Grafische Benutzeroberflächen werden häufig als High-Tech-Methoden für einen ergonomischen DV-Arbeitsplatz mit hohem
Bedienkomfort gepriesen. Alphanumerische Oberflächen gelten dagegen
als altmodisch und benutzerunfreundlich. Dieses schiefe Bild rückt
Stephan Speth* zurecht. Nach seiner Erfahrung ist eine durchdachte
zeichenorientierte Lösung einer schnell hingeworfenen grafischen stets
überlegen.
Die Qualität einer Benutzeroberfläche hat nichts mit (Grafik,
Fenstersystem oder Mäusen zu tun. Diese Aussage mag seltsam klingen,
insbesondere dann, wenn sie von einem Mitarbeiter eines Softwarehauses
kommt, das sich ausschließlich auf Software spezialisiert hat, die mit einer
grafischen Benutzeroberfläche ausgestattet ist. Trotzdem: Gute, aber auch
schlechte Benutzeroberflächen hat es schon vor vielen Jahren gegeben, als
man noch nicht über grafische Oberflächen nachgedacht hat.
Heute ist im PC-Bereich die grafische Benutzeroberfläche gang
und gäbe, und auch im Unix-Bereich sind es nur noch die kommerziellen
Applikationen, die für eine Übergangszeit an der alphanumerischen
Oberflächen festhalten.
Keine Garantie für größeren Komfort
Ein kleines Beispiel belegt, daß grafische Oberflächen nicht
immer einen erhöhten Bedienkomfort bedeuten: Ein Software-Entwickler
soll ein Programm schreiben, mit dessen Hilfe man für eine Applikation ein
Datum eingeben kann. Eine mögliche Lösung unter eine grafischen
Benutzeroberfläche könnte folgendermaßen aussehen:
Der Benutzer klickt mit der Maus auf einen Knopf, worauf sich
ein kleines Eingabefenster öffnet, in das er nun das Datum eingibt, zum
Beispiel "23.05.92" oder "23. Mai 1992" oder...
Schwierigkeiten läßt diese kleine Aufgabe kaum erwarten, doch
schon die zwei Eingabe Varianten deuten auf einen Haken bei der Sache
hin. Welche ist richtig: "Mai" oder "05."? Und was geschieht, wenn der
Benutzer statt "Mai" das Wort "Mia" eingibt?
Wird das Datum für einen Kundenbrief benutzt, sollte der
Programmierer die Eingabe nicht zu sehr einengen, denn der Brief könnte
ins Ausland gehen, und dann wäre es sehr benutzerunfreundlich, wenn
man das englische Wort "may" nicht eingeben kann.
Anders liegt der Fall, wenn die Monatsangabe wie andere Daten
in eine Datenbank als Kennzahl eingetragen wird. Dann sollte die Eingabe
möglichst schnell und narrensicher erfolgen, indem man zum Beispiel nur
"5" eingibt. Kurz: Die Aufgabenstellung ist nur unter Berücksichtigung
der genauen Kundenanforderungen und Benutzerprofile lösbar.
Einen weiteren Punkt macht unser Gedankenexperiment deutlich.
Unsere Überlegungen haben nicht mit einer konkreten Oberflächentechnik
zu tun. Die diskutierten Lösungen können nämlich sowohl auf
alphanumerischen als auch auf grafischen Oberflächen realisiert werden.
Sicher läßt sich die Aufgabe bei zeichenorientierten Systemen mit
Semigrafik nicht ganz so elegant bewältigen wie unter einer vollgrafischen
Oberfläche. Aber eine gut durchdachte Lösung auf einem
alphanumerischen Bildschirm ist immer noch besser als eine schlechte
unter MS-Windows, OSF/Motif oder Open Look.
Die Erkenntnis, daß für einen Software-Entwickler die Fähigkeit
des Entwerfens eines Konzepts wichtiger ist als die Handhabung eines
Designwerkzeuges, führte dazu, daß im Kursangebot von Ixos der
Umgang mit dem hauseigenen Interface-Builder fehlt. Statt dessen laufen
die Veranstaltungen unter Titeln wie "Methodisches GUI-Design". Dort
wird auf die grundlegende Problematik des Oberflächenentwurfs
eingegangen, so daß die dafür nötigen Hilfsmittel wie Motif, Windows
oder Sun-View im Hintergrund stehen.
Erst durch eine derart grundsätzliche Auseinandersetzung
ergeben sich Kriterien für die Beurteilung der Güte einer
Bedienoberfläche. Folgende Merkmale gehören dazu.
Software-Ergonomie: Die Tatsache, daß es sogar eine DIN-Norm gibt, die
sich mit dem Thema beschäftigt, zeigt, wie ernst man die Software-
Ergonomie hierzulande nimmt. Im DIN-Norm-Entwurf 66 234/8
"Bildschirmarbeitsplätze, Grundsätze der Dialoggestaltung" werden fünf
Designkriterien für die Gestaltung einer ergonomischen Bedienoberfläche
angeführt: Aufgabenangemessenheit, Selbstbeschreibungsfähigkeit,
Steuerbarkeit, Erwartungskonformität und Fehlerrobustheit.
Aufgabenorientierung: Eine Benutzeroberfläche ist dann angemessen
wenn sie die Erledigung der Aufgabe des Benutzers unterstützt, ohne ihn
durch Eigenschaften des Dialogsystems unnötig zu belasten. Diese
Forderung ist oft schwer zu realisieren, da bekannt sein muß, was der
Anwender vom System erwartet.
Bei vertikaler Software ist es möglich, die Anwender gezielt zu
befragen. Sobald ein Paket aber von einer heterogenen Anwendergruppe
verwendet wird, zum Beispiel von der Sekretärin, den Managern und den
Entwicklern, müssen zwangsläufig Kompromisse eingegangen werden. So
kann es eine Sekretärin als angemessen empfindet, sich durch
Hierarchiebäume "durchzuklicken", Entwickler wollen dagegen schneller
zum Ziel kommen. Eine Lösung dieses Konfliktes liegt beispielsweise im
Bereitstellen verschiedener Modifikationen für unterschiedliche
Benutzergruppen für Anfänger und Fortgeschrittene. Ein häufig
beschrittener Weg ist auch, für das Manipulieren grafischer Oberflächen
neben den Maus- auch Tastatur-Befehle zuzulassen.
Selbsterklärende Konzepte: Eine Benutzeroberfläche beschreibt sich dann
selbst, wenn jeder einzelne Dialogschritt intuitiv verständlich ist oder der
Benutzer auf Verlangen zu jedem Dialogschritt entsprechende
Erläuterungen erhalten kann.
Diese Forderung läßt sich bei grafischen Benutzerschnittstellen
wesentlich leichter realisieren als bei alphanumerischen Oberflächen. Hier
bewährt sich die Möglichkeit, Symbole anstelle von Kommandos zu
verwenden oder Online-Handbücher auf der Platte abzuspeichern, die über
ein kontextsensitives Hilfesystem aufgerufen werden können. Eine
zentrale Rolle spielt auch das WYSIWYG-Prinzip, wonach der Anwender
auf dem Bildschirm zu sehen bekommt, was er später als Arbeitsergebnis
erhält. In diese Kategorie fallen auch Symbole wie Aktenordner oder
Papierkörbe, bei denen intuitiv klar ist, was mit den dorthin verschobenen
Dateien geschieht. Ein Benutzer fühlt sich um so sicherer, je mehr die
Benutzeroberfläche seiner ihm bekannten Welt ähnelt.
Steuerbarkeit: Eine Benutzeroberfläche läßt sich dann steuern, wenn der
Benutzer die Geschwindigkeit des Dialogs sowie, die Auswahl und
Reihenfolge von Arbeitsmitteln beeinflussen kann. Wir alle erwarten von
der modernen Technik, daß sie vollautomatisch funktioniert - beim
Fotoapparat genauso wie bei der Waschmaschine oder beim
Textverarbeitungsprogramm.
Die beste Automatik ist aber immer noch diejenige, die sich
abschalten läßt. Sonst ist man hilflos der Maschine ausgeliefert. Gute
Benutzeroberflächen lassen sich den Anforderungen der Benutzer
anpassen. Ein wertvolles Programm richtet sich nach dem Benutzer und
läßt sich von ihm steuern. Darum sollte man immer prüfen, ob ein
Programm zum Beispiel die Eingabe von Daten in beliebiger Reihenfolge
erlaubt oder eine Änderung von Standardeinstellungen auch während des
Betriebes ermöglicht.
Wiederkennung: Eine Benutzeroberfläche kann nur dann sinnvoll
eingesetzt werden, wenn sie mit den bei DV-Anwendern üblichen
Erwartungen konform geht. Jeder kennt die Situation: Man bekommt ein
neues Programm und will es schnell einmal ausprobieren. Natürlich fehlt
die Zeit, das Handbuch zu studieren. Also startet der Benutzer das
Programm und schaut, was geschieht. Hat er Pech, dann ist alles neu,
anders, ungewohnt, und der Versuch wird schnell abgebrochen. Ein gutes
Programm verhält sich genau so, wie man es erwartet. Ohne auch nur eine
Seite im Manual gelesen zu haben, hat der Anwender das Gefühl, das
Programm sofort zu beherrschen.
Das klassische Beispiel eines erwartungskonformen Systems ist
der Apple Computer. Wenn der Anwender einmal bei einem Macintosh-Rechner das "Look and Feel" verinnerlicht hat, kann er
höchstwahrscheinlich alle anderen Programme von der Systemverwaltung
bis zur Applikation sofort bedienen. Die meisten Unix-Systeme sind davon
leider noch meilenweit entfernt.
Fehlerrobustheit: Eine Benutzeroberfläche ist robust, wenn trotz
fehlerhafter Eingabe das beabsichtigte Ergebnis mit minimalem
Korrekturaufwand erreicht wird. Jeder macht Fehler. Ärgerlich ist es nur,
wenn der Anwender nicht weiß, wie er den Fehler beheben kann. Gute
Benutzeroberflächen haben für jede Eingabe eine "Undo"-Funktion, mit
der sich die letzte Eingabe rückgängig machen läßt.
Fehlermeldungen müssen so gestaltet sein, daß sie der Benutzer
versteht. Dabei ist einem Entwickler oft eine karge Fehlernummer lieber
als langatmiger Text, während sich ein Sachbearbeiter bei der Meldung
"fatal error 4711" zu Recht ärgert. In einzelnen Fällen ist das System
sogar in der Lage, Fehler schon während der Eingabe zu erkennen und
selbständig zu korrigieren, zum Beispiel bei der Datumseingabe "31.02.92". Das System muß jedoch auf die Fehlerkorrektur hinweisen, um dem Anwender die Möglichkeit zum Eingreifen zu geben.
Software-Ergonomie wird heute leider noch viel zu oft
vernachlässigt. Immer kürzere Entwicklungszeiten verleiten viele
Programmierer dazu, schnell einen Prototypen zu schreiben, der nicht
konsequent durchdacht ist. Dabei gilt auch bei der Software, daß sich auf
Dauer nur Produkte mit einer hohen Qualität im Markt durchsetzen
werden.