Auswirkungen des Telekom-Streiks halten sich in engen Grenzen

31.05.2007
Von 


Simon Hülsbömer betreut als Senior Research Manager Studienprojekte in der Marktforschung von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE. Zuvor entwickelte er Executive-Weiterbildungen und war rund zehn Jahre lang als (leitender) Redakteur tätig. Hier zeichnete er u.a. für die Themen IT-Sicherheit und Datenschutz verantwortlich.
Obwohl derzeit täglich bis zu 16.000 Telekom-Beschäftigte gegen Arbeitszeiterhöhung und Lohnkürzung bundesweit in den Ausstand treten, kommt die Streikwelle bei vielen Unternehmenskunden nicht an.

Der im Vorfeld des Ausstandes von der Gewerkschaft Ver.di groß angekündigte Boykott gegen Unternehmenskunden erzeugt in weiten Teilen des Landes bis dato keine Schockwelle, sondern nur ein laues Lüftchen. Nach Angaben von Ver.di selbst seien bislang nur die Kunden-Hotlines des rosa Riesen unmittelbar von Einschränkungen betroffen – aber auch nur insofern, als es ein wenig länger dauere, bis der Anrufer zu einem Berater durchgestellt werde. Neuaufträge und Störungsmelden würden darüber hinaus zwar mit ein wenig mehr Verzögerung bearbeitet, wirklich weh tue es bislang aber niemandem, räumen die Gewerkschaftsvertreter ein.

Das bestätigen viele Unternehmen in ganz Deutschland, die Anschlüsse und Leitungen der Telekom selber nutzen oder weiterverkaufen. "Bisher ist absolut nichts gewesen. Theoretisch könnten aber die Einrichtung von DSL-Neuanschlüssen und die Entstörung von Leitungen in Gefahr geraten", sagt Ingrun Senft von der 1&1 Internet AG aus Montabaur bei Köln. Auch die interne Kommunikation des Sportartikelherstellers Adidas aus Herzogenaurach hat bislang nicht im Geringsten zu leiden: "Wir sind von den Auswirkungen des Streiks nicht betroffen", attestiert Adidas-Sprecherin Kirsten Keck den unternehmenseigenen Telefon- und Internetanschlüssen einwandfreie Funktionalität. "Wir haben keine Probleme", schließt sich Jörg Roggenbuck von Siemens IT Solutions & Services aus München an.

"Bei uns gibt es keine Schwierigkeiten", sagt auch Wolfgang Vogt, Pressesprecher der Kreissparkasse München-Starnberg, die für ihre Unternehmenskommunikation zwar auf den Telekom-Mitbewerber Arcor setzt, sich für den störungsfreien Betrieb der "letzten Meile" aber dennoch auf die Telekom verlassen muss.

Trotz bis zu 16.000 streikenden Telekom-Mitarbeitern täglich wie hier in München, kommen die Folgen besonders im südlichen Deutschland noch nicht an.
Trotz bis zu 16.000 streikenden Telekom-Mitarbeitern täglich wie hier in München, kommen die Folgen besonders im südlichen Deutschland noch nicht an.
Foto: Ver.di

Cisco Systems verzeichnet ebenfalls keine größeren Störungen – nach Angaben von Sprecherin Sabine Lobmeier könne das allerdings auch nur damit zusammenhängen, dass Ausfälle während des Streiks noch nicht vorkamen und so Telekom-Leistungen nicht in Anspruch genommen werden mussten. Besonders die Heimarbeitsplätze seien durch den eingeschränkten DSL-Service seitens der Telekom durchaus gefährdet, so Lobmeier. Da der Anbieter von gebündelten Kommunikationslösungen seine interne Telefonie über hauseigene Voice-over-IP (VoIP)-Systeme abwickelt, könnten Leitungsausfälle im Breitbandnetz dazu noch weiteren Einfluss auf die eigenen Geschäftsabläufe haben. Das Unternehmen mit dem deutschen Hauptsitz in Hallbergmoos in der Nähe des Münchener Flughafens ist wie über 300 weitere Mitglied im Telekom-Forum, dem Geschäftskundenbeirat des Ex-Monopolisten. Insgesamt sind dort bisher keine unmittelbaren Auswirkungen des Streiks bekannt geworden, obwohl die eingetragenen Firmen über alle Bundesländer und Marktsegmente verteilt sind.

Vereinzelt setzen sich die Unternehmen dennoch bereits zumindest gedanklich mit den möglichen Folgen der von Ver.di angekündigten Ausweitung des Streiks auseinander. Fujitsu-Siemens Computers aus München beispielsweise hofft auf ein baldiges Streikende: "Wir hatten bisher noch keine Probleme", sagt Lothar Lechtenberg über die bundesweit verteilten Unternehmensstandorte. Er fügt aber hinzu: "Wir wünschen uns, dass der Streik nicht mehr allzu lange dauert - es könnte sonst durchaus sein, dass bei uns doch noch etwas passiert." Vorsorgemaßnahmen für den Fall der Fälle wurden bislang nicht getroffen.

Telekom lagert an externe Unternehmen aus – Ver.di kritisiert

Anders bei der Telekom selbst: Um die Auswirkungen der Arbeitsniederlegungen bestmöglich einzudämmen, setzt der Konzern bereits verstärkt externe Dienstleister ein. So würden seit Streikbeginn im Service-Bereich zahlreiche Call-Center von der Telekom beschäftigt, teilt Corinna Kielwein, Unternehmenssprecherin für Personalthemen, mit. Dennoch seien die Service-Stellen in der Regel nur noch in 15 statt wie bisher in 70 von 100 Fällen sofort erreichbar. Die "Süddeutsche Zeitung" berichtet hingegen in ihrer heutigen Ausgabe unter Berufung auf einen Telekom-Mitarbeiter, dass bereits wahllos und ohne Überprüfung Gutschriften ausgegeben würden, um die Zufriedenheit der Kunden nicht noch mehr zu gefährden.

Auch im Telekommunikations-Sektor seien Betriebe mit Dienstleistungen beauftragt worden – hier habe der Konzern vornehmlich den Mittelstand angesprochen, erklärt Kielwein. Hausintern werde versucht, mit einer "flexibleren Ressourcensteuerung" den Leistungsumfang einigermaßen auf einem Level zu halten. Im Klartext heiße das Überstunden und teilweise andere Aufgaben für Beamte und Streikbrecher. Der Ex-Monopolist gibt auch zu bedenken, dass gerade die ungünstige Witterung über das Pfingstwochenende die negativen Folgen des Streiks noch einmal potenziert habe. Die Zahl ausgefallener Leitungen und Anschlüsse sei zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt in dieser Woche rapide angestiegen. "Gerade bei Bereitstellungszeiten, die im Regelfall drei bis fünf Arbeitstage dauern, müssen Sie deshalb derzeit rund sechs bis acht Arbeitstage einplanen", sagt Kielwein. Panik befällt in der Bonner Konzernzentrale aber noch niemanden: "Mit unseren jetzigen Instrumenten stehen wir auch noch zwei bis drei weitere Streikwochen durch, zusätzliche Maßnahmen sind zur Zeit nicht vorgesehen", so die Sprecherin.

Ver.di kritisiert das Vorgehen der Telekom scharf: Die Gewerkschaft befürchtet, dass die ergriffenen Gegenmaßnahmen "zu einer Blaupause für andere Unternehmen werden könnten, sich aus vorhandenen Tarifverträgen davonzuschleichen", so Verhandlungsführer Lothar Schröder gestern. Um die eigene Gegenwehr verstärken zu können, überprüfe Ver.di nach Angaben von Streikleiter Ado Wilhelm die Ausweitung des Arbeitskampfes auf bis zu 22.000 Beschäftigte. Durch die Kündigung der Tarifverträge sei man darüber hinaus ab dem 1. Juli in der Lage, auch die Tochtergesellschaften T-Mobile und VTS (Vivento Technical Services) mit in den Ausstand einzubeziehen, so Wilhelm gegenüber der "Süddeutschen Zeitung".

Bisher nur wenige Telekom-Geschäftskunden vom Streik betroffen

Auch weil sich der rosa Riese in erhöhter Alarmbereitschaft befindet, gibt es nur wenige Großkunden, die die Wehen des Streiks bereits zu spüren bekommen. Lediglich der Verband VATM, in dem rund 50 Reseller-Unternehmen von Telefon- und Internetanschlüssen der Telekom zusammengeschlossen sind, beklagt naturgemäß bereits schwerwiegende Konsequenzen für das Geschäft. Nach einer aktuellen Befragung seiner Mitglieder - darunter Arcor, E-Plus, Freenet, Hansenet und Jamba - kommt der Verband zu dem Ergebnis, dass Störungsbeseitigungen, Leitungsumschaltungen und Neuauftragsbearbeitungen derzeit bis zu achtmal solange dauerten wie vor dem Streik. Darüber hinaus würden den Mitbewerbern, die für ihre Leistungen Telekom-Leitungen verwerten, vereinbarte Bereitstellungstermine seitens des Ex-Monopolisten vielfach nicht mehr bestätigt und oft auch nicht eingehalten. "Hierdurch entstehen vor allem den Unternehmen und deren Kunden zusätzliche Kosten in erheblicher Höhe", kritisiert VATM-Geschäftsführer Jürgen Grützner. Der Verband weist aber auch darauf hin, dass es durch die punktuelle Bestreikung bestimmter Regionen große Unterschiede der Leistungseinschränkungen gibt. Das wiederum bestätigen Recherchen der COMPUTERWOCHE, wonach streikbedingte Ausfälle bei Geschäftskunden in Süddeutschland so gut wie gar nicht auftreten.

Anders sieht es in den nördlichen Bundesländern aus. Besonders heftig bekommt beispielsweise die größte deutsche Betriebskrankenkasse BKK aus Wolfsburg die Auswirkungen zu spüren: Die Entstörung von Telefon- und Internetleitungen dauert derzeit deutlich länger als gewohnt – für die Einrichtung neuer Nebenstellen müssen die Mitarbeiter immer mehrere Tage einkalkulieren. Besonders auf die Auftragsabwicklung habe das nach Angaben von Pressesprecherin Lydia Krüger bereits negative Auswirkungen gehabt, da die telefonische Erreichbarkeit der Mitarbeiter derzeit nicht mehr zu gewährleisten sei. Am meisten fürchtet man sich in Wolfsburg vor einer erneuten Ausweitung des Streiks.

Auch nach über zwei Wochen Telekom-Ausstand sind die Leidtragenden aber noch eindeutig in der Minderheit.

Diskutieren Sie mit!

Wir wissen, dass viele unserer Leser ebenfalls Geschäftskunden bei der Deutschen Telekom sind. Daher unsere Frage an Sie: Welche Streikerfahrungen haben Sie bisher gemacht? Die folgenden Fragen sollen ein kleiner Denkanstoß zur Diskussion sein:

Stell' dir vor, es ist Streik und keiner merkt's!?

Ohne zu wissen, was die kommenden Tage und Wochen im Telekom-Streik noch bringen werden, bleiben bis hierher viele Fragen offen. Ist der groß aufgezogene Ausstand bislang nur ein künstlich erzeugter Medienrummel? Verfehlt der Streik seine beabsichtigte Wirkung? Kann der Service des rosa Riesen überhaupt nicht noch schlechter werden, als er es vorher schon war? Sind die Gegenmaßnahmen der Telekom vertretbar? Zeigt sich die Telekom-Führung gegenüber der Gewerkschaft deshalb so wenig verhandlungsbereit, weil sie es sich ganz einfach erlauben kann? Glaubt man dem Gros der Geschäftskunden, könnte dieser Eindruck entstehen. Der Ver.di-Führung und den 16.000 Streikenden sollte das durchaus zu denken geben.

Liebe Leser, was denken Sie über die aktuelle Situation der Geschäftskunden? Sind Sie vielleicht selbst Telekom-Kunde und haben bereits Probleme wegen des Ausstandes gehabt? Hier geht es zu unserem Forum, in dem Sie Meinungen und Erfahrungen rund um den Telekom-Streik abgeben und austauschen können. Diskutieren Sie mit!