Intranet und Legacy-Systeme/SAP versucht sich auf neuem Kurs

Das neue R/3 soll nicht nur Internet-Technik bringen

31.01.1997

SAP geht es um mehr als darum, moderne Technik vorweisen zu können. Die neue Version 3.1 soll auch dazu beitragen, den R/3-Nutzerkreis in den Unternehmen auszuweiten. "Zu komplex, zu umfassend, nicht ohne Spezialkenntnisse bedienbar", lauteten bisher die Kommentare von Mitarbeitern ohne spezielles Know-how, wenn sie sich mit den R/3-Masken auseinandersetzen sollten. Auch sie sollen nun die Standardsoftware nutzen können.

Achim Voermanek, bei SAP für Intranet/Internet-Anbindungen zuständig, erläutert die Vorteile und die Nutzergruppe für die neuen Zugänge via Intranet: "Wir wissen durchaus, daß das bisherige User-Interface und die Ausgestaltung der Anwendung für solche Mitarbeiter gemacht sind, die regelmäßig und umfassend mit R/3-Anwendungen arbeiten. Dabei mußte naturgemäß einiges an Information und Auswahlmöglichkeiten untergebracht werden. Die Ergänzungswünsche der Anwender führten dazu, daß mit der Zeit immer mehr in eine Maske hineingepackt wurde. Mit der Intranet-Erweiterung von Release 3.1 entsteht ein Angebot für einen neuen Typ von Anwendern."

"Self-Service-Applikationen" sollen auch gelegentlichen Benutzern Einsatzmöglichkeiten der Software erschließen, die nur bestimmte Leistungen des Riesenprogramms nutzen wollen. Dazu gehören zum Beispiel der vereinfachte Zugriff auf das Rechnungswesen (Sofortberichte), die Eingabe des Projektstatus in die zentrale Projektplanung oder ein Einblick in die Servicesteuerung. Diese Anwendungen sind gegenüber den bisherigen Lösungen deutlich vereinfacht und somit auf diesen Kreis von SAP-Teilanwendern zugeschnitten.

Insgesamt liefert das Release 3.1 mehr als 25 vordefinierte R/3-Intranet- beziehungsweise -Internet-Anwendungen oder vordefinierte Geschäftsabläufe mit. Sie lassen sich als komplette Anwendungen sofort einsetzen oder dienen SAP-Anwendern als Basis für eine Adaption auf spezifische Abläufe.

Ein typisches Szenario einer solchen Intranet-Anwendung sind interne Bestellanforderungen: Ein Mitarbeiter füllt mit seinem WWW-Browser die Maske einer übersichtlichen Bestellanforderung aus.

Diese leitet das System dann an den Einkauf weiter, der daraus eine vollständige Bestellung macht, indem er etwa den Lieferanten, die Bestell- und Lieferkonditionen ergänzt.

Neben dieser Arbeitsteilung hat der Kunde die Möglichkeit, später den Status seiner Bestellung abzurufen. So entsteht eine Art einfacher Workflow-Komponente durch R/3 im Intranet.

Sales-Informationssysteme sind eine weitere Anwendung. Im R/3-System sind zu einem Kunden sehr viele Daten gespeichert. Ein Vertriebsmitarbeiter benötigt davon aber nur einen kleinen Ausschnitt für seine tägliche Arbeit. Dieser Subset von Informationen (etwa Adressen, Umsatz und Auftragseingang) läßt sich als eigene Intranet-Anwendung verfügbar machen.

Durch die Verwendung von HTML (Hypertext Markup Language) und entsprechenden Hyperlinks wird es möglich, im WWW-Browser zwei Anwendungen zu verknüpfen: Durch einen Mausklick erfolgt die Verbindung zu anderen Datenbeständen. Beispielsweise läßt sich aus einem Archiv der Schriftverkehr mit diesem Kunden in die R/3-Anwendung einblenden. Technisch könnte dies etwa durch den Link auf ein Intranet-fähiges Workgroup-System erfolgen.

Auch ohne SAP-GUI im Intranet navigieren

Ein weiteres Szenario wäre ein Mitarbeiterinformationssystem: Ein Teil der Daten, die beim Einsatz von R/3 im Personalwesen gespeichert vorliegen, werden via Intranet für alle Mitarbeiter zugreifbar gemacht. Dazu gehören Telefon- und Faxnummern, die Raumnummer und die E-Mail-Adresse, alles direkt zum Anklicken. Der Vorteil ist ein einheitlicher, konsistenter Datenstand, der im gesamten Unternehmen verfügbar ist.

Neben der inhaltlichen Vereinfachung der Applikation liegt die Neuerung auch darin, daß als Front-end-Software im Intranet nicht die "SAP-GUI Software" auf dem Arbeitsplatzrechner installiert und gepflegt werden muß, sondern ein üblicher Web-Browser als Zugriffssoftware genügt. Schließlich ist das Intranet ja auch definiert als der Einsatz von Internet-Standards und -Software in firmeninternen Netzen.

Wenn Internet-Techniken schon Installations- und Pflegekosten für die Software am Arbeitsplatz einsparen, dann liegt die Frage nahe, ob und wann SAP einen Netzcomputer als Zugriffssystem nutzen wird. Braucht denn jeder User von R/3 auch einen hochgerüsteten PC? Auch die SAP-Entwickler arbeiten, und zwar mit der Programmierumgebung Java, an einer entsprechenden SAP-GUI-Version. Damit würde die Front-end-Software auch auf einer Java-Station laufen. Aber hier heißt es abwarten.

Schnittstellen für andere Softwarehäuser

Die R/3-Architektur wird erweitert: Die Intranet-Anwendungen kommunizieren mit den bestehenden R/3-Modulen über neu eingeführte Schnittstellen, die Business Application Interfaces (Bapi) und die dahinterliegenden Business Objects (BO). SAP definiert Bapi als einen "offenen Standard für die direkte Kommunikation zwischen betriebswirtschaftlichen Anwendungen unterschiedlicher Anbieter".

Das Motiv für soviel Offenheit liegt vermutlich nicht nur darin, anderen Anbietern eine Verbindung zu R/3 zu ermöglichen, sondern auch darin, die eigene, bisher eher monolithische Architektur in Zukunft flexibler und so die Module oder Anwendungen jeweils getrennt voneinander Release-fähig zu machen. Wie ernst diese Ansätze des Unternehmens zu nehmen sind, wird man daran erkennen können, wie intensiv SAP in Zukunft selbst solche Schnittstellen verwendet, speziell um die eigenen Anwendungen und Module zu entflechten.

Die Intranet- und Internet-Anwendungen werden sich entweder so, wie sie sind, verwenden lassen oder entsprechend adaptierbar sein. Diese gegebenenfalls erforderliche Anpassung der Ablauflogik erfolgt in der SAP-Welt mit den dort etablierten Werkzeugen rund um die SAP-Programmiersprache Abap (Advanced Business Application Programming). Die Abbildung der Anwendungen auf das Intranet, nämlich die Erstellung von Intranet-Masken im HTML-Format, ergibt sich daraus dann fast von selbst.

Aus der Anwendung heraus definiert sich der Inhalt der Maske, die der vorgeschaltete Internet Transaction Server (ITS) auf das HTML-Format umsetzt und als Internet-Dienst anbietet. Über Templates läßt sich die Gestaltung der HTML-Seiten beeinflussen. Der auf Windows NT laufende ITS hat noch weitere Funktionen: Er sorgt dafür, daß aus dem "zustandslosen" Internet-Protokoll abgeschlossene R/3-Transaktionen entstehen, und er bietet eine Möglichkeit zur Skalierbarkeit auf große Nutzerzahlen.

Für die erforderliche Sicherheit sorgt, daß die Intranet/Internet-Anwendungen funktional und inhaltlich eingeschränkt sind, Zugriffsrechte vergeben werden und der Internet-Transaction-Server den R/3-Kern abschirmt. Gerade bei der Verlängerung über die Firmengrenze hinaus ist die Integration zusätzlicher Sicherheitselemente unerläßlich. Dazu gehören Firewalls, eine sichere Übertragung nach dem SET-Standard (Standard d'Exchange et de Transfer) und weitere Verschlüsselungs- und Authentifizierungslösungen, die teilweise als Third-Party-Lösungen über die Secure-Network-Communications-Schnittstelle (SNC) integriert werden.

Die jetzt vorgestellte Intranet/ Internet-Anbindung stellt eine Weiterentwicklung der älteren SAP-Automation-Architektur dar, bei der die bisher bestehenden R/3-Transaktionen weitgehend eins zu eins umgesetzt wurden. Die Internet-Anbindung via Automation-Architektur haben viele Anwender nur als eine erste Demo- oder Messeversion interpretiert.

Neben der Abbildung von R/3 in das Intranet gehören zur Version 3.1 auch eine Reihe von Szenarien für die externe Geschäftsabwicklung via Internet. Konsumenten und Geschäftspartner können Produktinformationen, Preise, Lieferbarkeit und Verfügbarkeitsmengen abfragen und gegebenenfalls direkt eine Bestellung absetzen.

IT-Systeme müssen Firmengrenzen durchbrechen

Die Standardsoftware bietet sich auf diesem Weg sogar als System zur Erstellung individualisierter Produktangebote an. Interessenten haben die Möglichkeit, via Internet Produktvarianten selbst zu erzeugen.

Beispielsweise läßt sich eine bestimmte Wunschkonfiguration eines PCs mit einem bestimmten Speicher, einer Festplatte, einem Monitor etc. per Mausklick kombinieren. Das R/3-System des Herstellers prüft, ob diese Version produzierbar ist, was sie kostet und gibt diesen Auftrag bei einer elektronischen Bestellung gleich inklusive Stückliste an das Fertigungssystem weiter.

Entwicklungspartner für den Internet Transaction Server ist die in Grasbrunn bei München angesiedelte Firma Ixos. Gleichwohl kann sich Peter Lipps, Development Manager für Internet Solutions bei Ixos, kritische Anmerkungen zum Intranet nicht ganz verkneifen: "Intranet ist manchmal auch nur die Implementierungsvariante für die weniger wagemutigen IT-Manager."

Denn bei allen Vorteilen, die Intranet-Lösungen mit sich bringen: Die zusätzlichen, neuen Geschäftsmöglichkeiten entstehen, wenn die IT-Systeme über die Firmengrenzen hinaus verlängert werden, "wenn durch eine direkte Anbindung der Konsumenten, der Kunden und Lieferanten an das R/3-System neue Wettbewerbsvorteile durch firmenübergreifende Lösungen und Electronic Commerce ausgeschöpft werden".

Angeklickt

Die Crew von DV-Spezialisten um den SAP-Miteigentümer und Hobbysegler Hasso Plattner hat bewiesen, daß auch sie zu markanten Leistungen fähig ist. Kaum hatten US-Analysten mit Zweifeln an der Zukunftsträchtigkeit von R/3 der allseits lauernden Pressehydra Futter für üble Schlagzeilen zugeworfen, konterte die Mannschaft aus Walldorf mit einem Manöver, das penetranten Nörglern den Wind aus den Segeln nehmen soll. Internet-Technik, Komponentenstrategie etc. "Morning glory" allenthalben? Dieser Beitrag zeigt auf, was die Unternehmen mit dem an Microsoft erinnernden Release 3.1 bekommen.

*Dieter Sinn ist Consultant in München