"Die wahren Probleme von IBM fangen erst an"

08.04.1988

BOSTON (IDG) - "Die Computerindustrie befindet sich in einer Phase des Wechselspiels zwischen Ordnung und Unordnung." William Zachmann, der "weise Mann der Industrie", ließ es sich auch in diesem Jahr nicht nehmen, den Ist-Stand des DV-Markts und seine Entwicklung in den kommenden 12 bis 18 Monaten zu analysieren. Dabei sieht der Branchenguru voraus, daß die Informationssysteme der zweiten Generation - immer leistungsfähigere Mikroprozessor-Systeme, die um standardisterte Umgebungen herum aufgebaut sind - den traditionellen Mainframes in absehbarer Zeit den Rang ablaufen. "Bis 1990", so Zachmann, "werden nur noch wenige Mainframes Verwendung finden." Anläßlich der 23. Lagebesprechung der DV-Industrie, die das Marktforschungsunternehmen International Data Corp. jährlich veranstaltet, stellte der amerikanische DV-Prophet 13 Thesen auf, die die COMPUTERWOCHE auszugsweise wiedergibt.

These 1:

Wirtschaftlichkeit: Das Motiv für die Anwender. Künftig werden die Benutzer bei Kaufentscheidungen mehr Wertbewußtsein an den Tag legen aufgrund der zu erwartenden Konjunkturflaute nach den US-Präsidentschaftswahlen in diesem Jahr. Der PC wird für viele Anwender dann zum Retter aus Notlagen werden.

These 2:

Die wahren Probleme von IBM fangen erst an. Der Marktführer wird gezwungen werden, seine preisgeschützten Märkte zu verlassen und sich in strengen Wettbewerb mit dem Rest der Welt um kleinere und wirtschaftlichere Systeme zu begeben, die auf standardisierten Architekturen und Betriebssystemen basieren.

Käufer der PS/2-Modelle 50 und 60 werden von OS/2 bitter enttäuscht sein und ihre Systeme nicht unter diesem Betriebssystem laufen lassen. Beide Rechner arbeiten bekanntlich mit dem 80286-Chip, der die Leistung des Betriebssystems nicht ausnutzen kann. Nach Erweiterung der OS/2-Standard-Version um den Presentation- Manager wird das Modell 50 wahrscheinlich gar nicht unter OS/2 laufen und die Leistung des Modells 60 noch schlechter sein als mit der Standardversion.

Die Probleme von IBM werden drastische unternehmensinterne Maßnahmen nach sich ziehen - einschließlich einer Personalreduzierung um 10 bis 20 Prozent.

These 3:

PS12-Clones erweisen sich als unzuverlässig. Kein Hersteller wird in absehbarer Zeit einen PS/2-Clone (mit der Micro-Channel-Architektur) auf den Markt bringen, weil die IBM keine Genehmigungen erteilen wird. Vergibt der Marktführer jedoch Lizenzverträge, so wird man solche Unternehmen bevorzugen, die keine ernsthafte Konkurrenz darstellen oder Verträge festsetzen, die jede Konkurrenz unterbinden.

These4:

1988 ist ein weiteres gutes Jahr für PCs mit Industriestandard. Kompatible mit dem richtigen Preis-Leistungs-Verhältnis werden die Nase vorn haben.

These 5:

Schwungvolle Abkehr traditioneller Anbieter von herstellerspezifischen Architekturen. Unix gewinnt weiter an Bedeutung. Hersteller, die ihren Kunden keine Unix-Alternative anbieten, manövrieren sich ins Abseits.

These 6:

Stille um OS/2. Der Presentation Manager wird verspätet (frühestens im Oktober) auf den Markt kommen und erst in einem Rechner sinnvoll arbeiten, der mit einem 80386-Prozessor ausgestattet ist. Ein effektiver Einsatz von OS/2 wird somit nicht vor 1989 möglich sein.

These 7:

Microsofts Windows sticht OS/2 aus. Deshalb sollten Software-Entwickler in den kommenden Jahren Zeit und Geld besser in Windows investieren als in.OS/2.

These 8:

Der RT PC (6150) ist IBM's Dornröschen-Produkt - es schlummert im Hinterzimmer. Das wachsende Interesse an Unix macht die neue Version des RT jedoch zu einer Sensation.

These 9:

SAA lernt VAX und Unix. Die IBM muß mit ihrer Architektur für Connectivity dem wachsenden Markt für VAX- und Unix-Systeme Rechnung tragen. Deshalb könnte es zu einem - wie auch immer gearteten - Bündnis zwischen dem Marktführer und DEC kommen.

These 10:

C ist der Stern am Himmel. Diese klare und logische Programmiersprache macht die Wahl für die neunziger Jahre leicht. Sie wird in der Zukunft erfolgreicher sein als Unix bei den Betriebssystemen. Out hingegen sind Cobol, Fortran und Basic; Ada aus dem Jahr 1980 war ein totgeborenes Kind.

These 11:

SQL triumphiert. Diese Datenbankabfragesprache ist auf dem Weg, Industriestandard zu werden und wird das Schlüsselelement für "Distributed-Resource-Systeme" bleiben. SQL ist zwar nur eine Teillösung, wird jedoch von allen benutzt.

These 12:

Microsofts LAN-Manager macht Boden gut. Er wird nicht so universal sein wie auf anderem Gebiet SQL, sich aber doch zum gemeinsamen Nenner und kleinsten Übel für den Anwender entwickeln.

These 13:

Der Server wird das Hardware-Produkt des Jahres. In dem Maße, wie Mikroprozessoren an Schnelligkeit und Leistung gewinnen und kleine Laufwerke mit mehr Kapazität ausgestattet werden, verbessern sich auch Leistung und Funktion der Server. Sie ermöglichen es, kostengünstige Mikroprozessoren für immer größere Anwendungen zu nutzen.