Ideale Systemsoftware für Büroautomation läßt noch auf sich warten, Teil 2 und Schluß:

Betriebssystemen mangelt es am Zielwasser

05.04.1985

MÜNCHEN (CW) - Unix wurde häufig als potentielles Betriebssystem für Büroautomationssysteme der Zukunft bezeichnet. Vorteile wie Übertragbarkeit, Kommunikationsmöglichkeiten und Multitaskingfunktionen müssen hierbei jedoch gegen die Nachteile von Unix, einschließlich der schwierigen Schnittstelle, abgewogen werden.

Berücksichtigt man die Vorteile für den Endbenutzer und den Druck der Mikroprozessortechnologie, so scheint ein Schritt in Richtung auf den verstärkten Einsatz übertragbarer Betriebssysteme für die Büroautomatisierung wahrscheinlich. Die wohl aussichtsreichsten Kandidaten hierfür heißen MS-DOS und Unix.

Hieraus ergeben sich zwei Fragen: Welches dieser beiden Betriebssysteme wird, wenn überhaupt, siegen? Und: Wie schnell wird dies geschehen? Zu den wichtigsten Vorzügen von MS-DOS gehören seine starke Verbreitung auf Mikros und das große Angebot an eingeführter Anwendungssoftware.

Der wichtigste Minuspunkt ist darin zu sehen, daß es nur für einen Benutzer und eine Aufgabe ausgelegt ist. Dies zeigt sich auch an dem allgemeinen Fehlen gut integrierter Bürokommunikationsfunktionen in den Anwendungen.

Unter Büroangestellten durchgeführte Studien lassen erkennen, daß diese die meiste Zeit mit irgendeiner Form der Kommunikation verbringen. Insbesondere gilt dies für leitende Mitarbeiter und Manager.

Um die Effizienz im Büro zu steigern, müssen Büroautomatisierungssysteme über ausgezeichnete Möglichkeiten der Kommunikation verfügen. Auf Arbeitsgruppen abgestimmte Anwendungen wie elektronische Post, elektronische Nutzung gemeinsamer Dateien, Projektmanagement auf Gruppenbasis und elektronischer Terminkalender werden zusätzlich zu den persönlichen/analytischen Anwendungen heutiger Mikrosoftware benötigt.

Diese Arbeitsgruppenanwendungen verlangen leistungsfähige lokale Kommunikationsnetze. In Verbindung mit anderen Anwendungstypen erfordern sie außerdem ein Multitasking-Betriebssystem in jedem einzelnen Arbeitsplatz. Es muß beispielsweise möglich sein, daß der Manager selbst eine Nachricht empfangen oder seine Sekretärin den Terminkalender überprüft, ohne hierzu die Arbeit an einem Kalkulationsblatt zu unterbrechen.

MS-DOS fehlen heute noch die erforderlichen Multitaskingfunktionen, obwohl mit dem neuen IBM PC AT die Hardware hierfür verfügbar ist. Mit einem Betriebssystem für nur eine Aufgabe ist die potentielle Leistung des PC AT deutlich unterbeansprucht, so US-Analytiker.

Dies gelte ganz allgemein auch für eine Reihe von 32-Bit-Arbeitsplätzen in der Art des PC AT, die viele Hard warehersteller anbieten werden. In dieser Hinsicht konnte MS-DOS mit der Hardwareentwicklung nicht Schritt halten. Microsoft verspricht schon seit einiger Zeit eine Multitaskingfunktion für MS-DOS. Selbst wenn dies Wirklichkeit werden sollte, bedeutet es nach Meinung von Experten aus zwei Gründen noch nicht unbedingt den Sieg über Unix.

Um die Führungsposition bei der neuen Generation von 32-Bit-Arbeitsplätzen zu behalten, benötigt MS-DOS die Unterstützung der versprochenen Multitaskingfunktionen durch IBM. Mit der Bereitstellung des Multitasking in dem eigenen Fensterpaket Topview hat IBM ganz klar einen anderen Weg für das Multitasking in MS-DOS eingeschlagen.

Es scheint daher äußerst unwahrscheinlich, daß IBM ein Multitaskingfähiges MS-DOS von Microsoft unterstützen wird. Die Aussichten für die Unterstützung eines übertragbaren, Multitasking-fähigen MS-DOS durch IBM sind schlecht. Zusammen mit der fehlenden Grafikunterstützung in Topview könne dies die Akzeptanz von MS-DOS bei modernen Büroanwendungen verzögern, die Multitaskingfunktionen benötigen.

Selbst wenn MS-DOS schließlich mit Multitaskingfunktionen versehen wird, bleibt es für den Einsatz auf großen Mehrplatzsystemen der Abteilungs-Serverklasse ungeeignet. Lokale Netze aus einigen Arbeitsplätzen und einigen Mehrplatzsystemen müßten für die beiden Geräteklassen verschiedene Betriebssysteme verwenden.

Im Gegensatz dazu ließe sich mit Unix auf den Arbeitsplätzen und den Mehrplatzsystemen ein homogenes Netz errichten, was den Informationsaustausch und die Kommunikation erheblich vereinfache.

Trotz dieser technischen Vorteile besitzt Unix einige wohlbekannte Schwächen oder Mängel. Der Wichtigste dürfte das nicht sehr zuverlässige Dateisystem sein. Da es ursprünglich nicht für den kommerziellen Betrieb gedacht war, ist der Benutzer gegen Datenverluste ziemlich geschützt. Auf eine Lösung dieses Problems durch AT&T kann die Fachwelt nur hoffen.

Die Benutzerschnittstelle von Unix ist sehr verschlüsselt und verzeiht keine Fehler, aber dieses Problem ist zweitrangig. Ein fortgeschrittenes, modernes Bürosystem müßte über eine eigene Benutzerschnittstelle verfügen, egal, welches der bekannten Betriebssysteme auch verwendet wird.

32-Bit-Arbeitsplätze wie der IBM PC AT bieten eine ausreichende Verarbeitungsleistung für die parallele Anwendungsverarbeitung und die Kommunikation über lokale Netze, die für fortschrittliche Büroanwendungen erforderlich sind. Es bleibt abzuwarten, ob Unix oder MS-DOS mit Multitasking zum Standardbetriebssystem für derartige Systeme wird.

Alles in allem, meinen Beobachter, daß Unix die technischen Vorzüge besitzt, während MS-DOS in großen Stückzahlen installiert ist.

Wenn Topview starke Unterstützung durch Entwickler von Anwendungssoftware erhält, dürfte vermutlich Topview/MS-DOS das Rennen machen.

Sollte Unix schon zu Anfang gute Erfolge bei modernen Bürosystemen auf Netzbasis verzeichnen, ist eine Entscheidung zugunsten dieses Betriebssystems denkbar.

Es stellt sich die Frage, wann sich die Antwort auf diese Überlegungen klar abzeichnen wird. 1984 wurden mehrere integrierte Bürosysteme für Unix angekündigt, deren Auslieferung jetzt beginnt. Topview ist für das erste Quartal 1985 geplant und mit dem Multitasking-fähigen MS-DOS sowie MS-Windows ist irgendwann 1985 zu rechnen. Nächstes Jahr um diese Zeit dürfte die Antwort klar sein.