DEC: Fehler der Vergangenheit raechen sich in der Gegenwart

28.10.1994

Michael Rotteck, EDV-Berater, Langen

Seit vier Jahren kommt die Digital Equipment Corporation (DEC) nicht aus den Negativ-Schlagzeilen, seit vier Jahren werden jedes Jahr Verluste erwirtschaftet, die bis zum heutigen Tage die stolze Summe von rund sechs Milliarden Dollar aufweisen.

Dass es dieses Unternehmen am Markt ueberhaupt noch gibt, haengt damit zusammen, dass der gute Ruf der von DEC gebauten Computer darunter noch nicht gelitten hat. Zudem war bislang das notwendige finanzielle Polster vorhanden. Doch langsam geht auch das zur Neige.

Zwei Fragen stellen sich in diesem Zusammenhang: Ist die Veraeusserung des Datenbank-Know-hows an Oracle der Hoehepunkt des DEC-Ausverkaufs, oder gibt es noch eine Steigerung? Und vor allem: Wie konnte es dazu kommen?

Die von Ken Olsen gegruendete DEC war von Anfang an eine innovative Computerfirma. Die Maschinen der PDP- und VAX-Familien hatten immer einen sehr guten Ruf am Markt und machten ihren Produzenten zum zweitgroessten DV-Hersteller der Welt. VMS wird heute noch von vielen Entwicklern als das beste Betriebssystem angesehen.

Eine ausgepraegte Staerke von DEC war und ist jedoch die Kommunikation mit anderen Rechnern. DEC hat die Offenheit gegenueber anderen Rechnersystemen zum Prinzip erhoben, und es gab Zeiten, da wurde ein DEC-Rechner nur fuer die Kommunikation zwischen unterschiedlichen IBM-Systemen eingesetzt, weil DEC das einfach besser konnte als Big Blue. Seinen Hoehepunkt erreichte das Unternehmen Mitte bis Ende der 80er Jahre, als die MicroVAX II eingefuehrt wurde. Dieses System wurde nicht verkauft, es wurde den Verkaeufern aus den Haenden gerissen.

Nun kann man allerdings nicht behaupten, dass DEC in dieser Zeit keine Fehler gemacht haette. Vielmehr wurden die Fehlentscheidungen, die damals getroffen wurden, nicht erkannt. Zudem hatten sie keine unmittelbaren Auswirkungen. Aber in der Gegenwart raechen sich die Fehler der Vergangenheit.

Vor allem zu drei Punkten laesst sich Kritik anbringen: Zum einen wurde dem Betriebssystem Unix - im Workstation-Bereich heute die Conditio sine qua non - viel zu spaet erst Beachtung geschenkt. Zweitens klappte der Einstieg in das PC-Geschaeft erst nach dem dritten Versuch.

Und - last, but not least - ist es DEC nie gelungen, Softwarehaeuser an sich zu binden, die kommerzielle Anwendungen erstellen. So wurde DEC zwar von Jahr zu Jahr groesser. Aber die interne Organisation konnte mit diesem Wachstum nicht Schritt halten.

Als andere Hersteller begannen, ueber Vernetzung nachzudenken, hatte DEC bereits die entsprechenden Loesungen. Aber es war dem Unternehmen nicht gelungen, sich im Laufe der Jahre von einer technischen Computerfirma zu einem Anbieter von Applikationsloesungen zu entwikkeln. Obwohl alle Voraussetzungen fuer ein professionelles Auftreten vorhanden waren, ist DEC diesen Bereich immer amateurmaessig angegangen. Es gab kein Konzept, wie man den Markt gemeinsam mit Softwarepartnern haette aufbereiten koennen. Die Basis wurde einfach vergessen!

Als Ken Olsen abtreten musste und Robert Palmer ihn abloeste, ging ein Ruck durch DEC. Nicht mehr die Techniker sollten das Unternehmen steuern, sondern das Marketing. Die Parole hiess: Offenheit gegenueber allen. Der neue Alpha-Chip war dafuer vorgesehen, auch von anderen Herstellern eingesetzt zu werden. Die 64-Bit-Technologie sollte zum Standard werden, und DEC wollte diesen Standard setzen.

DEC tanzte auf allen Hochzeiten. Es gab kaum ein Gremium, in dem das Unternehmen nicht vertreten war. Ueber dieser Euphorie vergass man leider, dass ein neuer Rechner ohne die entsprechende Software nicht zu verkaufen ist. VMS sollte mitsamt den entsprechenden Softwareprodukten auf den Alpha-Chip portiert werden. Aber das gelang nicht so schnell wie geplant. Die Implementierung von Unix auf dem Alpha-Betriebssystem, das OSF/1 genannt wurde, nahm ebenfalls mehr Zeit in Anspruch als veranschlagt. Zudem war die Marketing-Ehe mit Microsoft bezueglich Windows NT keineswegs gluecklich: Sie brachte dem Vertrieb nicht die erwarteten Stueckzahlen ein.

Die grossen Vorhaben, die DEC verkuendet hatte, wurden nicht realisiert. Vielmehr gingen Umsatz und Gewinn zurueck. Das Unternehmen hat seine hochgesteckten Ziele verfehlt, indem es sich verzettelte. Auf diese Weise verlor es schliesslich sein wichtigstes Kapital: das Vertrauen der Kunden und der Softwarehaeuser.

Die Krise, in der DEC heute steckt, ist also selbstverschuldet. Begriffe wie "strategisch" sollte das Management in naechster Zeit nicht mehr in den Mund nehmen. Statt dessen muss es erst einmal Vertrauen schaffen, indem es klipp und klar sagt, welchen Weg es gehen will. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Als reiner Prozessorhersteller wird DEC nicht ueberleben koennen.