen - aber auch nicht verlieren

Der unsinnige Kampf DOS gegen OS/2, beziehungsweise Windows gegen Presentation Manager, findet damit offenbar ein Ende. In Zukunft, erklärte Ballmer, werde es gegen Unix gehen: "Der Erfolg von OS/2 liegt heute in ,Mission-critical'-Anwendungen in Großunternehmen - nicht gegen DOS, sondern gegen Unix." Gewinnen wird OS/2 aller Voraussicht nach auch hier nicht - allerdings auch nicht verlieren. Die meisten Beobachter sind sich einig, daß künftig eine größere Vielfalt bei den Betriebssystemen herrschen wird als bisher. Eine Monokultur wie die der vergangenen Jahre wird es kaum mehr geben.

DOS war ein besonderer Fall. Es war nicht deshalb so erfolgreich, weil es so hinreißend schön gewesen wäre, meint David Carnevale von Infocorp, sondern weil es einer von drei Standards war, die sich gegenseitig stützten: DOS gab es nur für den 8088 und für beide gab es 1-2-3 als exklusive "Killerapplikation". Zu dieser Triade gab es keine Alternative Eine vergleichbare Konstellation ist nach Ansicht von Alan Hald, Chef der Computerkette Microage, heute nicht mehr möglich: "Es gibt keine OS/2-Anwendung, die es ausschließlich für OS/2 gibt. Es wird sie auch nicht geben, denn jeder Hersteller portiert seine Produkte so schnell es geht auf sämtliche profitträchtigen Umgebungen."

Microsoft könnte sich mit dem DPMI zudem aus einer unangenehmen Zwickmühle befreien. Anfangs nämlich hatte es geheißen, Windows würde, in der einen oder anderen Form, die grafische Systemoberfläche von OS/2 werden. Entwickler, die für Windows programmieren, so hatte Microsoft stets verkündet, seien in jedem Fall auf der sicheren Seite. Die Änderungen, die mit der Version 2.0 an Windows vorgenommen wurden und die es an IBMs SAA-Standard annäherten, bestärkten diese Erwartung.

Microsoft und IBM wollten unterschiedliche Dinge

Doch die Übereinstimmung mit den SAA-Vorgaben, die IBM für sein neues PC-Betriebssystem forderte, erzwang tiefergehende Änderungen. Das Problem war, daß Microsoft und IBM sehr unterschiedliche Dinge wollten. Microsoft träumte von einem DOS-Nachfolger, mit dem sich ein PC auf einem Managerschreibtisch genausogut macht wie ein Mac. IBM dagegen wollte ein "richtiges" Betriebssystem, das als Außenstelle die Leistung der Unternehmens-Mainframes auf den Schreibtisch des Sachbearbeiters bringt. SAA legt deshalb nicht nur eine bestimmte Benutzerschnittstelle fest, sondern definiert vor allem auch die Programmierschnittstelle.

OS/2 erreichte beide Ziele: Für Manager und für Sachbearbeiter mit Teletypeterminals ist es ein phantastisches System. Die große Masse der DOS-Anwender jedoch, die n u r ein neues und besseres DOS wollten, schauten in die Röhre. Und ebenso die Entwickler: Mit der SAA-Einbindung war zugleich die Kompatibilität mit Windows gestorben. Plötzlich standen sie mit ihren Windows-Produkten in einer Sackgasse.

Bis heute hat sich daran nichts Grundlegendes geändert. Noch immer ist OS/2 ein "work in progress", noch immer ist die für einen Erfolg nötige kritische Masse an Software längst nicht erreicht - und vor allem erfüllt OS/2 nach wie vor kein wirklich dringendes Bedürfnis von Otto Normaluser: Mehr Pixel auf dem Bildschirm, mehr Farben, mehr Geschwindigkeit, mehr Funktionen und mehr Intelligenz in der Software, mehr Bequemlichkeit, und vor allem mehr Speicher.

Das meiste davon läßt sich hardwaremäßig befriedigen. Das einzige echte DOS-Problem die 640-KB-Grenze, ist faktisch gelöst. Expanded Memory, Extended Memory und DOS-Expander mögen Flickwerk sein, aber sie funktionieren und sie kosten nicht viel. Wie lange sie halten, ist eine andere Frage, aber nicht selten hält Geflicktes länger als Neues. +