Deutliche Worte im Rahmen der Podiumsdiskussion

Diskussion um IBM-Ankündigung: "OS/2 ist ein Mißverständnis"

01.11.1991

MÜNCHEN (hv) - Hat OS/2 noch eine Marktchance, oder kommt Version 2. 0 zu spät? Schaukämpfe zu diesem Thema lieferten sich auf der Systems '91 ineiner Podiumsdiskussion IBM-Produkt-Manager Herbert Kahl, Microsoft-Geschäftsführer Christian Wedell, Raffael Laguna de la Vera von der OS/2 User Group und Hans Strack-Zimmermann von der Münchner Unix-Company Ixos.

"Nach einer fünfjährigen Geburt stehen wir kurz vor der Niederkunft", so der ironische Kommentar von Laguna de la Vera zum allzu langsamen Werden des PC-Betriebssystems. Erst mit Version 2. 0 stehe ein wirklich interessantes Produkt ins Haus - "was wir vorher gesehen haben, waren nette Ansätze". IBM-Manager Kahl leugnet die Schlappen bei der OS/2-Entwicklung nicht: "OS/2 in den frühen Versionen kam eindeutig zu schnell auf den Markt, die Technik war noch nicht so weit fortgeschritten, daß man das Betriebssystem wirtschaftlich einsetzen konnte - außerdem war es noch ein bißchen zu teuer. "

Das Problem, mit dem das Betriebssystem nach einer so langen Entstehungsgeschichte heute konfrontiert ist, liegt aber weniger in der technischen Akzeptanz als in der Marktpositionierung: "OS/2 wurde von der IBM-Seite her nie als das Betriebssystem für den unteren PC-Markt gesehen", so Microsoft-Chef Wedell, der den Erfolg der Windows-Oberfläche nicht zuletzt eben dieser Anwenderschicht verdankt.

Branchenkenner können sich jedoch durchaus vorstellen, daß der Windows-Boom mit dem Markteintritt der neuen OS/2Version im Frühjahr 1992 ein jähes Ende findet, zumal die angekündigte "New Technology" für 32-Bit- Architekturen von Microsoft mindestens bis Ende nächsten Jahres auf sich warten lassen wird. Pricing und Funktionalität lassen keinen Zweifel mehr daran, daß Big Blue den PC- Markt von unten her aufzurollen gedenkt.

Wichtiger ist für professionelle Anwender jedoch die Frage: Wird die neue OS/2-Version Auswirkungen auf den anhaltenden Unix-Boom haben? Für Unix entsteht keine Konkurrenz, glaubt Hans Strack-Zimmermann: "OS/2 ist ein Mißverständnis", so der Kommentar des Branchenkenners. " 1985 war es vielleicht eine gute Idee, ein neues Betriebssystem zu schreiben, das Multitasking-Eigenschaften hatte und auf den PC-Plattformen einigermaßen optimal lief. "

Nach Ewigkeiten sei dann aber eine erste Version herausgebracht worden, die in 80286-Assembler geschrieben worden sei, mit einem völlig veralteten Windows-System darauf. "Sie müssen sich heute einmal den Presentation Manager gegenüber X-Windows anschauen", ermunterte Strack-Zimmermann das Publikum. IBM und Microsoft hätten sich in ihrer gemeinsamen Entwicklungsphase wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert.

Ob die neue OS/2-Version im März nächsten Jahres noch rechtzeitig genug kommt, um einen durchschlagenden Markterfolg zu erringen, bezweifelt der Ixos-Geschäftsführer entschieden. Vor drei Jahren hätten sich Geschäftspartner aus der Frankfurter Bankenwelt bei ihm bereits nach Unix erkundigt, obwohl die Bereitschaft das Betriebssystem OS/2 einzusetzen damals klar überwogen hätte Heute habe sich die Einstellung grundsätzlich geändert: Diese Unternehmen installieren nach Angaben Strack-Zimmermanns große Unix-Systeme, die im Umfeld von MVS und Windows eingesetzt werden "OS/2 wird zu einem Zeitpunkt auf den Markt kommen, wo sich die Wettbewerbsbedingungen völlig verändert haben. "

Gerade die Beständigkeit von Unix, so der Ixos- Chef, sei der große Vorteil dieses Betriebssystems. "In der Software-Industrie ist es notwendig, Programme so zu konstruieren, daß sie auf vielen Plattformen möglichst breit eingesetzt werden können. " Die Anwender wollten nicht ständig hinter allem herlaufen, was auf den Markt geworfen werde. Unter Unix werde Software entwickelt, die auf drei oder vier Generationen von Maschinenarchitekturen laufen könne - und das sowohl auf einer Workstation als auch auf einem Cray-Superrechner.

Diese Argumente ließ die starke OS/2-Fraktion nicht unkommentiert. Gegen Unix führte der OS/2-Anwendersprecher das bekannte Argument der verschiedenen Versionen ins Feld: "Wenn ich ein Sinix-System kaufe, dann bin ich auf einem proprietären System", so Laguna de la Vera. Die neue OS/2-Version dagegen sei alles andere als proprietär, ermögliche sie doch den uneingeschränkten Einsatz von MS-DOS-, OS/2- und Windows-Anwendungen.

Strack-Zimmermanns Entgegnung: "Unix lebt davon, daß es auf vielen verschiedenen Plattformen laufen kann. " Wenn der eine oder andere Hersteller eine eigene "Locke" daran strikke, sei das in Ordnung, denn der Anwender habe immer die Möglichkeit, sich in der X/Open-Literatur zu informieren, welches Unix-Derivat den Standards besser entspreche und welches nicht so geeignet sei. Die verschiedenen Hersteller hielten sich an die X/Open-Empfehlungen.

Während im Unix-Umfeld die Orientierung an Standards die Regel ist, müssen sich OS/2-Benutzer mit dem neuen Offenheitsversprechen der IBM begnügen. Hier könnte die proprietäre Tradition dem DV-Giganten nachträglich schaden. Microsoft-Geschäftsführer Wedell rührte in dieser offenen Wunde: "Was machen Sie denn", so fragte er provokativ das Auditorium, "wenn die MSDOS-Unterstützung im Rahmen von OS/2 bei IBM nicht mehr für sinnvoll erachtet wird?".

Strack-Zimmermann erinnerte in diesem Zusammenhang an die proprietäre OS/2 Extended Edition, die es schwer mache, jetzt an einen einzigen offenen OS/2-Standard zu glauben. Gerade, wenn es um LAN-Kompatibilität und Interoperabilität, um die Vernetzung mit großen MVS-Anlagen gegangen sei, habe sich OS/2 als "wahnsinnig proprietär" herausgestellt.