Cisco und der Ehrgeiz, die IT-Branche (mit)prägen zu wollen (Teil 2)

Auf leisen Sohlen ans Ziel aller Träume - "Wintelco"

05.12.1997

Jemand aus dem Kreis der mehr als 10000 Cisco-Mitarbeiter hat sich die Wortschöpfung ausgedacht, die CEO John Chambers ganz offensichtlich nicht in den Kram paßt. Seit knapp einem Jahr taucht jedoch der Begriff vom "Wintelco"-Kartell immer häufiger in einschlägigen Kommentaren und Analysen auf; Ziel und Konsequenzen des 1993 verabschiedeten "Master-Plans" sind in das Blickfeld der interessierten Öffentlichkeit geraten. Doch der Cisco-Chef weiß, daß seine Company sowie er selbst nicht nur in puncto Public Relations noch Defizite haben. Bill Gates und Andy Grove sind für ihn "Ikonen der IT-Branche", ganz zu schweigen von der Position der beiden Firmen im Markt. Cisco habe dem Pentium-Prozessor oder Windows "nichts Vergleichbares entgegenzusetzen".

So viel Realitätssinn muß sein - oder ist es gezieltes Understatement? Denn Chambers wäre nicht Chambers, würden seine Mitarbeiter nicht den von ihm vor rund vier Jahren durchgesetzten strategischen Wandel zum Full-Service-Anbieter für Netzwerk-Technologie minutiös umsetzen. "Wintelco" könnte demnach doch mehr als bloßes Kantinengeschwätz sein, daß nun von den Analysten nachgeplappert wird. Zumindest aus einem machen die Verantwortlichen im Cisco-Management jedenfalls kein Hehl: Wo auch immer die Company am Ende stehen wird - ihre Strategie beruht auf vier Säulen. Erstens wird größter Wert auf ein möglichst breites Produktportfolio gelegt. Zweitens ist aus der Art und Weise, wie man Firmenübernahmen angeht, längst eine, wenn man so will, eigenständige Business Unit entstanden. Darüber hinaus möchte man im Bereich Netzsoftware eigene Industriestandards kreieren und dieses Unterfangen mit Partnerschaften absichern.

Doch wie weit sind die Kalifornier auf ihrem Weg gekommen - und wo führt er sie hin? Die von vielen Experten lancierte Unterstellung, das Cisco-Management sei einem Kaufrausch verfallen, muß jedenfalls bei näherer Betrachtung revidiert werden. 40 Prozent der für das Geschäftsjahr 1997 bilanzierten 6,44 Milliarden Dollar Umsatz stammen nach Schätzungen der Deutsche-Bank-Tochter Morgan Grenfell aus den seit 1993 getätigten Zukäufen. Entscheidend dabei ist: Ohne die meisten der Investments hätte Cisco längst die führende Position in seinem Kerngeschäft verloren. Zum Beispiel bei den Mergers mit Stratacom und Crescendo. Ohne ersteren Deal wären die Kalifornier heute noch immer ein Nobody im WAN-Geschäft mit den großen Carriern; ohne das Know-how von Crescendo hätte man das Switching und damit einen der ganz wichtigen Trends im Internetworking verpaßt. In Zahlen: Crescendo war zum Zeitpunkt der Übernahme eine 15-Millionen-Dollar-Company, heute setzt der daraus gewachsene, für Unternehmenskunden zuständige Geschäftsbereich zwei Milliarden Dollar um.

Punkt eins und zwei der "Master-Plan"-Strategie scheinen also zu funktionieren - weil man nicht nur zielorientiert Unternehmen sucht, sondern diese auch mit Hilfe ganzer Heerschaaren an internen und externen Beratern umgehend integriert. Das Prinzip "Research and Acquire" garantiert Cisco dabei offensichtlich zweierlei: Nach wie vor weht so etwas wie ein Gründergeist durch die Company (siehe Kasten "Cisco aus dem Blick eines Insiders"), gleichzeitig wird der Aufwand, neue Basistechnologien zu entwickeln, quasi zweckoptimiert.

Doch die skeptischen Stimmen werden lauter. Im Falle Granite Systems scheint der Networking-Gigant erstmals Gefahr zu laufen, ein Investment und die damit verbundene Sicherung eines lukrativen Zukunftsmarktes in den Sand zu setzen. In Sachen Gigabit-Ethernet befindet sich derzeit jedenfalls die Konkurrenz von Digital Equipment (demnächst Cabletron) oder 3Com auf der Überholspur, während man selbst bis dato kaum etwas vorzuweisen hat. Und auch in anderen Marktsegmenten beziehungsweise Innovationsbereichen droht Ungemach: "Tag-Switching" soll(te) das neue von Cisco auserkorene Schlagwort der Netzwerkbranche lauten - ein Verfahren, das dazu dient, der Datenflut im Internet Herr zu werden und nebenbei auch noch der Integration von Sprache, Daten und Video zuträglich ist. Dumm ist nur, daß sich mit 3Com, IBM, und Cascade mittlerweile ein zweites Herstellerlager dieser Idee angenommen hat - Kenner der Szene sprechen bereits von einer "Königsschlacht", die sich hier abzeichnet. Denn daß sich mit dem Internet-Boom die klassischen IP-(Daten)-Netze einer nie für möglich gehaltenen Renaissance erfreuen, ist kein Geheimnis mehr. Und damit den Weg zu Zukunftsanwendungen ebnen, die sich noch hinter Marketing-Floskeln wie "Voice über IP" verbergen - derzeit das Lieblingsthema von Cisco-Chef Chambers.

Den derzeit noch riesigen Platzvorteil im Internet-Business zementieren soll neben dem "Tag-Switching" auch ein sogenanntes "Active Directory", das zusammen mit Microsoft entwickelt wird und das Prinzip verzeichnisfähiger Netze auf das Internet übertragen soll. Doch auch hier schläft der Wettbewerb nicht: Der im klassischen Router-Geschäft weit abgeschlagene Konkurrent Bay Networks hat unlängst zusammen mit Netscape eine weitgehend identische Initiative vorgestellt - Ausgang des Technologie-Wettrennens ungewiß.

Noch scheint es jedenfalls für Cisco ein weiter Weg zur Ausnahmestellung ê la Microsoft oder Intel zu sein. Wenn Cisco niest, hat die Netzwerkbranche Schnupfen, hieß es in früheren Jahren. Seit längerem reagiert jedoch die Wall Street verschnupft. Während die Papiere der beiden IT-Giganten allein in den vergangenen eineinhalb Jahren im Wert um 70 beziehungsweise 90 Prozent zulegten, stagnierte die Cisco-Aktie. Die Company übernimmt sich bei ihrer Strategie, heißt es hinter vorgehaltener Hand - eine Ende der Wachstumsperiode sei absehbar. Erst recht, da sich seit dem Sommer mit 3Com, Siemens und Newbridge auch noch eine weitere nicht ganz unbedeutende Allianz die Integration von Sprach- und Datennetzen zum Ziel gesetzt hat.

Offensichtliche Konsequenz des Cisco-Managements: Die Flucht nach vorne. Kaum eine Woche vergeht, ohne daß der Router-Gigant mit einer neue Ankündigung aufwartet. Kooperation mit Hewlett-Packard (HP) im Corporate-Network-Geschäft, die verstärkte Ausrichtung auf das bisher von Wettbewerber 3Com beherrschte Geschäft der remoten Anbindung von Außendienstmitarbeitern an Firmennetze und zuletzt sogar das Engagement im Consumer-Markt. Cisco-CEO entgegnet solchen Vorhaltungen (noch) auf seine Weise. Wie würden Sie die aktuellen Geschäftszahlen von Cisco interpretieren, fragte er unlängst europäische Journalisten. Seine von ihm gleich mitgelieferte Antwort: "Zur richtigen Zeit im richtigen Markt mit den richtigen Produkten.