Client-Server-Technologien/LH-Tochter Condor emanzipiert sich mit Client-Server

Den Flug in die Ferien mit verteilter Intelligenz steuern

01.03.1996

Einsteigen und abschalten ist die Devise der Fluggaeste, die ihren Transport in sonnige Gefilde seit nunmehr 40 Jahren der Condor Flugdienst GmbH anvertrauen. Anschalten heisst es bei Condor jeden Morgen in den unzaehligen Bueros, um diese Reisen moeglich zu machen.

Noch zu Beginn der 90er Jahre wurde Condor als Konzernteil der Lufthansa (LH) DV-technisch als eine "Betriebsstelle fuer Rechner und Drucker" gefuehrt und nur mit remotem Zugriff auf das damalige LH-Rechenzentrum ausgestattet. Die Condor-DV-Leitung betrieb jedoch mit Nachdruck den Umstieg auf Client-Server.

Die Weichen in die Client-Server-Welt wurden in den ersten Jahren dieser Dekade gestellt; der Aufbau der notwendigen Infrastruktur profitierte auch vom Umzug des Unternehmens von Neu-Isenburg nach Kelsterbach. Die Umzugsplaene erforderten eine Anpassung der DV an die neue architektonische Struktur, so dass vor vier Jahren auf dem damaligen Stand der Technik gleich Ethernet mit entsprechenden Routern fuer die Hauptgebaeude eingeplant wurde. Zu Beginn bestand die DV-Crew aus wenigen Personen. Heute ist sie auf 36 Koepfe angewachsen, aufgeteilt in 16 Entwickler, die Verwaltung und den Betriebsbereich.

Nahezu zwanzig Server fuer die verschiedenen Aufgabenbereiche stehen jetzt im Zugriff der Anwender. Condor faehrt hardwaretechnisch mit Silicon-Graphics-Rechnern und Hewlett- Packard-Servern eine Zwei-Anbieter-Linie. Die wenigen verbliebenen RS/6000-Systeme der IBM werden Schritt fuer Schritt ausgemustert.

Von HP ist die 9000er Serie im Einsatz. "Der kleinere Teil davon, insgesamt fuenf Stueck, laeuft schon als Multiprozessor-Anlagen", erlaeutert Manfred Scholz, Leiter der Entwicklungsabteilung bei der Condor-DV. Acht "Multi-procs" sind geplant. Von Silicon Graphics sind zwei "Challenge L" mit je acht CPUs und eine neue "Challenge XL" mit zur Zeit zwoelf CPUs in Betrieb. Sie werden vor allem fuer Anwendungen eingesetzt, die hohe Transaktionsraten aufweisen und lastverteilt arbeiten muessen, wie zum Beispiel die Vertriebs- und Reservierungssysteme.

Angeschlossen sind gut 800 lokale Arbeitsplaetze - davon noch rund 350 mit X-Terminals (vgl. Abbildung 1). Sie werden in diesem und im naechsten Jahr vollstaendig ausgetauscht, ueberwiegend gegen Workstations. Im Netz befinden sich ferner gut 140 Workstations und rund 350 PCs vom 386er bis zum Pentium-Rechner.

Der Mix aus Workstations und PCs als intelligenten Subsystemen hat Methode: Workstations bieten laut Scholz Vorteile, was zentrale Administration, Support und Betreuung betrifft. So soll, wo immer moeglich, von X-Terminals auf Workstations gewechselt werden. Bei PCs stelle sich stets die Frage, ob sie mit Festplatte oder Floppy ausgeruestet seien oder ueber Server im Netz betrieben wuerden. Der Administrationsaufwand und auch die Virengefahr seien einfach zu gross, wenn der Arbeitsplatz mit offenen Zugangsmoeglichkeiten ausgestattet sei, erlaeutert der Entwicklungschef - und preislich seien die Workstations, wenn Mengenrabatt gewaehrt werde, nicht mehr sehr weit von den PCs entfernt.

"Offene PCs und Workstations mit Floppy werden nur da eingesetzt, wo eine definitiv begruendete Anforderung besteht", erzaehlt der Condor-Profi. In der Vergangenheit konnte zum Beispiel Microsofts Bueropaket "Office" nicht auf Workstations im Unix-Umfeld verwendet werden. Dies sei zwar jetzt durch Emulationssoftware moeglich, werde aber erst sukzessive durch die Condor-DV-Entwicklung freigegeben. Sekretariate oder bestimmte Fachabteilungen nutzen deshalb noch den PC als Client, der dann mittels Software (FTP) in das Unix-Ethernet-Netz eingebunden werden kann. Die Erstellung von Dokumentationen oder Manuals fuer die Besatzungen beispielsweise erfolgt bei Condor mit Spezialsoftware auf DOS-Basis.

Darueber hinaus gibt es bei der Lufthansa konzernweit eine bindende Vereinbarung mit dem Betriebsrat, nach der auf saemtlichen Arbeitsplaetzen, an denen geschuetzte personenbezogene Daten im Zugriff sind, ein bestimmtes PC-Produkt mit Ausweisleser verwendet werden muss. Hier wird's geheim.

Die frei fuer Mitarbeiter im Client-Server-Modus je nach Aufgabengebiet zugaenglichen Applikationen basieren auf vier Saeul- en: ZAC 2000 (Zentrale Applikationen Condor), der Standardsoftware SAP R/3, Buerokommunikations- und - etwas abgesetzt - Lufthansa- Loesungen (vgl. Abbildung 2). Mit der notwendigen Berechtigung besitzt jeder Arbeitsplatz Zugriff auf jeden Einzel-Server. Die PC-Oberflaeche ist Windows 3.1. Windows 95 ist laut Scholz bewusst noch nicht freigegeben, unter anderem deshalb, weil sich dafuer 16 MB RAM empfehlen, die meisten PCs aber noch mit 8 oder 12 MB ausgeruestet seien.

ZAC 2000 umfasst Verkaufs- und Vertriebssysteme, Kontingentverwaltung (Charter) und die Reservierung von Einzelplaetzen (inklusive) sowie ein Management-Informations- System. Da Flugplan und Verkauf saisonal orientiert sind, ist auch die DV so ausgerichtet. Im Charterverkehr werden rund zwei Dutzend grossen Reiseveranstaltern Kontingente fuer einen bestimmten Flugtag mit einer festgelegten Sitzzahl zu einem bestimmten Ziel verkauft. Hier gibt es sogenannte Fixkontingente, bei denen das Risiko beim Veranstalter liegt, und optionale "Pro-Rata-Kontingente", wo Condor das Risiko traegt. Der Reiseveranstalterist im Rahmen eines vereinbarten Zeitplans verpflichtet, Condor zu informieren, wieviel Plaetze verkauft sind. So koennen freie Kapazitaeten eventuell an andere Veranstalter im System weitergegeben oder fuer die Einzelplatzreservierung zum Direktverkauf durch die angeschlossenen rund 13000 Reisebueros freigegeben werden. Solche Aktionen erfolgen teilweise sehr kurzfristig. Das Vertriebsnetz "Start" ermoeglicht den Verkauf von Last-minute-Angeboten.

Condor selbst entwickelt sich mehr und mehr zu einem eigenstaendigen Veranstalter und bietet zunehmend auch Tourpakete an. Das Verhaeltnis zwischen Charter und Reservations betrug frueher 80 zu 20 und liegt jetzt bei rund 70 zu 30. Dazu muessen Vertragswesen und Rechnungsstellung flexibel handzuhaben sein.

Fuer betriebswirtschaftliche Funktionen verwendet Condor das SAP- Standardsoftwarepaket R/3, wobei im Moment R/3 und R/2 noch parallel betrieben werden. Die R/2-Applikation stammt von der Lufthansa - hier nutzt Condor einen Mandantenstatus fuer Finanz- und Anlagenbuchhaltung sowie eine Kostenrechnung ueber 3270- Emulation an den LH-Grossrechner. Die R/2-Anbindung wird in diesem Jahr abgeloest. R/3 Client-Server verwendet Condor schon seit August 1994 fuer die Einkaufsabwicklung, den Vertrieb und Verkauf der Marketing-Artikel, das dazugehoerige Lagerwesen und seit dem vierten Quartal 1995 auch fuer das Budget- und Invest-Controlling.

Wichtig fuer den Betrieb der Condor ist die Anbindung an die Lufthansa-Loesungen. Hier existieren Links zum Crew-Management- System CMS, zum Verkehrszentralensystem "Storm" und dem Flugwegplanungssystem "Lido".

Die Flugplanung resultiert aus dem Verkauf und Vertrieb und wird, je naeher die Saison rueckt, immer weiter verfeinert. Die Verkehrszentrale regelt und steuert den gesamten Ablauf eines Fluges, was technische Einsatzplanung, Besatzung, deren Transport und Details wie das Essen an Bord betrifft. Die Flugwegplanung ueber das hochkomplexe, weltweit vernetzte Online-System Lido stellt der Besatzung dann direkt vor dem Flug die neuesten Routenberechnungen zur Ver- fuegung. "Diese lebensnotwendigen Anwendungen laufen auf Condor zugeschnitten ueber die Lufthansa- Systeme", erlaeutert Scholz.

Die vierte Saeule der Condor-Anwendungen umfasst die gesamte Buerokommunikation sowie die spezifischen Eigenentwicklungen des Flugdienstes. Die Datenbank hinter R/3 und dem gesamten Vertriebssystemen stammt von Informix; derzeit laeuft der Online Dynamic Server im Release 7.1. Insgesamt bewertet Scholz den Uebergang zur Client-Server-Architektur als sehr sinnvoll. Support und Wartung der Hardware werden bis zu einem gewissen Grad von der eigenen DV-Mannschaft erledigt, es bestehen jedoch auch Wartungsvertraege mit den Herstellern. Der Softwaresupport sowie die Pflege der Informix-Datenbanken liegt ebenfalls in den Kelsterbacher Haenden, LH-Anwendungen werden von Lufthansa- Mitarbeitern gepflegt.

Auch Multimedia haelt seit neuestem bei Condor Einzug. Das Charterunternehmen ist an das Internet angeschlossen und plant multimediale Vertriebsanwendungen zur Nutzung durch die Reisebueros und den Endverbraucher. Interner und externer E-Mail-Anschluss sind fuer jeden Condorianer selbstverstaendlich.

"Ueberwiegend ist die Akzeptanz durch die Mitarbeiter zufriedenstellend", bilanziert Scholz. Man habe grossen Wert darauf gelegt, alle Anwendungen soweit wie irgend moeglich den Condor- spezifischen Belangen anzupassen: "Die Condorianer finden ihre gewohnte Arbeitswelt in dem System wieder."

Die DV-Mitarbeiter diskutieren manchmal ueber Fehlerursachen: Liegen sie in der Hardware, der Software oder dem Netz? Aber mit solchen Schwierigkeiten muss wohl jeder Client-Server-Anwender rechnen. Condor hat ein Erfassungs- und Verfolgungsverfahren fuer Fehler und ihre Behebung eingerichtet. So kommen "Mehrfachtaeter" in die entlarvende Statistik. Probleme bereiten immer noch und immer wieder jene Mitarbeiter, die ihren PC als Inselloesung werten und kraeftig Spiele oder sonstige eigene Software installieren.

Mit Marketing-Methoden wendet sich das DV-Team jetzt direkt an die Endanwender. So baut es gerade eine "Powerpoint"-Praesentation auf, die alle Informationen von DV-technischer Relevanz enthaelt. Die Mitarbeiter der Fachbereiche koennen sich dadurch in Kuerze einen umfassenden Ueberblick ueber das Angebot verschaffen, die DV- Abteilung bekommen mehr Feedback. Die Praesentation erfolgt vor Ort, denn auch die DVer hoeren gerne Applaus.

*Edgar Koribalski ist freier Fachjournalist in Muenchen.

Kurz 38; buendig

Nur eine "Betriebsstelle fuer Rechner und Drucker" war noch zu Beginn der 90er Jahre das LH-Tochterunternehmen Condor - DV- technisch gesehen. Ein Umzug gab die Chance, die Weichen in Richtung Client-Server zu stellen. Heute besteht die DV-Crew aus 36 Koepfen, 16 davon Entwickler. Nahezu 20 Server stehen jetzt im Zugriff der Anwender.

Silcon-Graphics- und HP-Rechner haben RS/6000-Maschinen abgeloest bis auf wenige, die Schritt fuer Schritt ausgemustert werden. Acht "Multiprocs" sind geplant. Angeschlossen sind gut 800 lokale Arbeitsplaetze, davon noch rund 350 mit X-Terminals, die demnaechst auch - wo immer es geht - gegen Workstations ausgetauscht werden sollen. Mengenrabatte und hoehere Datensicherheit rechtfertigen die Abkehr von PCs.