Standardsoftware für den Mittelstand

Die Ablösung der proprietären ERP-Systeme ist überfällig

11.06.1999
Vor dem Hintergrund der Jahr-2000-Problematik arbeiten viele Unternehmen an der Ablösung ihrer alten, proprietären Warenwirtschaftssysteme. Für kleinere und mittlere Betriebe steht, so Heinz Höreth*, mittlerweile ein breites Angebot an offenen Standardlösungen zur Verfügung.

Während viele IT-Manager mit Sorge auf den Jahrhundertwechsel blicken, gibt es eine Reihe von Anbietern, die sich dieses Datum vergolden lassen können. Neben den unmittelbaren Jahr-2000-Profis, die ihre Dienste nicht mehr anbieten, sondern nur noch zuteilen, gehören dazu überraschenderweise auch die Anbieter von "Mid-Size-ERP-Systemen", wie die Standardlösungen unterhalb von SAP R/3 neuerdings bezeichnet werden.

Anbieter wie BTK mit dem Mittelstandspaket "Apertum" beispielsweise profitieren davon, daß viele proprietäre ERP-Systeme mit dem kommenden Jahreswechsel endgültig ins technologische Abseits geraten. Auch für die Anwender, die solchen Systemen nicht selten jahrzehntelang die Treue gehalten und die, getreu dem Motto "Never change a winning team", alle technischen Umwälzungen von SQL über Win- dows bis zum Web ignoriert haben, kommt nun die Stunde X: Ihre Systeme sind schlicht und einfach nicht Jahr-2000-fähig.

Eine große Zahl von Anwendern nimmt den Jahrtausendwechsel als Anlaß für einen radikalen Schnitt. So wunderte sich Q.4 IBS, der neue Vertreiber der Standardsoftware "Comet", der dieses wohl bekannteste proprietäre Warenwirtschaftssystem von Baan übernommen hat, daß viele Kunden das überfällige Update auf die Jahr-2000-fähige Version von Comet stur verweigert. Es ist allerdings nicht anzunehmen, daß sich alle diese Anwender demnächst mit falschen Jahreszahlen abplagen müssen. Für diese Unternehmen hieß oder heißt es anscheinend statt Update vermutlich einfach Delete (Löschen): Sie werden, so liegt der Schluß nahe, ihre Systeme spätestens zum Jahresende abschalten und auf eine moderne Software wechseln.

Die Vorteile zeitgemäßer Client-Server-Lösungen gegenüber den proprietären Systemen betreffen vor allem zwei Bereiche: Die Verwendung von SQL-Datenbanken und er Einsatz von Windows-Oberflächen. Durch solche De-facto-Standards wie SQL und Windows sind die neuen Systeme skalierbar, leichter bedienbar, modular erweiterbar und zu guter Letzt ohne Aufwand Jahr-2000- und Euro-fähig. Andere Vorteile, die einige moderne ERP-Systeme bieten, wie Web-Integration oder die Einbindung in Komponentenmodelle wie Corba oder DCOM, dürften für mittelständische Unternehmen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur am Rande interessant sein.

Die betroffenen Firmen müssen in jedem Fall einen technologischen Bruch bewältigen, zu dem es allerdings wenig Alternativen gibt: Die vorhandenen Systeme lassen sich nicht weiterführen, eine Individualprogrammierung kommt aufgrund der Kosten nicht in Frage, und die großen Systeme wie R/3 oder Baan sind zumindest für die kleineren Mittelständler viel zu komplex und teuer. So kann die Lösung für Kleinunternehmen nur in den Client-Server-orientierten Mid-Size-ERP-Systemen liegen.

Die Bäcker KG, ein mittelständischer Hersteller von Kunststoffschraubverbindungen aus dem Siegerland, stand vor diesem Problem. Zur Abwicklung der kaufmännischen Administration setzte das Unternehmen die in die Jahre gekommene "Nixdorf Quattro Q 35" mit der Comet-Standardsoftware ein. Daß diese Lösung nicht mehr zeitgemäß war, wurde bei der Zertifizierung des Unternehmens nach DIN EN ISO 9002 deutlich. Thomas Allebrodt, Qualitäts-Management-Beauftragter der Bäcker KG, erinnert sich: "Sowohl von der Hardware als auch von der Software war keine Weiterentwicklung und Anpassung an die heutigen Anforderungen erkennbar. Auch eine Migration in die Unix-Welt erschien uns nicht attraktiv." Man hätte die Einschränkungen von Comet einfach nur "vererbt". Ein neues System mußte her.

Die Bäcker KG entschied sich schließlich für Apertum von SCI, einer Windows-basierten Client-Server-Lösung. Außer einem modularen Grundkonzept gab die Übernahme der Daten aus den Altanlagen den Ausschlag für die Apertum-Entscheidung. Dies ist für viele Unternehmen ein wichtiger Gesichtspunkt, denn niemand will verstaubte Listen abtippen, bloß um die alten Daten in die neuen relationalen Datenbanken zu bringen.

Natürlich gibt es eine ganze Reihe von Anbietern, die ihre Chancen im ERP-Markt diesseits der Big Player erkannt haben. Meist haben sie ihr Angebot auf spezielle Kundengruppen und Branchen abgestimmt, beispielsweise für Dienstleistungs- oder Produktionsunternehmen. Dennoch bieten sie alle in der Regel eine ähnliche Grundstruktur. Sie bauen auf einer Client-Server-Architektur auf - sehr häufig unter Windows NT - und unterstützen skalierbare SQL-Datenbanken für die PC-Plattform.

Diese integrierten Datenspeicher sind kostengünstiger als die in großen Unternehmen üblichen Datenbanksysteme unter Unix, wie beispielsweise Oracle oder DB2. Hinsichtlich der Anfangsinvestition und in bezug auf die Total Costs of Ownership (TCO) sind sie auch für kleine und mittlere Betriebe erschwinglich.

MD Consulting in Aufkirchen/Oberding ist mit seinem System "3W" ein weiterer Anbieter in diesem Segment. Sein mehrsprachiges Warenwirtschaftssystem wurde speziell für interna- tional agierende Mittelständler konzipiert - ein Einsatzbereich, der von Anbietern oft vernachlässigt wird, obwohl gerade in Deutschland ein starker Bedarf besteht.

Wieder andere Schwerpunkte setzt "SQL-Business", eine Softwarelösung für Warenwirtschaft und Rechnungswesen des Konstanzer Unternehmens Nissen & Velten für die Anwendungsbereiche Fakturierung, Angebots- und Auftragsbearbeitung und Lagerverwaltung. Das Leistungsspektrum reicht hier von der Teilfakturierung mit automatischer Restmengenverwaltung über die Generierung von Dispositionen und Bestellungen bis zur Vor- und Nachkalkulation für Auftragspositionen und Gesamtaufträge. Die Lösung ist stark modular aufgebaut, erlaubt also auch nachträglich Erweiterungen wie Online-Kassen, Anlagenbuchhaltung etc.

Im Bereich der Personalwirtschaft hat die "Loga"-Produktfamilie von Personal & Informatik (P&I) in Wiesbaden Stärken. Die branchenunabhängige Lösung bietet echte Client-Server-Technik auf der Basis relationaler SQL-Datenbanken. Moderne Benutzeroberflächen auf Windows-Basis ermöglichen die einfache und schnelle Bearbeitung von Geschäftsprozessen, die über einen individuell konfigurierbaren Workflow abgebildet werden.

Auch wenn für viele Unternehmen der bevorstehende Jahrtausendwechsel ein eher unangenehmer Anlaß war, über eine Neuorientierung ihrer DV nachzudenken, letzten Endes treffen sich Anwender und Anbieter unter dem gemeinsamen Motto: "Es wurde aber auch Zeit."

*Heinz Höreth ist Geschäftsführer von Centura Software in München.