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Cybersicherheit braucht mehr Kooperation

30.11.2022
Von   IDG ExpertenNetzwerk
Dino Huber ist seit 2021 CEO der Deutschen Gesellschaft für Cybersicherheit (DGC). Er unterstützt nationale und internationale Unternehmen und Behörden beim IT-bezogenen Risikomanagement u.a. durch simulierte Hackerangriffe, mit Security Awareness Training und Beratung zu Sicherheitsstandards. Der Autor bringt jahrzehntelange Erfahrung im IT-Bereich mit, inbesondere in der Rüstungs- und Verteidigungsindustrie, wo er international für IT- und Infrastruktur-Projekte im Einsatz war. Er verantwortete zudem als Managing Director einen namhaften IT Defense Services-Provider.
Der Bedarf an IT-Knowhow ist bei Unternehmen und Behörden angesichts steigender Cyberkriminalität und digitaler Transformation groß. Höchste Zeit, über Kooperationen nachzudenken.
Eine Elefantenherde beschützt gemeinsam ein Kleines. Kooperationen im Cybersecurity-Segment können ebenfalls dazu beitragen, den Schutz zu erhöhen.
Eine Elefantenherde beschützt gemeinsam ein Kleines. Kooperationen im Cybersecurity-Segment können ebenfalls dazu beitragen, den Schutz zu erhöhen.
Foto: Henrico Muller - shutterstock.com

Neun von zehn Unternehmen in Deutschland werden laut Bitkom Opfer von Datendiebstahl, Spionage oder Sabotage. Die Angriffe aus Russland und China nehmen zu und die organisierte Kriminalität bei den Attacken wächst.

Der Schaden, allein für die deutsche Wirtschaft, ist enorm: Durch digitalen Datendiebstahl, Cyberspionage und -sabotage sind der Wirtschaft im laufenden Jahr rund 203 Milliarden Euro Kosten entstanden. Laut Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) kommen täglich mehr als 300.000 neue Varianten von Schadprogrammen in Umlauf, um Daten auf Rechnern und in Servernetzwerken von Nutzern unauflöslich zu codieren und damit unzugänglich zu machen. Gleichzeitig wächst seitens der Wirtschaft nicht nur die Nachfrage nach Cybersicherheit, sondern auch nach Cloud-Transformation, IT-Modernisierung, Data Analytics, Customer Experience sowie der Entwicklung und Implementierung von Software.

Schulterschluss gegen Know-how-Mangel

Angesichts dieser zahlreichen und vielfältigen Anforderungen hilft Unternehmen vor allem eines: sich vernetzen. Das gilt ebenso für den Kampf gegen stetig wachsende Bedrohungen aus dem Netz wie für die Umsetzung der digitalen Transformation. Denn wenn interne Prozesse optimiert und automatisiert werden sollen, um Kosten zu sparen, gleichzeitig aber auch neue digitale und datenbasierte Produkte, Services und Geschäftsmodelle aufgebaut werden sollen, dann erfordert das ausreichendes, sich ständig erneuerndes Know-how und Kapazitäten.

Vom Umgang mit einer meist vielfältigen Systemlandschaft, deren genutzte Tools Unmengen von Daten produzieren, ganz abgesehen. Eine Herkulesaufgabe für die IT-Abteilung eines Unternehmens - erst recht in Zeiten von IT-Fachkräftemangel, hybridem Arbeiten und wachsenden Compliance-Anforderungen. Gezielte Kooperationen können hier eine sinnvolle Lösung sein.

Wenn sich IT-Dienstleister, Systemhäuser oder Hersteller für die Entwicklung bestimmter Produkte oder Leistungen zusammenschließen, gewinnen alle Beteiligten, denn sie können:

  • Synergien nutzen,

  • ihr Know-how gewinnbringend vereinen,

  • neue Produkte schneller entwickeln und anbieten,

  • ihr Portfolio sinnvoll ergänzen und

  • Herausforderungen in Sachen Cybersicherheit oder Digitalisierung besser begegnen.

Bündelung von Kompetenzen und klare Aufteilung

Der Kunde verhandelt im Falle einer Kooperation dennoch nur mit einem Ansprechpartner, nämlich mit dem Dienstleister, bei dem er zuvor bereits Kunde war. Auch wenn die Services ineinander übergehen, bleiben die Ansprechpartner in der Regel nach Themen klar getrennt. Der Kunde gewinnt also entweder neue Dienstleistungen oder technische Erweiterungen hinzu, ohne dafür einen weiteren Anbieter in Anspruch nehmen zu müssen. Das bedeutet auch, dass sein Dienstleister, der die Leistung erbringt, ihm gegenüber verantwortlich ist und haftbar gemacht werden kann. Solche Kooperationen gibt es bereits für verschiedene Marktsegmente, u.a. im IT Outsourcing und in der IT Security, dann meist auf Seiten der Großkonzerne, weniger im Mittelstand.

Lösungen zum Thema Cybersicherheit sind übrigens trotz Konkurrenz oft gleichwertig und abgestimmt, auch die Interessen in Sicherheitsfragen werden geteilt. Es ist zu erwarten, dass künftig sogenannte Managed Security Service Provider (MSSP) die gemanagte Netzwerk-Security-Dienste anbieten, ihre Kompetenzen noch stärker bündeln. Kompetenzen zu bündeln und vom Know-how des anderen zu profitieren, um gemeinsam Entwicklungen voranzubringen und technische Fortschritte zu erzielen, ist übrigens nichts, was sich auf das Thema Cybersicherheit beschränkt.

Erst 2020 schlossen der Automobilhersteller Mercedes-Benz und der US-Chiphersteller Nvidia eine Entwicklungspartnerschaft. Ab 2024 wollen beide Unternehmen gemeinsame Softwarepakete für automatisierte Fahrfunktionen auf den Markt bringen. Dafür bauen Mercedes und Nvidia künftig zusammen Datenzentren und Autocomputer, entwickeln gemeinsam den gesamten Workflow und zugehörige Anwendungen. Mercedes wird für seine Produkte von der führenden Technologie des Chipherstellers profitieren, Nvidia von der langfristigen lukrativen Bindung. Angesichts von Lieferkettenproblemen, Rohstoff-Engpässen und zunehmenden Widrigkeiten, die das Weltgeschehen mit sich bringt, sind auch in diesem Bereich Kooperationen ein Mittel zur langfristigen Sicherung der Zukunftsfähigkeit.

Lesetipp: Kooperation mit der Konkurrenz soll besser werden - Microsoft räumt Fehlverhalten im Cloud-Markt ein

Offenheit und Anpassungsfähigkeit ist gefragt

Denn die Bedrohung der eigenen Marktposition lauert nicht nur täglich im Netz, sondern eben auch im solitären Silodenken. Für Kooperationen braucht es ein entsprechendes Mindset: Es gilt, als Unternehmer offen zu sein und Transparenz zu schaffen statt Einblicke zu fürchten. Das beginnt damit, den Kontakt zu Unternehmen aus der gleichen Branche oder ergänzenden Branchen zu suchen und sich regelmäßig auszutauschen. Aus diesem Austausch können sich Ideen entwickeln, wo Zusammenarbeit Sinn macht und Nutzen bringt.

Eines muss dabei allerdings immer klar sein: Eine Implementierung gemeinsamer Lösungen in Copy-Paste-Manier ist nicht machbar. Trotz Austausch und der Idee einer "geteilten" Lösung muss jeder Partner seine Prozesse und Verfahren entsprechend anpassen - denn jedes Unternehmen tickt anders, auch wenn es in derselben Branche beheimatet ist.

Durch wirtschaftliche Kooperationen entstehen dennoch wertvolle Synergieeffekte für beide Seiten: Die Partner können nicht nur ihr Portfolio vergrößern, sondern auch komplexere Kundenaufträge annehmen. Die gegenseitige Unterstützung bei der Umsetzung eines gemeinsamen Produkts oder auch die Empfehlungen und das Feedback, die der Blick von außen auf das eigene Handeln mit sich bringt, fördern die eigene Weiterentwicklung, verbessern die Performance und vergrößern die Chancen auf Aufträge und Umsätze. Hinzu kommt, dass die Wissensbündelung zu einem stärkeren Gesamtlösungskonzept für Kunden führt und schnellere Reaktionszeiten ermöglicht.

Auch Regierungen haben für sich den Vorteil vom Schulterschluss erkannt. Für ein funktionierendes IT-Krisenmanagement haben sich die sogenannten Computer Emergency Response Teams (CERTs) europäischer Regierungen branchenübergreifend mit der Wirtschaft in einem Verbund zusammengeschlossen, um sich regelmäßig zu Sicherheitsvorfällen auszutauschen, die eine zweite Meinung erfordern. Damit wird die Handlungsfähigkeit aller Partner gestärkt, denn gemeinsam erarbeitet man Mechanismen und Prozesse für den Fall eines Cyberangriffs und erprobt diese.

Ein anderes Beispiel ist die Kooperation von Behörden innerhalb eines Landes, wie die des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) mit dem Bundeskartellamt zur Stärkung des Digitalen Verbraucherschutzes. Ein erstes Projekt ist hier die Sektoruntersuchung Messenger- und Videodienste, bei der das BSI seine technische Expertise einbringt und das Bundeskartellamt die wachsende Marktkonzentration auf wenige große Messenger-Anbieter und daraus resultierende Netzwerk- und Lock-In-Effekte unter die Lupe nimmt. Dabei geht es auch um die Standardisierung eines Kommunikationsprotokolls, das eine Interoperabilität verschiedener Messenger bei gleichzeitiger Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nach dem Stand der Technik ermöglicht. Ziel ist eine größere Nutzerfreundlichkeit bei gleichzeitig hoher Sicherheit von Messengerdiensten. Profiteure dieser Kooperation sind die Verbraucherinnen und Verbraucher.

Gesamtheitliche Lösungen werden in vielen Bereichen dringend benötigt. Es macht Sinn, sich hervorragend ergänzende Stärken zu bündeln und zu kooperieren statt zu konkurrieren. Fakt ist: Die Herausforderungen unserer Zeit, ob zum Schutz oder zur Weiterentwicklung, meistern wir besser im Zusammenschluss als im Einzelkampf. (bw)