Thema der Woche

Comdex 2000: Der PC schrumpft zum Internet-Device

24.11.2000
Die in den letzten Jahren überraschend auftrumpfenden Dotcoms sind angesichts fast täglicher Hiobsbotschaften kein Thema mehr. Nach über einem Dutzend Jahren beherrschender Präsenz machte in diesem Jahr auch der PC nicht mehr die Schlagzeilen der Comdex Las Vegas. Die Trendthemen sind Internet-Devices vom digitalen Assistenten bis zum Handy und drahtlose Netze.

Mobilität ist das Schlagwort, das hinter den IT-Haupttrends zu stehen scheint - jedenfalls soweit sie sich auf der jüngsten Comdex erkennen ließen. In den USA, den in Europa üblichen Kommunikationstechniken meilenweit hinterher, entdeckt das Publikum WAP-Handys und schnelle drahtlose Netze. Und ein PC muss nicht nur tragbar, sondern auch von den an ein Festnetz fesselnden Kabeln befreit sein.

Gut zwei Jahre, so Bruce Stephen, Chef der Abteilung Worldwide Personal Systems Research bei IDC, seien die USA gegenüber Japan und Europa in Sachen drahtlose Kommunikation im Rückstand. Das sei umso besorgniserregender, als in diesen Märkten international demnächst die Post abgehen werde. WAP-Handys ständen vor einem Boom, und schon im nächsten Jahr würden 100 Millionen Geräte mit Bluetooth-Technik verkauft werden.

Ericssons President Kurt Hellström wird es gern gehört haben. Er spricht drahtlosen lokalen Netzen (WLANs) - fast - uneingeschränkte Konkurrenzfähigkeit zu Ethernet-Festnetzen zu. Zurzeit sei man bei einer Bandbreite von 11 Mbit/s, man arbeite an der nächsten WLAN-Generation mit 54 Mbit/s, und dann sei es soweit, so der Ericsson-Chef: "Wir schneiden die Kabel zum Internet durch. Wir sind sicher, dass das mobile Internet bald größer sein wird als das Festnetz-Internet."

Allerdings musste auch Hellström eingestehen, das WAP einen "durchwachsenen Start" hingelegt habe. Warum, erlebte er während seiner Keynote-Rede. Ironischerweise wollte es ihm in der Spielerstadt Las Vegas nicht gelingen, per WAP-Handy Informationen über "Gambling" zu finden.

Es störte ihn nicht weiter, die Zahlen der Trendforscher gaben ihm recht. Im Jahr 2004, so Helmström, werde es etwa eine Milliarde Handy-Besitzer geben. Zu diesem Zeitpunkt werden auch zirka eine Milliarde Menschen das Internet nutzen - und 600 Millionen das mobile Internet. Glücklicherweise zeigten sich die Regierungen bereit, die erforderlichen Funkfrequenzen freizugeben.

Dem allzu großen Optimismus setzte Gerry Purdy, einst Dataquest-Analyst und jetzt Chef von Mobile Insights, vor großem Publikum einen Dämpfer auf. WAP spiele bei Unternehmen keine ernst zu nehmende Rolle. Noch seien auch WLANs zu langsam, aber hier tue sich genug, dass man drahtlose Netze zu einem der Haupttrends der nahen Zukunft erklären könne. Insbesondere sei die Bluetooth-Technik etwa ab 2002 in der Lage, auf breiter Front Kabelnetze zu ersetzen, mindestens aber zu ergänzen.

Hauptprofiteure des Aufbaus von Sendernetzen sind aber möglicherweise mobile Computer und Internet-Appliances. Unterschiedliche Meinungen ließen sich auf der Comdex darüber vernehmen, welchen Geräten die Zukunft gehören werde. Bluetooth-Notebooks, PDAs, modularen PCs, Web-Pads, WAP-Handys oder wem?

Die Show gehörte der Hardware; wie in den Vorjahren war die Comdex vor allem das Großereignis der IT-Industrie für "enabling devices". Das erklärt auch die starke Präsenz der in diesem Punkt findigen ostasiatischen Firmen unter den rund 2500 Ausstellern. In den Hallen gehen Softwareexponate glatt unter.

Allerdings dominierten der PC und zugehörende Produkte nicht mehr so stark wie in den vergangenen Jahren. Das passt zur gedämpften Erwartung für die Entwicklung der PC-Branche. Fast alle führenden Persönlichkeiten aus der IT-Industrie sind inzwischen zu PC-Pessimisten mutiert - außer Bill Gates. Zumindest lässt sich der Microsoft-Chef keine Sorgen anmerken, falls er denn welche haben sollte. Auch in Internet-Zeiten brauche es unverändert, so Gates, "starke Clients ebenso wie starke Server".

Allerdings stellt sich auch Microsoft auf den Trend ein, der das Hauptthema der Comdex war: "Mobile Computing". Die Redmonder haben vielleicht spät, aber dann energisch darauf reagiert, das die PCs auf den Schreibtischen nicht mehr unbedingt die Ultima ratio in puncto Clients sind. Sie wissen auch, dass es nicht reicht, sie auf Palmtop-Größe zu verkleinern.

Gates zeigte sich einsichtig: "Wir müssen mehr tun, um Computer einfacher und intuitiver nutzbar zu machen und ihnen die Intelligenz zu geben, uns bei der Arbeit, in der Schule und zu Hause besser zu unterstützen." Jeder Computer und jedes Device müsse sich "proaktiv, nahtlos und intelligent" mit anderen verbinden lassen.

Mit der Vorstellung des "Tablet PC" geht Microsoft auf zwei Aspekte ein: Erstens kommen tastaturlose Geräte mit Handschrifterkennung bei den Anwendern erstaunlich gut an. Zweitens ist drahtloser Internet-Zugang in der Zukunft eine Conditio sine qua non. Die nachgerade enthusiastische Reaktion des Publikums bei der Vorstellung des Tablet PC lässt erwarten, dass dieses Gerät ein Erfolg wird - schon weil Microsoft es anbietet.

Die deutlichste Zustimmung zu seinen Positionen findet Gates wohl bei Michael Dell. Der Gründer des gleichnamigen PC-Herstellers hält nichts vom schon zu vernehmenden Gerede über den "Tod des PCs". Allerdings sagt auch er einen Boom für mobiles Computing, sei es per Notebook, PDA oder WAP-Handy, voraus. Diese Geräte würden als Zweit- oder Drittgeräte neben den klassischen Desktops gekauft werden.

Gut zwei Drittel ihres Umsatzes, so Dell, mache seine Firma schon jetzt mit Nicht-Desktops. Dazu gehören neben Notebooks auch Server. Dell glaubt an einen weiteren Boom der Server und der Speichersysteme, was sich logisch aus der Zunahme der Internet-Nutzung ergibt.

Dell darf für sich in Anspruch nehmen, eine hinsichtlich Internet-Nutzung besonders erfahrene und erfolgreiche Firma zu leiten. So erklärte er, dass sein Unternehmen inzwischen etwas mehr als die Hälfte des Kundensupports über das Internet abwickle. Bis Ende nächsten Jahres sollen es 80 Prozent sein. Und pro Tag setzt die Firma durch Bestellungen via Internet 50 Millionen Dollar um. "Für sich allein gerechnet, stünde unsere Website auf Platz 90 der Fortune-500-Liste", merkte der Firmengründer nicht ohne Stolz an.

Ellison hält PCs für "lächerliche Geräte"Auch wenn er Dell in Sachen Server-Boom zustimmen würde, ist Oracle-Chef Larry Ellison in puncto PC wesentlich pessimistischer. Er sieht die schlechten Aussichten der Branche nicht in einer Sättigung des Marktes begründet, sondern in der Unbeherrschbarkeit der PCs, für die er Microsoft verantwortlich macht. Sämtliche PCs und die Intel-basierten Server seien unterschiedlich konfiguriert. Die Folge dieses Wildwuchses sei, dass sich die Systeme nicht mehr pflegen ließen, IT-Projekte scheiterten, die Anwendungskosten explodierten und die Nachfrage nach IT-Spezialisten nicht gedeckt werden könne.

Aus diesen Gründen würden jetzt immer mehr Anwender und Anbieter ihre Software auf Server migrieren. Dass der Desktop-PC, "dieses lächerliche Gerät", nun zunehmend durch Notebooks ersetzt werde, ist Ellison kein Anlass zur Freude. Schließlich sind auch das Windows-Rechner. Und drahtloser Netzzugang ist laut Ellison nur dort ein Fortschritt, wo es keine Kabel gibt. Als Alternative kommen für ihn auch keine Pen-Systeme in Frage. "Der Pen ist ungeeignet für die Dateneingabe, die Tastatur ist einfach besser."

Statt der von interessierter Seite ins Gespräch gebrachten "mobilen Internet-Devices" seien Services auf Internet-Basis wichtiger.

In der Tat macht Oracle durch die Ankündigung einer "Oracle 9i Application Server Appliance" gemeinsam mit Compaq einen weiteren Schritt von einer reinen Software-Company, die von Lizenzen lebt, zu einem Serviceunternehmen. Wer sich an die Konfigurationslimits hält, bekommt weitreichenden Support. Allerdings liegt der erste Versuch in diese Richtung - ein Bundle aus Datenbank und Compaq-Server namens Raw Iron - wie Blei in den Regalen.

Auf den Serviceweg bringt auch HP-Chefin Carly Fiorina ihr Unternehmen. Das Internet, bisher überwiegend eine Kommunikationsplattform, werde zunehmend zum Dienstleistungsforum reifen. Laut Fiorina werden drei Trends die nächste Zukunft die IT prägen: Zunahme von Internet-Appliances, Web-basierten Services und schnellen permanenten Internet-Zugängen.

Für HP steht nicht mehr die Technologie im Vordergrund. Die Forscher sollten sich nicht nur um Technologien für die nächsten Jahre kümmern, meinte Fiorina: "Wir müssen uns auf die Erschließung neuer Märkte, auf neue Geschäftsmöglichkeiten für die nächsten fünf bis zehn Jahre konzentrieren."

Der ultimative Serviceansatz in einer Business-Strategie spielte auf der Comdex 2000 allerdings eine eher bescheidene Rolle: Open Source. Der Teil-Event "Linux Business Expo" ging unter. "In Sachen Linux sind die USA tatsächlich ein unterentwickeltes Land", stellt Dirk Hohndel, Mitbegründer und Chief Technology Officer des Nürnberger Distributors Suse, bei einer Podiumsdiskussion fest. Linux hat sich auch hier als Web-Server-Betriebssystem durchgesetzt, das war''s dann aber auch.

In Europa und insbesondere in Deutschland ist nicht nur deutlich mehr von Entwicklungs-Tools, Desktop-Benutzeroberflächen und vor allem Anwendungen für Linux-Umgebungen die Rede. Auf der CeBIT wird mit Sicherheit auch mehr davon zu sehen sein. Auf der Comdex aber waren Evangelisten gefragt.

Linus Torvalds warb mit der Entscheidungsfreiheit von Linux-Anwendern. Miguel de Icaza, Leiter des GUI-Projekts Gnome und Gründer der Firma Helix Code, argumentierte mit den Kostenvorteilen quelloffener Desktop-Betriebssysteme. Jon "Maddog" Hall von Linux International versuchte Softwarehäuser zu überzeugen: Das Distributionssegment sei mehr als gut abgedeckt, Geschäftsmöglichkeiten böten sich vor allem als Value Added Reseller, mit Embedded-Linux-Entwicklungen und mit Server-Appliances.

Dass sich die Positionierung von Open-Source-Systemen auch in den USA geändert hat, bekam nur mit, wer bei den Auftritten der großen Namen der Branche auf die Nebensätze achtete. So bemerkte beispielsweise Michael Dell, seine Firma werde weiter an den "Industriestandards Windows 2000 und Linux" festhalten. Larry Ellison nannte erstmals Linux als das dritte Betriebssystem nach Suns Solaris und HP-UX auf der Rangskala von Oracle.

Dass von Software auf der Comdex 2000 vergleichsweise wenig die Rede war, mag an der traditionellen Hardwarelastigkeit der Messe liegen. Die Dinge sind fassbarer, und es gilt einfach als cool, das Hightech-Handy am Gürtel und den PDA in der Hand zu haben. PDAs sind überhaupt ein Muss.

Mobile-Insights-Analyst Purdy sagt den Herstellern von PDAs eine glänzende Zukunft voraus. Die Nutzung ihrer Geräte werde sehr bald schon über die Funktionen eines Palm hinausgehen. Das Portfolio der Minirechner werde explosionsartig zunehmen. Selbst "Mission-critical"- Daten würden bald den Stiftcomputern anvertraut werden. Handspring und Sony würden gar Palm einholen, es zeichne sich, so Purdy, ein "PDA-Krieg" ab.

Ludger Schmitz, lschmitz@computerwoche.de