Unterschiedliches Wissensniveau der Teilnehmer kann realisiert werden

Beim Workshop geht der Dozent eher auf Anwenderwünsche ein

14.06.1991

Der Markt für PC-Schulung ist im Jahre eins nach Windows breiter, umfangreicher, differenzierter im Angebot und auch unübersichtlicher geworden als noch vor zwei oder drei Jahren. Der Trend geht nach Auffassung von Christian Kvech* hin zu zielgruppenorientierten Seminaren mit Workshop-Charakter, um die Fragestellungen innerhalb einer homogenen Gruppe möglichst anwendungsspezifisch zu erarbeiten.

PC-Anwenderschulung- denn die ist im wesentlichen gemeint, wenn von "PC-Schulung" die Rede ist - hat sich seit Mitte der 80er Jahre aufgrund des Leistungszuwachses der Programme und der Einführung von Windows 3.0 im vergangenen Jahr stark verändert.

Wir erinnern uns: Wer zum damaligen Zeitpunkt den Schulungskatalog eines beliebigen Seminaranbieters aufschlug oder einen Blick auf hausinterne Trainingsangebote für PC-Anwender in Großunternehmen warf, fand eine recht einheitliche Welt vor sich: Neben dem obligaten DOS-Seminar für PC-Einsteiger gab es zu den eingesetzten Standard-Softwareprodukten in der Regel nur ein, bestenfalls zwei Seminare zur Auswahl, mit denen die Schulungsinstitute die Bereiche "Anfänger" und "Fortgeschrittene" abdeckten.

Nur besonders anspruchsvolle Anbieter führten zusätzlich im Programm auch Schulungen für Benutzerservice oder Programmierer, etwa über Lotus-Makros. Die Vielzahl der Einsteiger machte darüber hinaus das Abhalten von Seminaren relativ einfach: Das Hauptproblem vieler Veranstaltungen, nämlich das unterschiedliche Vorwissen der einzelnen Teilnehmer, entfiel wenn die Mehrzahl gemeinsam die ersten Schritte mit dem PC tat.

Seminare sind umfangreicher geworden

Daran hat sich in der Zwischenzeit einiges geändert. Allein bedingt durch den ständig wachsenden Leistungsumfang der PC-Standardsoftware, läßt sich ein Produkt wie MS-Word 5.0 nicht mehr in ein einzelnes Seminar packen.

Die Vielfalt der angebotenen Funktionen führt dazu, daß die Anwender die Seminar-Programme in verschiedenster Art und Weise nutzen. Die Sekretärin, die Textverarbeitung für Serienbriefe und kleinere Schriftstücke einsetzt, verwendet ganz andere Funktionen als beispielsweise der Verfasser eines wissenschaftlichen Manuskripts.

Wer heute ein Seminar plant, muß diesen Leistungszuwachs

berücksichtigen die unterschiedlichen Benutzeransprüche ins Kalkül ziehen sowie die Anforderungen am jeweiligen Arbeitsplatz einbeziehen.

Analog zum Leistungszuwachs der Programme über die vielen Updates der letzten Jahre haben daher viele Seminaranbietet ihr Leistungsangebot wesentlich verbreitert: Allein zu MS-Word (ohne Word-für-Windows-Schulungen) hat ein Veranstalter wie das Control Data Institut heute vier verschiedene Seminare im Angebot, die zusammen zehn volle Seminartage beanspruchen.

Neben zwei Seminaren für Einsteiger und Fortgeschrittene behandeln zwei weitere Schulungen Spezialthemen wie das Erstellen DIN-gerechter Texte mit dem Programm beziehungsweise die professionelle Handhabung von Druckformatvorlagen und Serienbriefen. Ähnliches gilt für verbreitete Programme wie Lotus 1-2-3 oder Dbase.

Seminare sind dann erfolgreich, wenn die behandelten Themen möglichst genau an den Bedürfnissen der Zielgruppen ausgerichtet sind. Bei immer umfangreicheren Programmen, mit denen sich eine Vielzahl unterschiedlichster Anwendungen bearbeiten lassen, bedeutet dies zwangsläufig, daß die Teilnehmergruppen in bezug auf ihr Vorwissen und ihre Bedürfnisse immer inhomogener werden.

Besonders bei der Schulung fortgeschrittener Anwender, die zum Beispiel über Kenntnisse mit einer früheren Programmversion verfügen oder mit Teilen des Programms schon vertraut sind, ist dies ein Problem. Als Folge davon steigen die Anforderungen an die Dozenten und an die Gestaltung der Unterrichtsmaterialien.

Seminaranbieter versuchen daher, diese Schwierigkeiten zu umgehen, indem sie entweder immer spezialisiertere Themen anbieten oder bei Inhouse-Seminaren speziell auf die Bedürfnisse einer bestimmten Teilnehmergruppe ausgerichtete Inhalte vermitteln.

Trend zum Workshop erkennbar

Als Folge dieser Entwicklung erkennen Fachleute bei der Schulung erfahrener PC-Anwender klar den Trend zum Workshop. In dieser Seminarform erarbeiten die Teilnehmer mit dem Trainer die betreffenden Fragestellungen möglichst anwendungsspezifisch- der jeweilige Instruktor steht den Teilnehmern dabei mehr als erfahrener Helfer statt als Dozent zur Seite.

Die Einführung von Windows 3.0 hat auf die Schultingslandschaft einen zusätzlichen Effekt: Seminaranbieter, die am Ball bleiben wollen, müssen heute ebenso Kurse für Standardprogramme unter DOS anbieten wie auch Schulungen unter Windows. Hier sind im vergangenen Jahr Parallelprogramme entstanden, die sicherlich noch für ein paar Jahre weiterbestehen werden: Auf der einen Seite entstehen neue Kurse für Windows-Anwendungen, auf der anderen Seite werden nach wie vor Seminare für Programme angeboten, die noch nicht unter dieser Benutzeroberfläche laufen.

Seminaranbieter, die bei Windows-Schulungen am Ball bleiben wollen, müssen außerdem genauso in eine aufwendigere Hard- und Software-Ausstattung investieren wie die Anwender. Ob dadurch Billiganbieter von Seminaren gezwungen sind, ihre Preise anzuheben, bleibt abzuwarten.

Da viele Großunternehmen bereits den kostenintensiven Schritt zu Windows gehen, sind Seminaranbieter, die auch weiterhin diesen anspruchsvollen Kundenkreis bedienen wollen, geradezu gezwungen, den Trend zu Windows-Anwendungen mitzuvollziehen. Wenn sich Windows am Markt mit der Dynamik durchsetzen wird, wie dies derzeit den Anschein hat, werden Schulungen für Programme unter dieser Oberfläche bald den Großteil des professionellen Seminargeschäfts einnehmen. Seminare für Anwendungsprogramme, die nicht unter Windows laufen, könnten sich, der geringeren Hardwarekosten wegen, zu einer Domäne von Low-Level-Schulungsinstituten oder freizeitorientierten Anbietern wie Volkshochschulen entwickeln.

Ob Windows die Aufwendungen für Anwenderschulungen so signifikant verringert, wie dies der Hersteller anpreist, bezweifeln viele Experten. "Die Schulungszeit, insgesamt wird nicht wesentlich kürzer", urteilt Peer Eisermann, Leiter des Bereichs IDV/PC beim Softwarehaus Alldata. "Die einheitliche Oberfläche erleichtert den Einstieg, aber gleichzeitig steigt der Funktionsumfang der Programme enorm an." Positive Folge: Die Anwender können sich mehr auf die eigentlichen Problemlösungen konzentrieren und verwenden weniger Zeit auf die Bedienung des Programms. Dafür bleibe in Zukunft mehr Zeit, um in der Schulung auf Arbeitsplatz-spezifische Probleme einzugehen.

Individuelle Schulungen

Windows unterstützt auch den Trend von der reinen befehlsorientierten Produktschulung zu individuellen Seminaren, die an den Arbeitsplatz-spezifischen Aufgaben ausgerichtet sind. Urteilt Eisermann: "PC- Anwenderschulung ist heute ein strategischer Bestandteil von DV-Projekten und muß deshalb in die Projektplanung mit einbezogen werden."