Browser und Anwendungs-Suites fuers Internet (II und Schluss) Neue Vermarktung mit Hilfe von Zeitschriften und Schuhkartons

29.09.1995

MUENCHEN (CW) - Guter Rat ist teuer - auch und gerade, wenn es um geeignete Browser und Anwendungs-Suites fuers Internet geht. Diese nicht ganz neue Feststellung ist auch die Kernaussage einer Untersuchung von IDC, die sich gleichwohl an den Versuch macht, Licht ins Dunkel des Produktkonglomerats in Sachen Zugriffssoftware zu bringen. Immer mehr Anbieter von Browser- Software unterscheiden bei ihrer Produktgestaltung zudem zwischen Individual- und Geschaeftskunden.

Fuer die genannten Kundengruppen sind nach Ansicht der IDC-Auguren unterschiedliche Vertriebsstrategien erforderlich. Im Geschaeftsmarkt erfolgt der Vertrieb von Browsern ueber zwei Hauptabsatzschienen: entweder durch traditionelle Connectivity- Anbieter, die ihre Produktfamilien um Browser-Software ergaenzen, oder durch Unternehmen, die ihre Browser-Loesungen als industrieweiten De-facto-Standard etablieren wollen. Zur ersten Kategorie zaehlen IDC zufolge Unternehmen wie FTP Software, Netmanage, Frontier, Wollongong oder Spry, die auf den Verkauf von PC-basierten TCP/IP-Loesungen an Geschaeftskunden fokussiert sind.

Integration in eigene TCP/IP-Anwendungen

Alle genannten Hersteller haben mit Ausnahme von FTP Software und Spry eigene Browser-Software entwickelt (FTP und Spry haben im Rahmen von OEM-Abkommen Mosaic von Spyglass lizenziert). Die Ueberlegung, die dahinter steckt, ist, dass sich intern entwickelte Produkte nahtlos in die eigenen TCP/IP-Anwendungen integrieren lassen. Netmanage verknuepft beispielsweise die Hotlist seines "Websurfer"-Browsers mit seinen Kalender- und Zeitplanungs-Tools der "Ecco"-Reihe, um so robustere Verzeichnisfunktionen unterstuetzen zu koennen.

Am weitesten in Sachen Integration geht laut IDC NCD, das seinen "Marine"-Browser als Front-end fuer saemtliche Anwendungen verwendet. Diese Produkte werden derzeit ueber die in der Branche traditionellen Kanaele vertrieben. FTP Software setzt seine integrierte Anwendungs-Suite fuer den Informations-Zugriff ("Onnet- Explorer") ueber seinen Direktvertrieb ab. Netmanage verlegt sich demgegenueber bei Chameleon 4.5 auf den Televerkauf und auf Anzeigen.

In Maerkten, in denen die Kunden den Internet-Zugriff benoetigen, kooperieren die betreffenden Software-Anbieter mit Internet- Service-Providern, um auf diese Weise, wie es bei IDC heisst, schluesselfertige Loesungen vermarkten zu koennen. Auffaelligstes Beispiel in dieser Hinsicht duerfte wohl der Wiederverkauf des Spry-Internet-Office-Produkts durch die Network-Services-Division von Compuserve sein. Ein weiteres Beispiel ist der US-Carrier MCI, der, aufbauend auf Technologien von FTP Software und Netscape Communications, eigene Loesungen entwickelt hat und ueber sein kommerzielles MCI-Network vermarktet.

Bestes Beispiel fuer die zweite Anbieterkategorie ist laut IDC der derzeitige Shooting-Star Netscape Communications. Die Strategie des Unternehmens beruht im Prinzip darauf, sein WWW-Browserpaket "Netscape" zu einer Art De-facto-Industriestandard zu machen. In die Tat umgesetzt werden soll dies mit der Unterstuetzung fuehrender Desktop-Plattformen (Windows, MAC OS und X-Windows) sowie Verbindungsstandards wie Win-Sock. Gleichzeitig wurde durch den kostenlosen Vertrieb der Beta-Version uebers Internet und einer lockeren Lizenzierungspraxis beim ersten Release ein entsprechend aggressives Marketing an den Tag gelegt.

Bislang ist nach Ansicht der IDC-Experten die Strategie von Netscape sehr gut aufgegangen. So setzen viele Bildungseinrichtungen den gleichnamigen WWW-Browser standardmaessig ein, zudem belegt eine IDC-Befragung unter Grossunternehmen, dass von den Internet-Benutzern, die auf die jeweiligen Home-Pages zugreifen, die meisten Netscape verwenden. Netscape liebaeugelt aber offensichtlich damit, seinen Browser so bekannt zu machen, dass ihn auch die Anbieter von Internet-Diensten aus eigenem Geschaeftsinteresse vertreiben. Diese Strategie hat bislang am meisten im Individualmarkt gefruchtet, wo MCI und Delphi Netscape lizenziert haben. Daneben scheint Netscape ueber seine grosse Benutzerbasis und die in seinen Browser-Loesungen integrierten Sicherheitsmerkmale den Verkauf seiner Server-Software an Firmen forcieren zu wollen, die diese auf internen Web-Servern und fuer ihre Web-Sites im oeffentlichen Internet nutzen.

Die Strategie in puncto Server-Verkauf ging allerdings nach Erkenntnissen von IDC anfaenglich nicht so richtig auf. Nur wenige Unternehmen, darunter MCI, wollten die erforderlichen Gelder in den Aufbau einer Web-Site investieren. Im Maerz hat Netscape aber eine neue Server-Loesung vorgestellt, die grundlegende WWW-Dienste samt entsprechender Sicherheit mit Administrationstools wie Transaktions-Datenbanken, Inventarsystemen und Abrechnungspaketen kombiniert.

Fast alle Online-Dienste auf dem Internet-Trip

Die Privatkunden verteilen sich jedenfalls laut IDC hauptsaechlich auf die herkoemmlichen Online-Dienste wie AOL, Compuserve oder Prodigy. Um ihre bereits starke Marktposition zu festigen, haben diese Anbieter bereits Mitte letzten Jahres einen jeweils (mehr oder weniger) umfassenden Internet-Zugriff angekuendigt und mittlerweile auch realisiert.

Als erster machte Prodigy Ende letzten Jahres seine Ankuendigung mit der Bereitstellung von Browser-Software wahr. AOL konnte in diesem Jahr mit der Uebernahme von Booklink nachziehen - einer Company, die eigene Browser-Loesungen entwickelt. Compuserve schliesslich verfuegt nach dem Aufkauf von Spry und dessen "Internet in a Box" ueber eine kleine, aber rasch wachsende Basis von Internet-Nutzern.

Das Internet ins Visier nimmt aber auch Netcom mit seinem "Netcruiser"-Browser. Alle genannten Anbieter wollen laut IDC durch das Angebot von Browsern ihre Altkunden behalten und neue Kunden ueber die Offerte des einfachen und sicheren Internet- Zugriffs auf sich aufmerksam machen. Als Mittel, das quasi vom Zweck geheiligt wird, dient hier die in der Regel kostenlose Abgabe entsprechend aktueller Zugriffssoftware. Geld und damit dringend notwendige Einnahmen verspricht man sich von der monatlichen Teilnehmergebuehr. Bislang wird die Software online per Download an den Kunden gebracht. Kuenftig wird es hier nach Ansicht von IDC insofern eine Aenderung geben, als Browser mit grundlegenden Funktionen kostenlos auch in Magazinen und auf CD- ROMs verteilt werden duerfen.

Als Konkurrenten der etablierten Anbieter von Online-Diensten treten aber immer haeufiger Software-Hersteller - viele darunter sind ganz neu im Markt - in Erscheinung. Diese vertreiben, so die IDC-Untersuchung, ueber traditionelle Einzelhandelskanaele Internet- Software an private Anwender. Der bekannteste Anbieter aus dieser Gruppe ist derzeit wohl Spry mit seinen Loesungen "Internet in a Box" und "Mosaic in a Box". Weitere Anbieter sind Netmanage mit "Internet Chameleon", FTP mit "Explorer On-Net" oder Frontier mit "Super-Highway-Access". Auch der "Mariner" von NCD gehoert IDC zufolge in diese Gruppe.

Gleiches gilt fuer IBM, auch wenn die Entscheidung von Big Blue, seinen "Web-Explorer" mit OS/2 Warp auszuliefern und Netzwerk- Verbindungen ueber das IBM-Global-Network bereitzustellen, etwas von der Vorgehensweise der uebrigen Anbieter abweicht, heisst es bei IDC. IBMs Ziel sei hier aber ganz klar, den Verkauf von Warp an Geschaefts- und Privatkunden ueber die "Lockmittel" Internet und World Wide Web zu forcieren.

Alle genannten Anbieter offerieren jedenfalls nach Ansicht der US- Marktforscher Internet-Produktsuites mit dem Browser als Zugnummer. Dabei werden die Loesungen ueber herkoemmliche Konsumer- Kanaele fuer PC-Software wie beispielsweise Warenhaeuser oder Katalogbestellungen abgesetzt. Die groesste Herausforderung fuer diese Anbietergruppe besteht darin, ihren Benutzern den moeglichst einfachen Zugriff auf einen PPP-Dienst eines Internet-Service- Anbieters zu ermoeglichen. Den Weg hat hier IDC zufolge Spry mit seinem Abkommen mit Sprint vorgezeichnet. Danach darf ein Benutzer, der das original "Internet in a Box" erwirbt, ueber einen Zeitraum von 30 bis 90 Tagen testweise via "Sprintnet" auf das Internet zugreifen.

Das Aufkommen von "Internet in a Box" verdeutlicht, wie es bei IDC abschliessend heisst, einen zunehmenden Trend in diesem Markt. Um die Akzeptanz fuer sein Produkt zu verbessern, lieferte Spry seine Software im Bundle mit einem als RAMP bezeichneten Spezialpaket aus, das die problemlose Anmeldung des Benutzers garantierte. Ueber diesen Weg - sprich: die Verwaltung der gesamten Abrechnung - stiess Spry in das Online-Service-Geschaeft vor.

Um hier, wenn man so will, noch eins draufzusetzen, kam Spry mit einem weiteren Produkt auf den Markt: "Mosaic in a Box". Dieses Paket besteht aus einem modifizierten Mosaic, einem PP-Dialer und RAMP, beinhaltet allerdings laut IDC keine weiteren Internet- Anwendungen. Spry lizenzierte das Paket mittlerweile an einen Konsumartikelhersteller, einen Zeitschriftenverlag, einen Schuhfabrikanten und andere Firmen, die die Software ihrem Produkt beilegen. Die auf der Disk enthaltene Mosaic-Software greift automatisch auf die Home-Page des Unternehmens zu. Spry erhebt vom Benutzer lediglich monatliche Service-Gebuehren, und dem betreffenden Hersteller eroeffnet sich so ein neuer Weg des Direktmarketings.