Thema der Woche/Neue Spielregeln durch das Internet

Das Softwaregeschäft ist für die Verwertung von Freeware bereit

20.08.1999
MÜNCHEN (ws) - Anhänger der Open-Source-Bewegung glauben häufig, daß freie Programme die Softwarebranche revolutioniert hätten. Einiges spricht aber dafür, daß sich das Business selbst gewandelt hat und freie Software nun schließlich doch als preiswerten Technologielieferanten sieht.

Die inzwischen weitverbreitete Begeisterung für freie Software, aber auch die Skepsis, die ihr professionelle Anwender häufig entgegenbringen, haben meist eines gemeinsam: Sie verstehen sich als Reaktionen auf ein vermeintlich neues Phänomen. Dabei ist das Modell der geschlossenen Software keineswegs so alt, wie in der Debatte um OSS häufig angenommen wird.

Software war lange Zeit nur ein Anhängsel für proprietäre Hardware und bot daher keine Grundlage für ein eigenes Geschäft - sie lief nur auf den Systemen eines bestimmten Anbieters und war ohne diese nutzlos. Die meisten Anwendungen wurden damals inklusive Quellcode weitergegeben. Erst die Entkopplung von Hard- und Software machte möglich, daß sich mit Nutzungsrechten für Computerprogramme im großen Maßstab Geld verdienen ließ. Vor allem die massenhafte Verbreitung des PCs in den 80er Jahren schuf eine herstellerunabhängige Plattform, für die Softwarehäuser entwickeln konnten. Der rechtliche Rahmen für das Software-Business kam in den USA 1980 durch die Ausdehnung des Urheberrechts von Druckwerken auf Computerprogramme zustande. Seit 1983 dürfen in den Vereinigten Staaten auch Patente für Software angemeldet werden, während sich in Europa eine derartige Regelung noch nicht durchsetzen konnte. Dieses Thema ist besonders für freie Software brisant, da Patentbesitzer Verletzungen ihrer Rechte - beispielsweise die unerlaubte Nutzung bestimmter Algorithmen - viel leichter reklamieren können, wenn Programme im Quellcode vorliegen. Mit dem Copyright für Software begann Microsofts Aufstieg, aber auch die Zersplitterung von Unix in proprietäre Varianten.

Die Übertragung von Urheberrechtsgesetzen, die zur Zeit des Buchdrucks formuliert wurden, auf Computerprogramme stieß schon früh auf Widerstand. So begann GNU-Gründer Richard Stallman als Pionier freier Software bereits Anfang der 80er Jahre mit der Entwicklung offener Software. Ziel der von ihm mitbegründeten Free Software Foundation war nach dem Verschluß des Unix-Quellcodes durch AT&T die Entwicklung eines freien Unix-Clones - ein Vorhaben, das schließlich in das Linux-Projekt mündete.

Die Entwicklung und Nutzung freier Software blieb lange Zeit eine Domäne der akademischen Welt. Der Erfolg für Freeware kam fast über Nacht. Da stellt sich natürlich die Frage, ob sich die Welt den Idealen von Stallman und Gleichgesinnten anschloß - oder ob sich nicht vielmehr das Softwaregeschäft auf eine Weise geändert hat, die dem Konzept der freien Software entgegenkommt. Nicht nur die rege Geschäftstätigkeit rund um Linux spricht für die zweite These.

Im relativ jungen Software-Business ging es anfangs noch darum, in ein- bis zweijährigem Abstand ein Update in die Regale der Händler zu stellen und dafür vergleichsweise hohe Lizenzgebühren zu verlangen. Das Internet als Distributionsmedium erfordert aber, daß Anbieter mit neuen Produkten sehr schnell eine große Anwenderzahl erreichen; andernfalls riskieren sie, den Markt an die Konkurrenz zu verlieren. Diese Beschleunigung hatte Auswirkungen auf den Preis und den Software-Entwicklungsprozeß.

Es liegt auf der Hand, daß hohe Kosten ein Hemmnis für die schnelle Verbreitung von Programmen sind. Seit Netscape mit der kostenlosen Verteilung seines Web-Browsers an Millionen Nutzer ein neues Verfahren erfolgreich vorexerzierte, verfolgen viele Anbieter ein solches Geschäftsmodell. Es beruht darauf, daß Programme entweder kostenlos oder sehr billig abgegeben werden und Einnahmequellen nachträglich über Zusatzsoftware, Web-Angebote oder Dienstleistungen wie Support entstehen.

Anbieter suchen alternative Einnahmequellen

Ein weiteres Beispiel sind die seit kurzem angepriesenen kostenlosen PCs, deren Nutzung daran gebunden ist, daß der Internet-Zugang dieses Anbieters in Anspruch genommen werden muß - dort will er später seine Einnahmen erzielen. Das ist aber auch das Modell von Firmen, die Geld an Freeware verdienen, weil sich mit derartiger Software ja keine Lizenzeinnahmen erzielen lassen.

Verschont vom Preisverfall blieben bisher Produkte, bei denen der Anbieter eine Monopolstellung hat, oder bei komplexen kaufmännischen und technischen Anwendungen. Paradebeispiel für den ersten Fall ist der Softwareriese Microsoft, der die Preise für Desktop-Betriebssysteme und Büroanwendungen aufgrund seiner Marktposition hoch halten kann. Die Gates-Company repräsentiert das Geschäft mit Lizenzgebühren fast in Reinform und ist schon deswegen der natürliche Gegner der Freeware-Gemeinde. Erst die Anwendung des Copyrights führte dazu, daß der ökonomische Zusammenhang zwischen Stückzahlen und Preis außer Kraft gesetzt werden konnte. Die Vervielfältigung von Software kostet im Vergleich zum Buchdruck fast gar nichts - dennoch macht Bill Gates Kasse, egal ob zehn oder 100 Millionen Windows-Lizenzen verkauft werden.

Eine weitere Veränderung im Softwaregeschäft, nämlich der zunehmende Anteil von Consulting- und Serviceleistungen bei Projekten, kommt ebenfalls dem Einsatz von OSS entgegen. Einer Studie der Gartner Group zufolge belaufen sich bei den DV-Ausgaben von Unternehmen die Kosten von Hard- und Software durchschnittlich nur mehr auf 20 Prozent, der größte Brocken entfällt auf Dienstleistungen. Verantwortlich für diesen Trend ist die steigende Komplexität von Anwendungen, die nicht zuletzt durch die Integration heterogener Systeme entsteht. Wenn also beispielsweise IBM im Rahmen von E-Commerce-Projekten auf den freien Apache-Server zurückgreift, dann fällt der Verlust von Lizenzeinnahmen für ein Produkt aus dem eigenen Portfolio kaum ins Gewicht. Dafür spart sich der Hersteller die Entwicklungskosten und genießt die Vorteile eines bewährten, weitverbreiteten und standardkonformen Produkts. Dies wiederum stärkt die Marktführerschaft der freien Software und trägt dazu bei, Internet-Standards gegen die proprietären Veränderungen eines Anbieters zu schützen - ein Effekt, von dem auch Lösungsanbieter profitieren.

Der geringer werdende Anteil der Lizenzkosten an den gesamten DV-Ausgaben veranlaßt besonders solche Anbieter, freie Software zu nutzen, die vor allem im Servicegeschäft viel verdienen. Es ist daher kein Zufall, daß IBM, Oracle, SAP oder Netscape relativ schnell auf den Linux-Zug aufsprangen, weil sie im Unterschied zu Microsoft oder SCO dabei nicht viel verlieren können.