Stillstand mit Intelligenz und Mobilität überwinden

Comdex '92: PC gibt Impulse für die Gesamte DV-Industrie

27.11.1992

LAS VEGAS - Was die "amerikanische CeBIT" im Spielerparadies Las Vegas noch vor Jahren zur Messe für Freaks abgestempelt hätte, macht sie heute zum Trendbarometer der gesamten DV-Industrie: der PC, der als Portable oder als Desktop-Gerät immer stärker in die Unternehmensorganisation integriert wird. "Usability", etwa durch Windows, ist kein Marketing-Schlagwort mehr - Gewinner, dies zeigte die Comdex '92, ist der Anwender (siehe auch Kolumne, Seite 9).

Mit der Rekordbeteiligung von 135 000 Besuchern war die Comdex für den Veranstalter The Interface Group ein Erfolg. 2000 Aussteller - auch dies ein neuer Rekord - präsentierten ihre Produkte in der Convention Hall und zusätzlichen Hotel-Exhibitions. Einig war man sich in Ausstellerkreisen, daß sich die Konjunktur für die DV-Branche in den USA merklich verbessert habe, was auch - so der Tenor - auf den Clinton-Sieg bei der Präsidentschaftswahl zurückzuführen sei.

Messe-Highlights '92: Windows und Multimedia

Integrierte PC-Lösungen für kommerzielle Anwendungen standen auf der Comdex eindeutig im Vordergrund. Dabei erwiesen sich neben Windows-Anwendungen vor allem Multimedia-Applikationen und tragbare Minirechner als Messe-Highlights. Daß Client-Server- und Networking-Konzepte nicht besonders herausgestellt wurden, werteten Messebeobachter keineswegs als Absage an perfektionistische Langfrist-Planer, vielmehr erweise sich die Alternative der kleinen Schritte als einzig gangbarer Weg. Die Fortschritte bei der Miniaturisierung sowie der Übertragungstechnologie ließen sich nur so in konkreten Anwendungsnutzen umsetzen. Basis sei immer der PC, der als Entwicklungs-Tool das Software-Engineering enorm vorangebracht habe, wie Borland-Chef Philippe Kahn in seiner Comdex-Eröffnungsrede betonte.

"Making it easier", mit diesem Slogan versuchte die PC-Software-Company Microsoft bei den Comdex-Besuchern Gehirnwäsche zu betreiben. Auf einem Messestand von der Größe eines Tennis-Courts - durchaus in "Mainframe-Dimensionen", wie der Leitartikel in der Messezeitung "Comdex Daily" witzelte - zeigte Microsoft kommerzielle Anwendungen unter Windows, Applikationen, die nichts mehr mit herkömmlichen Stand-alone-PC-Programmen gemein haben.

Rätsel um Windows NT

Neben "Windows for Workgroups 3.1", einer mit Netzwerk- und Kommunikationsfähigkeiten (E-Mail, Peripherie-Sharing) ausgestatteten Windows-Version, präsentierte das Unternehmen zudem das relationale Datenbank-Management-System "Access" sowie das Release 2.5 von "Fox Pro". Access bietet dem Anwender durch die integrierte OLE-Fähigkeit (Object Linking and Embedding) die Möglichkeit, Bit-map-Bilder, Video-Clips und Sound in der Datenbank zu speichern. Die DBMS-Software soll im nächsten Jahr auf den Markt kommen und unterstützt durch die ODBC-Technologie (Open Database Connectivity) den SQL-Server von Microsoft sowie Dbase (III, III Plus und IV), Paradox (Versionen 3.0 und 3.5) und B-Trieve.

Anwendungen unter dem neuen Microsoft-Betriebssystem Windows NT waren zwar sowohl auf dem Microsoft-Partnerstand als auch bei einigen Hardwareherstellern zu sehen, man munkelte jedoch in Fachkreisen, daß es sich bei Windows NT um eine "Messe"-Version gehandelt habe.

Microsoft bewegt sich auf dünnem Eis

Ein Beispiel für den neuen Microsoft-Anspruch, als Anbieter von Anwendungssoftware im Corporate-Computing-Markt zu gelten, ist der Bankenbereich. Daß sich Microsoft dabei auf dünnem Eis bewegt, wurde in der Comdex-Rede von Bill Gates deutlich. Anders als der Universalanbieter IBM, der in sämtlichen DV-Sparten zu Hause ist, braucht Microsoft die Unterstützung von Hardwareherstellern, Kommunikationsanbietern, Softwarehäusern und Systemintegratoren.

Geradezu beschwörend klang es, als Gates die besondere Rolle innovativer DV-Firmen hervorhob. So sei es Intel mit dem Pentium-Chip gelungen bei der Prozessortechnologie in neue Leistungsdimensionen vorzustoßen. Ohne diese zunehmende Miniaturisierung im Bereich der Prozessoren sei die Entwicklung von Kleinstrechnern, beispielsweise von Pen-basierten Portables, nicht möglich gewesen.

Interessante Pen-Exponate gab es bei Grid mit dem "Convertible", bei Motorola, Dauphin, Toshiba, NEC und NCR. Der Aktenkoffer-Computer von Grid verfügt über einen Klappdeckel, der beidseitig verwendet werden kann: auf der Vorderseite als normales Display und auf der Rückseite als Touchscreen für die Pen-Bedienung. Alte DV-Hasen werden sich daran erinnern, daß Grid auf der National Computer Conference (NCC) 1983 im kalifornischen Anaheim mit ihrem Portable für Furore sorgte.

Ähnlich rasant ist die Entwicklung bei den Externspeichern verlaufen. CD-ROM gehört heute zum PC-Standard. Im Comdex-Schaufenster war zu sehen, was State of the Art ist, 39 Firmen stellten CD-ROM-Equipment aus, darunter zum Beispiel Chinon.

Die DV-Welt wird auf den Kopf gestellt - auch die Hintergrundrechner sind nicht mehr die gleichen. Multiprozessor-Server lösen MDT-Rechner, Minis und Mainframes ab. Server-Entwicklungen von Acer, ALR, Ast und NCR machten die Veränderungen deutlich, so Gates in seinem Plädoyer für Windows, die er gewissermaßen als Schmiermittel für verteilte, benutzernahe Datenverarbeitung sieht.

Ihr Defizit bei Geschäftsprozeß-orientierten PC-Anwendungen versucht nach Ansicht von Marktexperten auch die IBM auszugleichen. Nachdem im normalen Desktop-Bereich die Fronten zugunsten von Microsoft geklärt seien - die Bill-Gates-Company hält bei Desktop-PCs mit Windows und DOS einen Marktanteil von 82 Prozent - preisen die Armonker aggressiv multimediale Anwendungen an. Alt-IBMer in Turnschuhen und Poloshirts präsentierten auf der Comdex unternehmensweite Multimedia-Lösungen.

Big Blue will Microsoft isolieren

So nahmen die Armonker ins Hotel Ballys unter anderem einen ganzen Raum in Beschlag, um zusammen mit 15 Software-Anbietern Entwicklungs-Tools für multimediale Applikationen vorzustellen. Neben Anwendungen für die Bereiche Ausbildung und Präsentation umfaßte das IBM-Angebot auch Multimedia-Systeme für die Fertigung. Ein AS/400-basiertes Terminal für Eintrittskarten wurde ebenfalls als Multimedia-Lösung offeriert. Dabei bindet Big Blue sowohl ES/9000- als auch PS/2-, AS/400- und RS/6000-Systeme in das "Ultimedia"-Konzept ein.

Daß Big Blue ein starkes Interesse hat, Microsoft zu isolieren, zeigt sich für Branchenkenner auch in der jüngsten Ankündigung, die sie als Standardisierungsversuch gegen das Windows-orientierte Produkt "Open Database Connectivity" (ODBC) der Gates-Company werten.

Unter Federführung von Borland gaben IBM, Wordperfect und Novell gemeinsam bekannt, künftig das "Integrated Database Application Programming Interface" (IDAPI) zu unterstützen.

Die Middleware basiert auf "ODAPI" (Open Database API) von Borland, mit dem Anwender auf SQL-Datenbanken zugreifen können. Mit IDAPI sollen Datenbankentwickler die Möglichkeit haben, Anwendungen zu entwickeln, die sowohl auf relationale, also strukturierte, als auch auf unstrukturierte Datenbanken wie B-Trieve, Dbase, Paradox oder Dataperfect zugreifen können. Die Entwicklungsumgebung soll für OS/2, Windows, DOS und Netware angeboten werden.

Von der Comdex '92 werden nach Ansicht von Industrievertretern Impulse für die Entwicklung verteilter Anwendungen in mittleren und großen Unternehmen ausgehen. Defizite bleiben bei den Software-Tools und beim Networking, obwohl auch hier Fortschritte erkennbar

sind. "The PC is starting to reach its potentiell", lautete das Fazit des Microsoft-Managers Nils von Veh.