COO Ariko: Keine Solaris-Einbahnstraße in Sicht

COO Ariko: Keine Solaris-Einbahnstraße in Sicht Netscapes Server-Software bleibt plattformunabhängig

22.01.1999
Noch ist die Übernahme von Netscape durch America Online (AOL) nicht abgeschlossen. Trotzdem skizzierte Netscapes Chief Operating Officer Barry Ariko im Gespräch mit CW-Redakteur Frank Niemann, wie sich der Internet-Pionier im Dreiecksverhältnis mit der zukünftigen Mutter AOL und dem Vertriebs- und Entwicklungspartner Sun aufstellen will. Ariko gehört dem Unternehmen seit August 1998 an.

CW: AOL bedient den Konsumentenmarkt, Netscape verkauft hauptsächlich Server-Software für professionelle Anwender. Wie lassen sich die verschiedenen Kulturen beider Firmen in Einklang bringen?

Ariko: Ich sehe da keine Probleme. AOL gliedert Netscape zwar als hundertprozentige Tochter ein, beide Unternehmen werden jedoch nicht miteinander verwoben. Die Mitarbeiter müssen nicht ihren Arbeitsplatz wechseln.

CW: Bleibt der Firmenname Netscape erhalten?

Ariko: Ja. In welcher Form, steht allerdings noch nicht fest.

CW: Was wird sich an der Firmenstruktur von Netscape ändern?

Ariko: Auch in Zukunft wird es zwei Geschäftsfelder geben: das Web-Portal Netcenter und den Bereich Enterprise Software und Services. Letzterer untersteht meiner Führung. Ich berichte wiederum an den AOL-Präsidenten Bob Pittman. Netcenter untersteht Mike Homer, der ebenfalls an Pittman berichtet.

CW: Im vierten Quartal des vergangenen Geschäftsjahres stieg der Umsatz Ihres Netcenter-Portals gegenüber dem vorangegangenen Quartal um 24 Prozent, während der Bereich Enterprise Software und Services nur um zwei Prozent zulegte. Was ist schiefgelaufen?

Ariko: Unser Netcenter-Portal wächst sehr schnell. Ich wurde an Bord geholt, um das Geschäft mit Server-Software anzukurbeln.

CW: Werden die Entwicklungsabteilungen von AOL und Netscape zusammengelegt?

Ariko: Die Programmierer beider Firmen werden zwar auf einigen Gebieten zusammenarbeiten, ich glaube aber nicht an eine Zusammenlegung der Teams. In erster Linie wird Netscape die Enterprise-Software weiterentwickeln.

CW: Wer hat denn bei der Entwicklung das Sagen, und welches Mitspracherecht hat Sun?

Ariko: Bei der Entwicklung neuer Produkte hält AOLs CEO Steve Case das Zepter in der Hand. Da Sun eine Menge Geld dafür bezahlt hat, gemeinsam mit AOL/Netscape Produkte zu entwickeln, sind wir bemüht, auch sie zufriedenzustellen.

CW: Trifft es zu, daß AOL weiterhin den Consumermarkt bedienen will, während Sun und Netscape das Profi-Geschäft abdecken?

Ariko: Nein, so einfach läßt sich das nicht darstellen. Sun hat großes Interesse an unserer Browser-Technik. Beispielsweise möchten sie die Software an alternative Endgeräte anpassen. Dabei kommt Java ins Spiel. Steve Case tritt ebenfalls für die Weiterentwicklung unseres "Communicator" ein. So soll es eine für AOL optimierte Version des Web-Clients geben. Der Online-Dienst möchte zukünftig als Lösungsanbieter für Web-Shops auftreten und benötigt dafür das Know-how und die Produkte sowohl von Sun als auch von Netscape. Dazu baut AOL seine Netzinfrastruktur mit unserer Technik aus. Außerdem werden Netcenter und die anderen Portale von America Online zukünftig auch für Firmenkunden attraktiv sein.

CW: Bleibt nicht eher alles beim alten: Netcenter als Portal für die Profis und AOL als Kanal für Konsumenten?

Ariko: AOL möchte mehrere Internet-Markennamen etablieren. Neben seinem eigenen Portal Aol.com besitzt das Unternehmen durch die Übernahme von Compuserve und Mirabilis weitere namhafte Marken im Web. Jeder dieser Dienste deckt ein bestimmtes Kundensegment ab.

CW: Ist Sun exklusiver Vertriebspartner der Server-Produkte von Netscape?

Ariko: Nein.

CW: Wie wollen Sie sicherstellen, daß nach dem Deal mit Sun Netscape-Kunden, die beispielsweise Windows NT oder HP-UX einsetzen, den gleichen Support bekommen?

Ariko: Vertragsbedingung mit Sun war, daß alle Netscape-Produkte weiterhin mehrere Plattformen unterstützen. Anwender, die andere Betriebssysteme als Solaris verwenden, haben keine Nachteile zu befürchten.

CW: Sun verfügt kaum über Erfahrung mit E-Commerce-Lösungen. Braucht Netscape nicht noch andere Partner, die mehr von diesem Geschäft verstehen, wie etwa Oracle?

Ariko: Nichts in der Vereinbarung zwischen Sun und AOL/Netscape schließt weitere Partnerschaften aus. Tatsache ist aber, daß rund 70 Prozent der Netscape-Kunden Solaris einsetzen. Wir werden Sun beim Aufbau des E-Commerce-Geschäfts helfen, indem wir ihnen bei Produktentwicklung, Marketing und Vertrieb zur Seite stehen.

CW: Das Portfolio von Sun und Netscape überlappt sich teilweise, zum Beispiel bei Messaging-Produkten. Wie halten Sie es damit?

Ariko: Sun muß entscheiden, wie sie damit umgehen. Doch bevor die Übernahme nicht unter Dach und Fach ist, wird das Unternehmen wohl kaum dazu Stellung beziehen.

CW: Wird Netscape zukünftig Java-Software ê la "Esuite" von Lotus entwickeln?

Ariko: Nein, das glaube ich nicht. Unser Java-Engagement wird sich auf den Browser beschränken.

CW: Netscape verkauft seine Server-Produkte unter anderem an Carrier und Internet-Service-Provider. Letztes Jahr schlossen Sie Deals mit einer Reihe europäischer Anbieter. Ihre zukünftige Muttergesellschaft AOL ist aber selbst Provider. Wie werden Sie in Zukunft das Carrier-Geschäft handhaben?

Ariko: Wir möchten auch weiterhin Server-Technik an diese Unternehmen verkaufen. Es ist nicht AOLs Wunsch, die Net- scape- Software nur für die eigene Infrastruktur zu optimieren. Da, wie schon gesagt, viele Sun-Kunden gleichzeitig unsere Software verwenden, sind alle drei Firmen bemüht, diese Geschäftsbeziehungen zu erhalten.

CW: Können Sie zukünftige Entwicklungslinien bei der Server- Software aufzeichnen?

Ariko: Wir werden neue E-Commerce-Server auf Basis unseres jetzigen Angebots entwickeln, beispielsweise Software für die Rechnungsstellung im Internet sowie Systeme für den elektronischen Handel.