IT in der Autoindustrie/Alle Daten aller Teile in jeder Phase transparent

BMW: Dem Qualitäts-Management eine durchgängige Datenbasis gegeben

11.09.1998

Dem Qualitäts-Management waren bisher auch bei BMW Grenzen gesetzt: Insellösungen betrachteten nur bestimmte Bereiche, Qualitätsdaten ließen sich nicht unternehmensweit nutzen und in manchen Bereichen konn- te die Qualitätssicherung noch nicht mit Hilfe eines DV-Systems geplant und gesteuert werden. Dem Management fehlte so eine durchgängige Basis. Wurde beispielsweise bei den finalen Tests vor der Auslieferung ein Mangel festgestellt, ließ sich dieser zwar sehr schnell beheben, eine strukturierte und detaillierte Erfassung der Fehlerart und die kontinuierliche Rückmeldung an die Montage waren jedoch schwierig. Der Mangel konnte also nicht an der Wurzel gepackt werden. Dies hatte immer wieder Auswirkungen auf die Produktionsabläufe. Zudem stellt auch bei BMW die steigende Vielfalt der angebotenen Fahrzeuge neue Anforderungen an die Qualitätssicherung. Individuelle Ausstattungswünsche der Kunden erhöhen die Teile- vielfalt, und die Qualitätssicherung muß sich nun an jedes Fahrzeug individuell und dynamisch anpassen.

Ziel der BMW-Leute war also, alle Qualitätsdaten der Produktionsphasen Rohbau, Oberflächentechnologie, Montage und fahrdynamische Prüfung transparent zu machen, das heißt für jedes verbaute Teil und in jeder Fertigungsphase. Dazu mußte eine zentrale Datenbasis für alle Qualitätsinformationen geschaffen werden, auf die sowohl jeder Mitarbeiter in der Produktion als auch das Management zugreifen kann.

Höchste Verfügbarkeit des Gesamtsystems und schnelle Eingabemöglichkeiten waren die Grundvoraussetzung. Außerdem mußte der Systemanbieter Projekterfahrung in der Automo- bilbranche und in der Systementwicklung nachweisen sowie die erforderliche Größe für eine langfristige Zusammenarbeit mitbringen. BMW entschied sich für die Standardsoftware "CAQ=QSYS" des IBS Ingenieurbüros Schröder, Höhr-Grenzhausen, und paßte sie zusammen mit dessen Experten an. Das daraus entstandene neue Qualitäts-Management-System "Kiss Q" (Kernfertigung- integrierendes Steuerungssystem) wurde als erstes im Münchner Werk eingeführt und sichert bereits die Vorgaben für den neuen 3er BMW.

Das System gestattet die Erfassung, Prüfung, Analyse und Dokumentation aller Qualitätsinformationen der Produktion in einer zentralen Datenbank und bietet damit die Voraussetzung für ein operatives Monitoring-System. Alle Bezeichnungen wurden vereinheitlicht; in der Prüfplanung wurde eine durchgängige Systematik eingeführt. Das System erkennt frühzeitig Mängel und weist automatisch fehlerhafte Teile und Produkte der Nacharbeit zu. Zusätzlich werden hier alle Prüfergebnisse dokumentiert. So entstand auch ein unternehmensweites Management-Informationssystem, das mit Hilfe spezieller OLAP (Online-Analytical-Processing-)Werkzeuge eine produktionsweite Schwachstellenanalyse erlaubt.

Da sich die Produktionsbereiche hinsichtlich der eingesetzten Technologien, Vorgehensweise und Aufgabenstellung im Werk München deutlich voneinander unterscheiden, mußte zunächst für jeden Bereich eine eigene Einführungsstrategie entwickelt werden. Die Arbeitsweise im Rohbau ist zum Beispiel eine ganz andere als die der Montage: Während im Rohbau hochautomatisch Standardtypen zusammengeschweißt werden, müssen in der Montage dem Kundenauftrag entsprechend zugelieferte Module, Systeme und Teile nacheinander teils manuell verbaut werden.

Diese Bedingungen sowie die vorhandenen Qualifikationen und Arbeitsprofile der Mitarbeiter mußten bei der Einführung berücksichtigt werden. In enger Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern in der Produktion ließen sich deren Wünsche und Anregungen relativ zügig umsetzen. Bislang wurden mehr als 300 PC-Stationen in der Produktion installiert. Die Datenbank-Server bewältigen täglich ein Datenvolumen von 0,5 Gigabyte - rund um die Uhr an sechs Tagen in der Woche.

Im Rohbau wird in automatisierten Anlagen die Karosserie zusammengeschweißt. Hier wählt das System für alle Bauteile kontinuierlich Stichproben aus der laufenden Produktion aus. Nach im System festgelegten Kriterien erfolgt automatisch oder durch einen Mitarbeiter die bis zu 100prozentige Prüfung der Bauteile. Alle Prüfergebnisse werden dann im Qualitäts-Management-System dokumentiert. Mangelhafte Teile führt die Lösung einer Nacharbeitsstelle zu. Das gilt auch für alle Bauteile, die mit hoher Wahrscheinlichkeit den gleichen Fehler aufweisen. Der Mitarbeiter dort sieht die Mängel der Teile direkt an seinem Arbeitsplatz auf Großbildschirmen. Er beseitigt sie und dokumentiert dies online und in Zukunft auch per Spracheingabe. Anschließend wird das Fahrzeug in die Produktion zurückgeführt.

In der Oberflächentechnologie erfolgt die Lackierung der Fahrzeuge. In diesem Bereich ist das bestehende Qualitätserfassungssystem weiter im Einsatz, da es bereits eng mit den Lackieranlagen im Münchner BMW-Werk verbunden ist. Um trotzdem die unternehmensweite Nutzung der Qualitätsdaten zu sichern, wurde eine entsprechende Schnittstelle geschaffen und die Informationen werden in der zentralen Datenbasis des Systems gespeichert. Dadurch kann der Bereich "Hauptlack" weiter mit dem bereits vorhandenen System arbeiten. Die Sicherung der Qualität im "Nachlack" erfolgt jedoch wie in allen anderen Bereichen im Werk München mit dem zentralen System.

Nachdem die Karosserie lackiert wurde, beginnt der Verbau von Modulen, Systemen und Teilen. Bislang wurden alle Qualitätsinformationen der Fahrzeugmontage auf einer Papierprüfkarte erfaßt, die jedem Auto beilag. Die neue Lösung verlagert die Qualitätsprüfung und -dokumentation in das zentrale DV-System. Fehler werden nun entweder manuell in die elektronische Prüfkarte eingetragen oder automatisch von den in der Produktion eingesetzten Prüfautomaten übernommen. Das Qualitäts-Management-System hält für jedes Fahrzeug einen Prüfauftrag vor, der die Merkmale der verschiedenen Fahrzeugvarianten und die kundenindividuelle Ausstattung berücksichtigt und so dynamisch die durchzuführenden Prüfschritte bestimmt. In jedem Prüfauftrag sind auch die im Rohbau erledigten Nacharbeiten aufgeführt. Fahrzeuge mit Mängeln führt das System automatisch der Nacharbeit zu. Es sperrt sie für die Auslieferung, bis sämtliche Mängel behoben sind. Die Nacharbeitsstellen sind entweder in der Linie, das heißt innerhalb des Fließbetriebs an jeder Station des Produktionsablaufs, oder zentral für den gesamten Produktionsbereich angeordnet. Sie werden mit Vorschaulisten frühzeitig über die Mängel aller vom System blockierten Fahrzeuge informiert. In der zentralen Nacharbeit ist der vorgesehene Auslieferungszeitpunkt entscheidend: Das System sortiert die Autos daher nach Lieferterminen. Dementsprechend wählt der Mitarbeiter eines im System aus und holt es für die Nacharbeit von dessen Stellplatz, den das System grafisch anzeigt.

Abschließend wird in der fahrdynamischen Prüfung der ordnungsgemäße Zustand der Wagen festgestellt. Für die Qualitätssicherung unterscheiden sich die Abläufe nicht grundsätzlich von denen in der Montage. Eventuelle Mängel werden im System erfaßt und betroffene Fahrzeuge ebenfalls automatisch der Nacharbeit zugewiesen.

BMW erreichte durch das System deutliche Effizienzvorteile und sichert zugleich sein Image. Dabei wird konsequent auf eine Fehlervermeidungsstrategie gesetzt: Fehler werden aufgrund der durchgängigen Nähe des Qualitäts-Managements zu den Produktionsprozessen und aufgrund seines zentralen Aufbaus frühzeitig erkannt und potentielle Mängel ähnlicher Bauteile mitbetrachtet. Mit dem zentralen Informations- und Analyse-System nutzt das Management die in der Nacharbeit gewonnenen Erkenntnisse zur Vermeidung neuer Mängel. So durchbricht das System auch Fehlerketten, also das mehrma- lige Auftreten des gleichen Fehlers bei einem Bauteiltypus. Gleichzeitig vermeidet die zentrale Haltung aller Qualitätsdaten die mehrfache Erfassung und Pflege von Informationen. Damit werden auch Fehler der Datenhaltung vermieden.

Die Automatisierung von Qualitätssicherungsprozessen, zum Beispiel die Zuweisung zur Nacharbeit, bietet mehrere Vorteile: Die Gesamtproduktionszeit eines Fahrzeugs wird reduziert, menschliche Fehler wie Vergeßlichkeit oder Verlust einer Prüfkarte werden vermieden, und die Weiterbearbeitung findet innerhalb des Systems statt. Die Zuweisung zur Nacharbeit bleibt so nachvollziehbar, und alle Konsequenzen für die Qualitätssicherung werden dokumentiert.

Nach dem Start in München wird das System nun in weiteren nationalen und internationalen BMW-Werken eingeführt.

Q-Integration

Das Qualitäts-Management von BMW wird von 300 PCs unter MS-Windows NT bedient. Die Rechner sind mit einem Glasfasernetz per TCP/IP verbunden. Die zentrale Datenbank ist Oracle 7 und wird auf einem Cluster von nur 4 HP-K-570-Rechnern eingesetzt. Eine zusätzliche Maschine dieses Typs dient als Applikations-Server. Über eine Vielzahl von individuellen Schnittstellen sind verschiedene Fremdsysteme auf Datenbankebene eingebunden. Hierzu gehören die BMW-eigenen Systeme zur Logistik und Visualisierung von Bauteilen ebenso wie Prüfgeräte. Neueste Ergänzung bei BMW ist hier die vollständige Integration eines Spracherkennungssystems für die Datenein- und -ausgabe.

ANGEKLICKT

Im Vergleich zu anderen Branchen ist die Qualitätssicherung in der Automobilindustrie von herausragender Bedeutung. Schlüssel für die Einhaltung höchster Qualitätsanforderungen ist die Nutzung von Informationstechnologie. BMW setzt hier einen neuen Standard und hat mit einem neuen Qualitäts-Management-System eine Grundlage für die kommenden Jahre geschaffen. Zudem ermöglicht es dem Unternehmen die rasche Anpassung an neue Anforderungen wie zum Beispiel die Integration weiterer Firmenbereiche oder die Einbindung von Zulieferern im Sinne eines Extended Quality Management.

Dr. Wilhelm Trunzer ist Leiter der Prozeßentwicklung iun der Fahrzeugmontage der BMW AG in München.