Sex, Drugs & Ransomware

Darknet - Zugang zu Freiheit und Verbrechen

12.09.2016
Von 


Richard Werner ist Business Consultant bei Trend Micro. Bis Mitte 2016 war er Product Marketing Manager EMEA bei diesem Security-Anbieter. In dieser Position verantwortete er die Produkteinführung von Endpunkt-Lösungen von Trend Micro. Davor hatte Werner, der seit 2000 im Unternehmen ist, verschiedene leitende Positionen im Vertrieb inne, insbesondere im Post- und Presales-Support. Unter anderem war er Leiter des Presales-Teams für die zentraleuropäische Region sowie Senior Sales Engineer.

Darknet-Seiten: Drogen, Waffen, Auftragsmord

Neben den legitimen Gründen dafür, den Umweg über das Darknet zu gehen, findet man dort eben auch strafbare Dinge, deren Palette so lang ist wie die Geschichte des Verbrechens an sich. Denn das Darknet ermöglicht komplette Anonymisierung und erlaubt es so jedem, seine Gedanken, Fantasien, Vorstellungen und Ideen mit allen anderen zu teilen - ohne Rückverfolgungsmöglichkeit. Wie schon Immanuel Kant sagte: "Phantasie ist unser guter Genius oder unser Dämon". Das Angebot im Darknet reicht von Drogen und Waffen über Schadsoftware, gefälschte Ausweise und Falschgeld bis hin zu Auftragsmorden, Kinderpornographie und dem Verzehr von Menschenfleisch.

Vieles davon ist dabei so gut organisiert, dass selbst technisch unausgebildete Nutzer an solchen Geschäften teilhaben können. Zwar gab es diese verbrecherischen, beziehungsweise illegalen Strömungen schon immer - das Darknet verleiht dem Ganzen jedoch eine neue Dimension. Hier finden Anbieter ein riesiges Publikum und Interessenten ein großes Angebot.

Zusätzlich ermöglichen Cyberwährungen wie Bitcoin einen wesentlich besser geschützten Geldverkehr. Wo beispielsweise Überweisungen über das klassische Bankensystem nachvollziehbar sind, ist das bei Bitcoin nicht der Fall: Hier fehlt die Bindung an eine Person. Es ist schlicht nicht nachvollziehbar, wem die digitalen Geldbörsen gehören, zwischen denen Geld hin- und herfließt. Die Beteiligten können also auch größere Beträge ansparen oder erwirtschaften, ohne dass das nachvollziehbar ist. Selten wurde es Verbrechern so einfach gemacht, ihre verwerflichen Dienste zu Geld zu machen. Beispiel Auftragsmorde: Der Auftraggeber sucht jemanden, der einer Person Schaden zufügt. Früher musste man sich dazu in ein vermutlich recht "halbseidenes" Milieu begeben, ständig auf der Hut vor verdeckten Ermittlern. War "die Sache" erledigt, blieb immer noch die Frage der Geldübergabe - die einem aufmerksamen Mitarbeiter einer Bank auffallen oder auf sonstigen Umwegen zum Bumerang werden konnte, weil der Täter Details seines Auftraggebers kannte. Heute geht dieser Auftraggeber ins Internet und beschreibt auf einschlägigen Webseiten sein Ziel. Das Geld wird in Form von Online-Währungen bei einem "Treuhänder" hinterlegt und erst bei erfolgreicher Durchführung ausbezahlt.

Das Internet wäre nicht das Internet, wenn es keinerlei Auswüchse gäbe, die nur im virtuellen Raum möglich sind. So gibt es beispielsweise eine Website, auf der man Morde für Personen des öffentlichen Lebens beauftragen kann. Da solche Morde schwer ausführbar und mit noch mehr Risiko behaftet sind, war dem Ersteller der Website wohl die geforderte Summe zu hoch. Er bietet es nun der Internetgemeinde an, Beträge in beliebiger Höhe auf einem Konto zu parken. Die Summe wird dann dort dargestellt und kann beliebig hoch werden. Mörder müssen lediglich das geplante Morddatum und sowie die Todesart hinterlegen und können dann bei "Erfolg" den Betrag für sich beanspruchen. Ob es sich hierbei tatsächlich um eine Art "Crowdfunding-Mordplattform" oder nur um einen ziemlich schlechten Scherz handelt, konnte bislang nicht endgültig geklärt werden.

Organisierte Kriminalität 2.0

Die Anonymität des Darknet ermöglicht auch eine neue Form der organisierten Kriminalität. Dank der bereits angesprochenen Online-Währungen und der Möglichkeit zur anonymen Geldübergabe können kriminelle Tätigkeiten mit Hilfe des Darknet fast schon betriebswirtschaftlich organisiert werden. Ein gutes Beispiel ist die aktuelle Ransomware-Welle: Betrachtet man die Einzelkomponenten, so fällt auf, dass sich Varianten von Ransomware - auch unterschiedlicher Ransomware-Familien - in einigen Punkten durchaus überschneiden. Die jeweiligen Komponenten werden dabei selten unabhängig voneinander entwickelt, sondern schlicht und einfach wie bei einem Baukastensystem zusammengesetzt.

Und auch hierfür gibt es jede Menge Dienstleistungen: Ob nun die Schadsoftware selbst, die Verschlüsselungsroutine, der Verteilmechanismus oder die E-Mail-Adressdatenbank - alles kann man über die dunklen Kanäle des Internets erwerben. Selbst Übersetzungsdienste oder Mitarbeiter von Telefon- oder Chat-Hotlines: Alles erhält man, um sich seine eigenen Varianten und Vorgehensweisen zusammen zu basteln. Dank Bitcoin und "Treuhändern", die erst nach Bestätigung einer erbrachten Dienstleistung den festgelegten Betrag auszahlen, benötigt man nicht einmal mehr den Arm des Gesetzes, um sich sicher zu sein, dass man erhält, wofür man bezahlt. Und seinem (mitunter unangenehmem) Gegenüber muss man dabei auch nicht mehr in die Augen schauen. Mit etwas organisatorischem Verstand und einer großen Portion krimineller Energie können deshalb auch Personen ohne ausgeprägte, technische Kenntnisse relativ einfach in die Welt der organisierten Cyberkriminalität einsteigen.

Vorsicht ist dabei dennoch jederzeit geboten, denn auch Kriminelle in der Online-Welt haben eine Methode, zurückzuschlagen, wenn man einen der ihren austrickst oder verärgert: Das sogenannte "Doxing" bezeichnet die Bloßstellung einer Person, die in den Augen der "Community" einen Fehler gemacht oder "ungebührliches Verhalten" an den Tag gelegt hat. Diese Person wird dann mit wahren oder auch erfundenen Tatsachen öffentlich bloß gestellt. Sprich: Ihre Identität sowie möglichst viele persönliche Details werden öffentlich gemacht. Dies kann im Extremfall zu ernstzunehmenden Schwierigkeiten führen, denn wie gesagt: Im Darknet gibt es weder Gesetz noch Grenzen.

Darknet: "Die rote oder die blaue Pille?"

Wenn diese Auswüchse bekannt sind, warum unternimmt eigentlich niemand etwas dagegen? Die Antwort liegt in der "wahren Macht des Internets": Menschen, die miteinander in Kontakt kommen, stellen fest, dass sie mit manchen Problemen nicht alleine sind. Hat eine kritische Masse dasselbe Problem, ist es vielleicht gar kein Problem mehr. Siehe Homosexualität, die in manchen Ländern der Welt auch heutzutage noch nicht frei gelebt werden kann. Dasselbe gilt für die Meinungsfreiheit, die in manchen Teilen der Erde erst durch das Internet - und insbesondere das Darknet - möglich wird. Der dunkle Teil des Internets steht also genauso für grenzenloses Verbrechen, wie für grenzenlose Freiheit.

Selbst wenn durch eine Zerschlagung des Deep Web, beziehungsweise Darknet, viele Verbrechen verhindert würden, stellt sich die Frage, ob man auch die grenzenlose Freiheit wirklich aufgeben will. Es ist eine Diskussion, die an den Hollywood-Blockbuster "Matrix" erinnert: Am Ende hängt unser Schicksal von uns selbst ab, von unserem Werteverständnis, unserer Bereitschaft "Gut und Böse" zu unterscheiden. Das Internet sorgt dafür, dass dies zur persönlichen, individuellen Entscheidung wird, auf die keine Gesellschaft mehr Einfluss nimmt. (fm)

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