Gefährliche Teamdynamik

Dem agilen Wir gehört die Zukunft

12.09.2018
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Ulrike Stahl ist Rednerin, Autorin und Expertin für das neue WIR im Business. Wie geht erfolgreiche Zusammenarbeit in einem agilen und globalen Umfeld? Wie entwickeln wir einen WIR-Mindset für uns selbst, in unseren Unternehmen und unter unseren Mitarbeitern? Darüber schreibt und redet sie mit internationaler Erfahrung und Begeisterung. Sie ist Autorin des Buches „So geht WIRTSCHAFT! Kooperativ. Kollaborativ. Kokreativ.“ Als Design Thinking Coach und Coach für Top Teams ist sie am Puls der Zeit.
Agile Methoden sind hilfreich, aber für sich alleine noch lange kein Erfolgsgarant. Wollen Unternehmen erfolgreich mit diesen Methoden arbeiten, ist ein stabiles Teamklima wichtige Voraussetzung.

In der Software-Entwicklung kommen agile Methoden bereits seit vielen Jahren zum Einsatz, sind also längst Standard. Zunehmend setzen IT-Unternehmen agile Entwicklungsprinzipien inzwischen aber auch in anderen Bereichen ein. Auf der einen Seite machen agile Methoden wie Kanban, Scrum, Scanban oder Design Thinking Teams beweglicher, so dass diese leistungsstärker agieren können. Andererseits können agile Methoden aber auch nur so erfolgreich sein, wie die Teamdynamik das unterstützt.

Was braucht es also wirklich, damit agile Methoden die Teamleistung zum Erblühen bringen? Werden diese Methoden richtig eingesetzt, können sich die Teammitglieder auf arbeitsbezogener Ebene etwa in Stand-Up- und Retrospektive - Meetings intensiver austauschen und bewusst Bedenken äußern. Dies führt zu einem stärkeren Informationsfluss, mehr Erfahrungsaustausch, zunehmender Kreativität und zum gemeinsamen Lernen. Genau das sind im Wissenszeitalter die Schlüsselfaktoren für Problemlösefähigkeit. Agilität als Methodik basiert auf den Grundprinzipien der Verantwortlichkeit, der Teaminteraktion, der Zusammenarbeit mit Kunden und der Reaktionsfähigkeit auf Veränderungen. Ob diese Methoden Erfolg haben, liegt aber - nicht nur außerhalb der Software-Entwicklung - immer an den Menschen und deren Fähigkeit, in diesem neuen Rahmen zusammenzuarbeiten.

Agile Methoden einzuführen, ist das eine - danach aber aus dem Team eine erfolgreiche Truppe zu schmieden, das andere.
Agile Methoden einzuführen, ist das eine - danach aber aus dem Team eine erfolgreiche Truppe zu schmieden, das andere.
Foto: Nong Mars - shutterstock.com

Kommunikation dient dem Austausch von Informationen.Wir Menschen haben die große Gabe unsere Gedanken differenziert in Worte zu fassen. Doch meinen wir oft, dass man uns verstehen müsse, auch ohne etwas zu sagen, also dass unsere Sicht- oder Denkweise quasi selbstverständlich sei. Über 80 Prozent der Konflikte beruhen auf Missverständnissen und Fehlinterpretationen oder auf nicht geflossenen Informationen. Ursachen liegen im unterschiedlichen Wortgebrauch und der persönlichen Auslegung. Hinzu kommen bei internationalen und verteilten Teams Bedeutungsunterschiede bestimmter Wörter in verschiedenen Sprachen oder lokale Umgangsformen. In der deutschen Kultur werden die Dinge beim Namen genannt. In vielen andere Kulturen spielt der Kontext eine wichtige Rolle. Das kann dazu führen, dass jemand Bedenken anmeldet, weil sie aber nicht ausdrücklich genug benannt werden, können sie nicht einfließen.

Je diverser ein Team aufgestellt ist, umso komplexere Aufgabenstellungen kann es bewältigen. Doch unterschiedliche Menschen bewerten auch Ergebnisse unterschiedlich. Das kann sich aus der Rolle ergeben: Während der Verkäufer mehr Wert auf den niedrigen Preis für den Kunden legt, möchte der Entwickler dem Kunden möglichst höchste Qualität bieten. Es kann aber auch an der Persönlichkeitsstruktur liegen: Für den einen zählt vor allem das Ergebnis, der andere sieht auch die Anstrengung.

Leistung mit Gefühlen

Agile Methoden setzen auf Eigenverantwortung und erfordern starke Ichs. Agile Teams müssen aber akzeptieren, dass sie nur miteinander Ergebnisse erzielen können. Auch die klassischen zwischenmenschlichen Spannungsfelder lösen sich mit dem Einsatz agiler Methoden nicht einfach in Luft auf. Doch der Ergebnisdruck macht es schwierig, diese weichen Themen zur Sprache zu bringen. Je agiler und leaner wir werden, umso unprofessioneller scheint es, sich überhaupt damit zu beschäftigen. Menschliche Regungen werden unterdrückt oder ignoriert. Auch in der Kommunikation werden Zwischentöne, Stimmungen und Nuancen bewusst oder unbewusst übersehen. Dabei spielen Emotionen bei der Leistung eine entscheidende Rolle.

Unternehmen müssen das akzeptieren und in ein stabiles Teamklima investieren, damit individuelle Stimmungseinflüsse für das Team als Ganzes bewältigt werden können. Ist die Atmosphäre des Teams verbunden, unterstützend und förderlich, wirkt sich die negative Stimmung eines Einzelnen seltener negativ auf das Team als Ganzes aus. Umgekehrt würde jede einzelne positive Stimmung die Teamdynamik weiter aufhellen. Ziel ist es, dass sich das agile Team auf der Beziehungsebene selbst steuern kann.

Auf dem Weg von der agilen Methode zum agilen WIR steht an erster Stelle eine Bestandsaufnahme, die die Diversität der Teammitglieder im Hinblick auf Kommunikation, Werte und Arbeitsstil erfasst und die daraus entstehende Teamdynamik sichtbar macht. Transparenz, Verständlichkeit und Wertfreiheit sind bei der Auswahl und Einführung des Instrumentes deshalb sehr wichtig. Sind die persönlichen Sichtweisen aller Teammitglieder gleichermaßen willkommen und werden die individuellen Bedürfnisse ernst genommen, wachsen Toleranz und Wertschätzung für Andersartigkeit. Daraus erwächst die psychologische Sicherheit, dass man nicht bestraft oder bloßgestellt wird, wenn man Ideen, Fragen, Bedenken oder Fehler anspricht. Das Teamergebnis steht und fällt mit dem Maß an psychologischer Sicherheit, welche die Teammitglieder empfinden.

Wesentlich bei der Transformation zum agilen Team ist die Entwicklung eines WIR-Mindsets. Das bedeutet, miteinander gut zu funktionieren, ohne das ICH aufzugeben. Abgesehen von der technischen Expertise, erfordert Agilität Menschen, die daran glauben, dass Zusammenarbeit grundsätzlich wertvoller ist als Einzelanstrengung und danach handeln, um letztendlich als WIR und als Einzelner erfolgreicher zu sein.