Über 3000 Rechner in den Geschäftsstellen zentral versorgt

Debeka favorisiert Linux-Clients

29.03.2002
KOBLENZ (ls) - Linux ist auf den Desktops keine Konkurrenz für Microsoft? Vielleicht doch! Der Versicherungskonzern Debeka betreibt über 3000 zu Smart-Clients reduzierte PCs in den Geschäftsstellen mit dem Open-Source-System.

Anfang 2000 stand bei der Debeka eine Umstellung an: In sämtlichen 25 regionalen und über 230 örtlichen Geschäftsstellen waren überalterte Terminals und DOS-PCs zu ersetzen, auf denen per Terminal-Emulation über Datex-P Host-basierende Anwendungen liefen. Und bei dieser Gelegenheit sollten die Anwendungen eine grafische Benutzeroberfläche erhalten.

Ein im Sommer 2000 gegründetes Projektteam kam bald zu einigen zentralen Anforderungen und wichtigen Erkenntnissen: Anwendungen und Daten sollten weiter auf Systemen in der Koblenzer Zentrale liegen. Die Angestellten in den Geschäftsstellen sollten ihre Applikationen über einen Browser bedienen. Installation der PCs und Pflege der Anwendungen sollten nicht vor Ort nötig, sondern nur remote von Koblenz aus möglich sein - und zwar so, dass die begrenzte Bandbreite im Wide-Area-Netz (WAN) ausreichen würde.

Zunächst war Windows NT der Favorit, insbesondere die Version 4 Embedded. Man hätte sie auf rund 100 MB Volumen abspecken können und zugleich Mechanismen für die Softwareverteilung bekommen. Projektleiter Axel Meyer kam jedoch zu einem pragmatischen Schluss: "Die eigentliche Hauptfrage ist nicht das Betriebssystem, sondern die Administration von über 3000 Rechnern."

Neue Wege nicht gescheutDer langjährige Unix-Kenner, der seit einigen Jahren die Entwicklung von Linux verfolgt hatte, fragte bei Red Hat und Suse nach einem Konzept. Er bekam eins vom Nürnberger Linux-Softwarehaus. Zwar war das kein fertiges Produkt, aber "ein völlig klares Konzept", so Meyer. "Und das beste Argument war, dass Suse das prinzipielle Funktionieren auf einem Notebook vorführen konnte."

Dadurch ermutigt, ließen sich IT-Leitung und Geschäftsführung des Versicherungskonzerns, in dem es bis dato nur Microsoft-basierende PCs gegeben hatte, auf das Linux-Experiment ein. Im April 2001 ging es los. Das Projekt war jederzeit im Plan. "Wir haben innovativ etwas gewagt", so Meyer, "aber wir haben keine schlaflosen Nächte bekommen."

Inzwischen ist das Projekt fast abgeschlossen. In den Geschäftsstellen stehen neue Pentium-III-PCs, mit Festplatten, aber ohne CD- oder Diskettenlaufwerke. Auf den Geräten läuft ein nicht modifiziertes Suse Linux 7.2 mit dem Kernel 2.4, das aber auf die Applikationen der Distribution verzichtet. "Am Quellcode haben wir nichts geändert", erklärt der stellvertretende Projektleiter Michael Kulisch. "Das hätte bei neuen Versionen nur Arbeit gemacht."

Auf den Smart Clients läuft lediglich ein Browser und eine mit Java selbst geschriebene Anwendung. Diese ist eigentlich kaum mehr als eine Terminal-Emulation. Hinzu kommen einige selbst geschriebene Debeka-Anwendungen, die von Web-Servern in Koblenz vorgehalten werden. Außerdem gibt es auf den PCs noch eine ICA-Client-Software von Citrix, um das einzige Windows-Programm, "Easy 2000", verwenden zu können. Alle Daten liegen auf einem Bull-Mainframe in Koblenz. Für die Anbindung der Geschäftsstellen wurde pro zehn Mitarbeiter eine Bandbreite von 64 Kilobit/s kalkuliert.

Der eigentliche Clou aber ist das dahinter verborgene Administrationskonzept. "Wir verteilen keine Software, sondern synchronisieren Systeme", fasst Kulisch zusammen. Und das funktioniert so: Wenn an einer Applikation Änderungen notwendig sind, werden die zunächst in Koblenz auf einem Referenzrechner, der baugleich mit den Clients in den Geschäftsstellen ist, ausgeführt und getestet. Danach werden die Änderungen mit einem Image-Server in der Zentrale synchronisiert. Dazu verwendet man den "Rsync"-Dienst, der nur die neuen Informationen kopiert und komprimiert überträgt.

In der folgenden Nacht klopft der Image-Server bei den Rechnern in den Geschäftsstellen an. Hier gibt es keinen lokalen Haupt- oder LAN-Server, sondern der erste aus dem Stand-by-Modus aufgeweckte lokale Rechner wird mit dem Image-Server synchronisiert. Danach nimmt er automatisch einen Neustart vor und synchronisiert sich nun mit allen Clients in seiner Nachbarschaft. Falls irgendein Fehler auftritt, beginnt der Vorgang, diesmal mit einem anderen Client in der Geschäftsstelle, von vorne.

Das System funktioniert genauso supportfrei, wenn in Geschäftsstellen neue Clients angeschlossen werden. Sie kommen aus einer kleinen Hardwarereserve in Koblenz, wo sie schon installiert und in das zentrale LDAP-Verzeichnis aufgenommen sind. Dieses Lightweight Directory Access Protocol ist faktisch ein datenbankähnlicher Verzeichnisdienst, in dem alle Informationen über das System, beispielsweise Hardwareprofile, Software-Releases der Clients und Netzwerkparameter, verwaltet werden. Notfalls wäre es auch möglich, jungfräuliche Rechner in einer Geschäftsstelle zu platzieren und innerhalb von 30 Minuten remote aus Koblenz zu installieren.

Heute läuft das Linux-Smart-Client-System zur allgemeinen Zufriedenheit. Nicht eingetreten ist die größte Befürchtung während der Testphase, die zwei Verzeichnis-Server in der Koblenzer Zentrale, IBM-Rechner mit jeweils einer Intel-PIII-CPU und 2 GB RAM, könnten überlastet sein. Die Bandbreite im WAN ist ebenfalls unkritisch. Die Antwortzeiten des Systems sind kürzer als vorher kalkuliert. Kulisch: "Da sind die Endbenutzer natürlich sehr zufrieden."

Im First-Level-Support gehen pro Woche durchschnittlich 100 Anrufe von Endbenutzern ein. "Wir hatten mit viel mehr Anfragen gerechnet", freut sich Kulisch. Auch in der Systemadministration ist der Personalbedarf geringer als erwartet; statt gedachter drei reichen zwei Mitarbeiter für die Linux-Administration. Kulisch: "Linux macht nicht mehr Arbeit. Die Administration ist sehr einfach."

Ein Grund ist die, so Projektleiter Meyer, "sprichwörtliche Linux-Stabilität". Drei größere Updates hat das System inzwischen unbeschadet überstanden. Gelegentliche Fehler von Benutzern und in der Administration haben zu keinen gravierenden Problemen geführt.

Auch das Controlling der Debeka dürfte zufrieden sein. Die kalkulierten Projektkosten wurden um zehn Prozent unterboten. Die verbreitete Ansicht, der Vorteil geringerer Lizenzkosten bei Linux werde später durch höheren Supportaufwand zunichte gemacht, trifft angesichts der hohen Systemstabilität und des entsprechend geringeren Personalbedarfs für Administration und Support nach den bisherigen Erfahrungen nicht zu.

"Das Linux-Projekt war ein voller Erfolg", resümiert Meyer. Die Ziele waren nicht überzogen, weil nur eine begrenzte Zahl von Anwendungen auf ein Web-basiertes Konzept umzusetzen war. "Da hat sich Linux bewährt." Diese Erkenntnis findet ihren Niederschlag. Bei der Debeka läuft ein Projekt zum Aufbau eines Intranet - Linux-basierend.

Die DebekaDie Debeka-Gruppe ist längst nicht mehr eine Krankenkasse für Beamte, als die sie 1905 gegründet wurde. Sie besteht heute aus vier Unternehmen, deren Namen das breite Angebot widerspiegeln: Krankenversicherungsverein a.G., Lebensversicherungsverein a.G., Allgemeine Versicherung AG und Bausparkasse AG. Letztere ist inzwischen der finanzstärkste Teil der Gruppe.

Der Koblenzer Konzern hat im Geschäftsjahr 2000 aus Beiträgen 11,5 Milliarden Mark eingenommen. Die Bilanzsumme betrug knapp 60 Milliarden Mark, ein Plus von 12,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Im Versicherungsbereich beträgt die Verwaltungskostenquote 1,7 Prozent. Die Gruppe beschäftigt im Innen- und Außendienst rund 12000 Mitarbeiter.