Novartis konsolidiert die Systeme seines Forschungsbereichs

Das Intranet baut Brücken über Informationsgräben

20.03.1998

"Bitte entlassen Sie nicht gleich Ihren Entwicklungschef, wenn Sie zurückkommen. Was ich Ihnen hier vorgestellt habe, sieht einfach aus, erfordert aber viel Zeit. "Mit diesen Worten beendete Uwe Trinks, verantwortlich für die Infrastruktur des Forschungsinformations-Managements beim Basler Pharmakonzern Novartis, sein Referat auf der Tagung "Rechenzentrum und IT-Management der Zukunft", den das Institute for International Research (IIR) kürzlich in Frankfurt am Main veranstaltete. Trinks 039; Vortrag trug den Titel "Globalisierung von Geschäftsprozessen mit Hilfe des Intranets" und beschrieb, wie sich eine äußerst heterogene Informationslandschaft zu einem unternehmensweiten Wissens-Pool verschmelzen läßt.

Der Forschung- und Entwicklungbereich des 100000 Mitarbeiter zählenden Pharmariesen Novartis beschäftigt an neun Standorten in fünf Ländern (darunter die USA und Japan) rund 3000 Menschen. Koordiniert wird er durch ein globales Forschungs-Management (Research Information Management = RIM). Das ist dringend notwendig, weil Wissenschaftler vor allem mit ihren eigenen Projekten befaßt sind und sich kaum darum kümmern, das Produkt ihrer Arbeit, die gewonnene Information, allgemein zugänglich zu machen.

Trinks hat die Aufgabe übernommen, das RIM in eine funktionstüchtige Infrastruktur einzubetten. Was ihm die Arbeit erschwert, ist die Tatsache, daß Novartis im Forschungsbereich häufig mit externen Firmen zusammenarbeitet. 30 bis 35 Prozent der Gesamtaufwendungen, so berichtet Trinks, werden nach außen vergeben - zumeist an Start-up- oder Spin-off-Unternehmen. 60 Joint-ventures und Kooperationen hat er gezählt.

Zusätzliche Komplexität brachte die Historie des Novartis-Konzerns mit sich. Er entstand vor anderthalb Jahren durch die Fusion zwischen den beiden Pharmaunternehmen Ciba-Geigy und Sandoz. Das größte IT-Problem bei der "Mergerei" bilden, so Trinks, die Datenbanken. Nach der Firmenfusion gab es bei Novartis insgesamt fünf Datenbankapplikationen für Chemie, dazu je drei für Biologie und Genetik - ganz zu schweigen von den drei Mail-Systemen, den unterschiedlichen Desktop-Umgebungen sowie den heterogenen Netzstrukturen.

Solche Redundanzen führen dazu, daß den Mitarbeitern wichtige Informationen entgehen, weshalb sie unter Umstände mehr Arbeit leisten müssen, als notwendig wäre. Also rief das Informations-Management nach Vereinheitlichung. Einem System den Vorzug vor den anderen zu geben hätte aber bedeutet, einen großen Teil der Mitarbeiter vor den Kopf zu stoßen und damit das "NIH"-Syndrom hervorzurufen. Die drei Buchstaben stehen für "not invented here", also "woanders erfunden". Sinngemäß übersetzt bedeuten sie: "Damit haben wir nichts zu schaffen. "

Die Lösung, die Trinks und seine Mitarbeiter fanden, bestand darin, daß sie die existierenden Systeme zunächst einfach so ließen, wie sie waren, und ihnen eine neue Benutzerschnittstelle aufsetzten: einen marktgängigen Web-Browser. "Für den Anwender bedeutet das User-Interface die Applikation", erläuterte Trinks. Im Vergleich mit einer "woanders erfundenen" werde eine neue Anwendung von den Mitarbeitern viel leichter akzeptiert.

Zumindest für den Ciba-Zweig von Novartis ist das wissenschaftliche Intranet bereits ein alter Hut. Schon 1985 gab es dort ein erstes TCP/IP-Netz, das vier Jahre später bereits unterschiedliche Betriebssysteme wie MVS, VMS und DOS vereinte. 1994 hatte Ciba mehrere interne Web-Server im Einsatz und eine Organisation für den Intranet-Betrieb geschaffen. Was lag also näher, als das Intranet zur Plattform für die unterschiedlichen Forschungsinformationen zu machen?

Das Ziel, das Trinks verfolgt, ist eine elektronische Bibliothek. 27 Mitarbeiter sind derzeit allein damit beschäftigt, zusätzlich zu den selbsterzeugten auch käuflich erworbene Informationen in das Library-System einzufügen. Als Dokumenten-Management-System dient das Produkt "EDMS" von Documentum. Über den Web-Zugang sind selbstverständlich auch externe Datenbanken erreichbar. Und dank der standardisierten Internet-Technik lassen sich - über Gateways - sogar die Systeme der Partnerfirmen anbinden.

Trinks will den Novartis-Forschern keineswegs nur statische Dokumente anbieten, sondern auch Applikationen bereitstellen, die den Wissenschaftlern die Arbeit erleichtern. Dazu gehört beispielsweise ein Programm, das untersucht, ob eine geplante chemische Struktur innerhalb des Unternehmens schon einmal realisiert wurde.

Für die Anwendungsentwicklung kommt die Websprache Java zum Einsatz, für Trinks eine "Schlüsseltechnik". Nicht nur, daß sie es erlaubt, relativ schnell und problemlos Web-Applikationen zu entwickeln. Vielmehr sind in dieser Sprache geschriebene Applets ("Beans") auch von externen Entwicklern zu haben. Teilweise stehen sie sogar zum kostenlosen Herunterladen im Internet bereit. Allerdings ist es laut Trinks ziemlich zeitaufwendig, die passenden Anwendungsfragmente zu finden, um sie, wie es der Novartis-Manager scherzhaft formulierte, "zu kaufen, zu leihen oder zu stehlen".

Der Informationsspezialist ist sich dessen bewußt, daß die Vereinheitlichung der IT-Systeme keineswegs schon dadurch erreicht ist, daß die vorhandenen Informationen im Intranet zur Verfügung stehen. Doch sollte dieses Zwischenziel auch nicht unterschätzt werden. Schließlich ist die Pharmaforschung ein Unternehmensbereich, der als einziges Produkt Informationen hervorbringt.

Eindringlich warnte Trinks davor, die heterogene Umgebung im Hauruck-Verfahren integrieren zu wollen: "Finger weg von den Datenbanken!Die zu verändern kostet Zeit. "Das gelte in noch stärkerem Maße für die Netzwerke. Im ersten Schritt sei es deshalb sinnvoll, einfache, globale Interfaces zu entwickeln. Hier bieten sich ebenfalls die Internet-Technik und ihre Standards an. Trinks empfiehlt, die verwendeten Protokolle auf TCP/IP und Netbios zu reduzieren. Außerdem plädiert er dafür, jedes E-Mail-System abzuschalten, das nicht mit dem Simple Mail Transfer Protocol (SMTP) und der Multipurpose Internet Mail Extension (Mime) arbeitet.

Sehr behutsam hat die Novartis-Forschung mittlerweile begonnen, ihre Systeme zu konsolidieren, sprich: die Applikationen von den Datenbanken zu trennen, die Netze neu zu entwerfen, die Internet-Gateways auszubauen und die Mail-Systeme auf eine Groupware-Lösung ("Lotus Notes") umzustellen.

Langfristig planen die Pharmaforscher eine neue Infrastruktur - mit einer einheitlichen Datenarchitektur, einem Middleware-Layer, globalen Web-Interfaces sowie einer neuen Desktop-Umgebung auf der Basis von Windows NT. Die Middleware-Schicht, die sich unter anderem aus einer Persistenz-Maschine und einem Object Request Broker gemäß Corba-Standard zusammensetzt, soll das System flexibel und anpaßbar machen.

So schnell und einfach, wie es sich hier liest, läßt sich eine derartige Umgebung jedoch nicht realisieren. "Seit zwei Jahren arbeiten wir unter Hochdruck an der Infrastruktur", bekannte Trinks. Und ein Ende dieser Arbeit sei noch nicht abzusehen.

Der Macher

Uwe Trinks, Tumorforscher a. D.

Promoviert hat Uwe Trinks im Fach Organische Chemie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich. An der ebenso renommierten Stanford University vervollkommnete der heute 39jährige seine Ausbildung, um anschließend sieben Jahre lang in der Tumorforschung bei Ciba-Geigy in Basel zu arbeiten. 1993 wechselte er jedoch sein Arbeitsgebiet und übernahm den Bereich Informatik für die Pharmaforschung des Unternehmens. An dessen Intranet arbeitete er maßgeblich mit. Seit der Fusion von Ciba-Geigy und Sandoz leitet Trinks das Research Information Management (RIM) für Novartis Pharmaceuticals in den USA. Außerdem zeichnet er weltweit für die RIM-Infrastruktur der Novartis-Forschung verantwortlich.