Microsoft wittert reiche Beute im Kartengeschäft

Die Karten im Smartcard-Markt werden neu gemischt

29.10.1999
MÜNCHEN (ba) - Nach einem eher schwachen Start scheint nun Bewegung in den Markt für Smartcards zu kommen. Microsoft will die Plastikkarten mit einer eigenen Windows-Version ausrüsten, und die bevorstehende Euro-Umstellung könnte dem Geschäft einen kräftigen Schub geben. Aber es gibt ein Problem: Keiner weiß so recht, was die Kunden eigentlich wollen.

Marktforscher prophezeien dem Geschäft mit Smartcards eine goldene Zukunft. Die Analysten von Dataquest glauben, daß im Jahr 2001 bereits 3,4 Milliarden der kleinen Plastikkärtchen weltweit im Umlauf sein werden. Zum Vergleich: 1995 besaßen knapp 550 Millionen Anwender eine Chipkarte. Doch die Zahlen weichen deutlich voneinander ab. Die Marktforscher von Ovum gehen von 400 Millionen Smartcards aus, die 1998 in Gebrauch waren, und rechnen mit sechs Milliarden Stück im Jahr 2004.

An der vielversprechenden Beute will sich auch Microsoft seinen Anteil sichern. Die Gates-Company plant, ein eigenes Windows-Betriebssystem für Chipkarten herauszubringen. Mitte November soll das Smartcard-OS auf den Markt kommen. Bislang dominierten in diesem Bereich proprietäre Lösungen und das Betriebssystem "Javacard" von Sun Microsystems.

Der Vorteil der Windows-basierten Smartcard liege in den geringeren Kosten, erklärt Microsoft-Manager Mike Dusche. Während die Kartenvariante aus Redmond mit etwa zwei bis fünf Dollar zu Buche schlage, müßten Anwender für eine Smartcard mit Java rund 20 Dollar auf den Tisch legen. Der Anteil, den der Softwareriese für sein Betriebssystem einfordere, liege umgerechnet bei ein paar Pfennigen, erklärt Dusche. Eine bisher nicht gekannte Bescheidenheit bei Microsoft?

Die Zahlenspiele des Softwaregiganten hält Olaf Schwan, Produktmanager bei Giesecke & Devrient (G+D), schlichtweg für falsch. Eine Java-Karte koste etwa 15 Mark, und auch Microsoft werde es kaum schaffen, eine Smartcard unter zehn Mark auf den Markt zu bringen. Die Hardware mache bei den Karten den Preis und der bleibe in etwa gleich, egal ob Windows oder Java, erklärt Schwan.

Neben dem speziell auf die Plastikkarten zugeschnittenen Betriebssystem plant der Softwarekonzern, Funktionen für Smartcards standardmäßig in seine zukünftigen Windows-Versionen zu integrieren. Microsoft hat bereits einige Verbündete auf seine Seite gezogen. Neben dem deutschen Halbleiterhersteller Infineon wollen auch Kartenhersteller wie Gemplus und Schlumberger mit Redmond kooperieren. Zusammen mit der Firma Gemplus planen sie Karten, die ihren Platz in Handies finden sollen. Erscheinungstermin der GSM-Karten auf Windows-Basis soll Januar 2000 sein (GSM = Global System for Mobile Communications).

Der Vorstoß von Microsoft wird in der Smartcard-Szene mit gemischten Gefühlen beobachtet. Auf der einen Seite haben viele kleinere Firmen seit langem einen Branchenriesen herbeigesehnt, der den Markt in die Hand nimmt und dem Geschäft einen kräftigen Anstoß gibt. Die Tatsache jedoch, daß der Schild des helfenden Ritters das bunte Windows-Wappen trägt, ruft nicht gerade den Beifall der Insider hervor.

Gunnar Porada, Marketing-Manager bei Utimaco, glaubt nicht daran, daß Microsoft im Smartcard-Bereich eine reelle Chance haben wird. Utimaco bietet PKI-Sicherheitskonzepte in Verbindung mit Chipkarten an (PKI = Public Key Infrastructure; siehe CW 35/99 Seite 32). Die Sicherheitsprobleme mit Windows seien in der Branche hinlänglich bekannt, erklärt Porada. Ein Markt, in dem Sicherheit ein Schlüsselfaktor für ein erfolgreiches Geschäft ist, werde kein Betriebssystem akzeptieren, das Sicherheitslücken läßt. Die Verantwortlichen in Redmond hofften auf schnelles Geld im wachsenden Smartcard-Markt, übersähen dabei allerdings, daß die Latte der Sicherheitsanforderungen für das Microsoft-System zu hoch liege, kritisiert der Utimaco-Manager.

Hat Microsoft wieder zuviel versprochen?

Schwan von der Münchner G+D befürchtet, daß der Microsoft-Vorstoß die Marktentwicklung eher verzögert als beschleunigt. Bereits letztes Jahr hatte der Konzern ein Smartcard-System angekündigt. Passiert sei dann jedoch nichts, aber alle hätten auf das versprochene Microsoft-Produkt gewartet. Außerdem befürchtet der Manager, daß Windows für Smartcards mit den typischen Bugs infiziert sein werde, die bislang fast jedes Microsoft-Betriebssystem mitgebracht hat. Damit disqualifiziere sich der Softwarehersteller selbst, da in diesem Markt Sicherheit elementar sei, glaubt Schwan.

Die Anwendungspalette für Smartcards ist breit gefächert. Als Zahlungsmittel sind die Plastikkärtchen mit dem Chip im Bankensektor bereits millionenfach verbreitet. Auch als Krankenkassen-, Telefon- oder SIM-Karte für das Handy (SIM = Subscriber Identification Module) werden Smartcards eingesetzt.

Laut Helmut Schmid, Geschäftsführer von Telecash, einem Service-Anbieter rund um das elektronische Bezahlen, wird zwar ein Sechstel des gesamten Einzelhandelsumsatzes (700 bis 750 Milliarden Mark) in Deutschland über Geldkarten abgewickelt. Die hochgesteckten Erwartungen seien damit aber nicht erfüllt worden. Einen kräftigen Anstoß für den Smartcard-Markt erhofft sich Schmid von der Euro-Umstellung in Millionen Automaten. Da es die Betreiber wesentlich teurer komme, die Geldschlitze der Automaten umzurüsten, als Kartenlesegeräte einzubauen, würden wohl die meisten Geräte auf Kartenbetrieb umgestellt.

In Zukunft könnten Smartcards in weiteren Bereichen des öffentlichen und privaten Lebens zum Einsatz kommen: zum Beispiel als Fahrscheine oder als Eintrittskarten. Schmid kann sich auch vorstellen, daß Anwender zu Hause per Smartcard im Stromzähler festlegen, von welchem Anbieter sie ihre Energie beziehen wollen.

Eine Geräteklasse, die von Haus aus mit Chipkarten arbeitet, sind die Handies. Der Telecash-Chef prognostiziert, daß kleinere Rechnungsbeträge, die durch Geschäftstransaktionen via Mobiltelefon anfallen, in Zukunft mit Hilfe von Smartcards einfach zusammen mit der Telefonrechnung vom Konto des Kunden abgebucht werden. Entsprechende Pilotprojekte laufen bereits. So können Anwender in Finnland über das Handy in Kombination mit einer Spezialkarte einen Getränkeautomaten anwählen und eine Coke oder Pepsi ordern. Der Preis für das Getränk wird über die Telefonrechnung eingezogen.

Für E-Commerce-Anwendungen, eine weitere mögliche Antriebsfeder des zukünftigen Smartcard-Marktes, sind Handies allerdings ungeeignet. Dazu brauchen Anwender augenblicklich noch ihren PC, und der ist in den seltensten Fällen standardmäßig mit einem Kartenleser ausgerüstet. Geschäfte via Web, die laut Vorhersage der International Data Corp. (IDC) im Jahr 2003 ein Volumen von weltweit 1,3 Billionen Dollar erreichen werden, brauchen sichere Methoden zur Authentifizierung und Bezahlung. Eine neue Chance für die Smartcards?

Zwar versprechen die PC-Fabrikanten, ab dem nächsten Jahr die Rechner mit entsprechenden Lesegeräten auszurüsten, doch in einem Markt, der extrem preissensibel ist, werden es sich die Hersteller zweimal überlegen, ob sie die Rechner mit dem Zusatzgerät teurer machen. Analysten des britischen Marktforschungsinstitutes Datamonitor glauben, daß 2003 nur 7,2 Prozent des E-Commerce über Smartcards abgesichert wird. Als Ursache sehen die Experten die fehlende Infrastruktur für die Karten.

Problematisch an Smartcards ist generell, daß Kunden wie Anbieter das System gleichermaßen akzeptieren und verwenden müssen. Ein Gastronom zum Beispiel wird seine Bedienungen kaum mit 5000 Mark teuren Terminals ausstatten, die Kartenzahlung abwickeln und Bestellungen gleich in die Küche funken können, wenn kaum ein Kunde die für diese Funktion notwendige Smartcard mitbringt. Und umgekehrt wird sich kein Kunde eine Plastikkarte aufhalsen, die den Geldbeutel ruiniert, sofern er sie nicht regelmäßig einsetzen kann.

Auch darüber, was die Karten alles können sollen, herrscht Uneinigkeit bei den Anbietern. Laut einer Studie der Meta Group werden vor allem Multifunktionskarten, die mehrere Applikationen auf einer Smartcard vereinigen, in den nächsten vier Jahren einen Boom erleben. 75 Prozent aller 2003 im Umlauf befindlichen Smartcards sollen demnach zu diesem Typ gehören. Vorstellbar sei eine Chipkarte, mit der Anwender einkaufen können, die als Fahrschein für den öffentlichen Nahverkehr zu nutzen ist und auf der die Daten der Krankenkasse gespeichert sind.

Jürgen Kempe, General-Manager beim Kartenhersteller Gemplus, glaubt jedoch nicht daran, daß sich die multifunktionalen Karten so schnell durchsetzen werden. Die Leute müßten sich erst langsam an das zusätzliche Plastik gewöhnen. Ulrich Hamann, Leiter des Bereichs für die Chipkarten-ICs bei Infineon, rechnet letztendlich mit vier bis fünf Karten pro Person, auf denen alle wichtigen Applikationen verteilt sind.

Auf der anderen Seite besitzen Smartcards, mit denen der Kunde verschiedene Geschäfte abwickeln kann, eine größere Attraktivität. Der Kunde muß nicht so viele Plastikkarten mit sich herumschleppen. Die Anbieter sitzen jedoch in der Zwickmühle: Einerseits verspricht die Multifunktionskarte zusätzlichen Absatz, andererseits wird jeder Anbieter eifersüchtig darüber wachen, daß nur sein eigenes Markenzeichen auf der Karte prangt und eine größtmögliche Kundenbindung verspricht. Streitereien sind programmiert.

Der Smartcard-Markt steht erst am Anfang seiner Entwicklung. Schmid von der Telecash glaubt, daß noch ein paar Jahre vergehen werden, bis die schlauen Plastikkarten mit dem Chip in allen Geschäftsbereichen akzeptiert sind. Auch bei der Bankkarte habe es etwa 15 Jahre gedauert, bis sie sich durchgesetzt hat.

In Europa sind Smartcards am weitesten verbreitet. 70 Prozent aller Chipkarten, die 1996 weltweit in Gebrauch waren, kamen aus Europa. In den USA beherrscht die klassische Kreditkarte mit dem Magnetstreifen noch klar das Feld. Trotzdem rechnen die großen Kreditkartenfirmen damit, daß dieses traditionelle Modell aussterben wird. Allein wegen der größeren Funktionalität und Sicherheit haben Smartcards klare Vorteile. Andererseits scheint es schwierig zu sein, den US-Amerikanern die klassische Kreditkarte abzugewöhnen. Erste Pilotprojekte mit Smartcards verliefen mangels Interesse im Sand.

Zuletzt hat Visa mit der Gründung der "Global-Platform"-Initiative einen neuen Vorstoß unternommen. Stagnierende Wachstumsraten im Kreditkartengeschäft zwingen die etablierten Firmen wie Visa, Euro- und Mastercard, etwas zu unternehmen.

Ein Problem, mit dem die Chipkarte noch zu kämpfen hat, ist die fehlende globale Standardisierung. Die Visa-Initiative, an der sich 15 weitere Unternehmen beteiligen, unter anderem auch Sun und die Siemens-Tochter Infineon, hat sich zum Ziel gesetzt, weltweit gültige Standards für Smartcards zu definieren.

Auch die Politiker müssen mitspielen

Hier seien aber auch die Politiker gefordert, erklärt Utimaco-Mann Porada. Das größte Hindernis stellten nämlich nicht die technischen Anforderungen dar - die seien durch die ISO-7816-Norm weitgehend geregelt (ISO = International Organization for Standardization). Problematisch seien vielmehr die rechtlichen Regelungen, was Signaturen und Verschlüsselungstechniken im Netz anbelangt. Doch die Mühlen der politischen Bürokratie und Gesetzgebung mahlen langsam, befürchtet Porada.

Und zuletzt ist die psychologische Komponente auf der Kundenseite nicht zu unterschätzen. Ein Manager aus der deutschen Reisebranche erzählt, viele Kunden hätten nach wie vor starke Vorbehalte gegen das kleine Stück Plastik. Dem Großteil sei immer noch ein Stück Papier lieber, auf dem sie mit einem Blick sehen, was sie in der Hand haben. In diesem Zusammenhang müsse die Branche noch eine ganze Menge Basisarbeit leisten.

Sicherheit für Karten

Ein Kernthema in der Smartcard-Technologie ist Sicherheit. Gerade bei Transaktionen via Netz müssen die Plastikkarten höchste Sicherheitsanforderungen erfüllen.

-Biometrische Erkennungsverfahren wie Fingerprint oder Abtastung der Augeniris werden nach Ansicht von Insidern erst in ein paar Jahren serienreif sein.

-PKI (Public Key Infrastructure) ist eine Verschlüsselungstechnik, die bereits eingesetzt wird und auch von staatlichen Stellen zertifiziert ist. Dabei bekommt jeder Beteiligte ein Schlüsselpaar, mit dem sich Informationen codieren und decodieren lassen. Die Schlüssel können per Smartcard verifiziert werden (siehe CW 35/99 Seite 32).

Smartcard-Technologie

Smartcards arbeiten wie kleiner Computer - ein PC-on-a-Card. Sie besitzen einen Mikroprozessor, je nach Anwendungsbereich einen Arbeitsspeicher, mit dessen Hilfe die Karte Applikationen verarbeiten kann, sowie Speichermodule, auf denen Daten vorgehalten werden können.

Folgende Kartenvarianten gibt es:

Memorycard: Die Karte kann Inhalte nur speichern, ähnlich einer Magnetstreifenkarte, aber mit größerer Kapazität. Beispiel: Krankenkassenkarte und Telefonkarte.

Smartcard: Die Karten können mit Mikroprozessoren und Datenspeichern Informationen verarbeiten. Beispiel: Buchungsvorgänge.

Supersmartcards: Smartcards, die zusätzliche Funktionalitäten besitzen wie zum Beispiel Tastaturen oder biometrische Erkennungsverfahren, die auf der Karte selbst integriert sind.

Smartcards können Informationen senden beziehungsweise aufnehmen. Auch hier gibt es unterschiedliche Verfahren:

-Physikalischer Kontakt: Die Karte muß manuell in ein Kartenlesegerät gesteckt werden.

-Kontaktlos: Das Lesegerät nimmt über Funksignale oder elektromagnetische Wellen Kontakt zur Karte auf. Sinnvoll beim Zutritt von Veranstaltungen - hier muß es schnell gehen.

-Hybrid- und Kombikarten: Es gibt Karten, die beide Möglichkeiten der Informationsübertragung erlauben. Hybridkarten besitzen zwei Chips, von denen jeweils einer für den Datentransfer mit physikalischem Kontakt und der andere für die kontaktlose Übertragung zuständig ist. Bei Kombikarten verarbeitet ein Mikroprozessor beide Transfervarianten. Die Karte besitzt mehrere Schnittstellen.