AS/400 verliert im ERP-Markt an Boden

27.07.2006
Trotz seiner Vorzüge befindet sich der Rechner als Business-Software-Plattform auf dem absteigenden Ast.
OS/400 wird als ERP-Plattform immer uninteressanter. Softwarefirmen bauen Produkte für Linux und Windows an.
OS/400 wird als ERP-Plattform immer uninteressanter. Softwarefirmen bauen Produkte für Linux und Windows an.

Von CW-Redakteur Frank Niemann

AS/400, Java und Linux

Unter dem Betriebssystem OS/400 lassen sich Java-Programme einsetzen. Allerdings muss der Anwender Experten zufolge weit mehr Aufwand betreiben, damit die Applikationen so performant laufen, wie dies unter Windows-, Unix- und Linux-Rechnern der Fall ist. Anwender können auf dem System Linux-Partitionen einrichten, das sind für das quelloffene Betriebssystem reservierte Bereiche, in denen Linux-Software ablaufen kann. Meist installieren Anwender jedoch keine geschäftskritischen Programme, sondern Web-, Print-, File-Server und Groupware.

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Für viele Anwender heißt IBMs Midrange-Rechnerfamilie immer noch "AS/400", auch wenn der IT-Konzern nach zwei Umbenennungen mittlerweile bei der Bezeichnung "System i5" angelangt ist. Zahlreiche Unternehmen betreiben den Rechner mit proprietärem Betriebssystem (OS/400) und integrierter Datenbank als Plattform für betriebswirtschaftliche Standardsoftware. Nicht wenige davon zählen zum Mittelstand und gelten als besonders treue Nutzer. Anwendungen, die in der uralten Sprache "Report Program Generator" (RPG) entwickelt wurden, tun unbeeindruckt von Moden und Fortschritten ihren Dienst und werden erst dann ausgemustert, wenn es gar nicht mehr anders geht. Manche Anwender entschließen sich erst dann zum Wechsel, wenn die letzten Kenner des Produkts das Unternehmen verlassen, der Anbieter vom Markt verschwindet beziehungsweise die Wartung nicht mehr gewährleistet oder wenn die Funktionen nicht mehr zu den Geschäftsabläufen passen und Anpassungen zu teuer sind.

Neuentwicklungen in Java

Einige Softwarehersteller für die i5-Plattform bieten Kunden mit Neuentwicklungen auf Java-Basis eine Alternative, doch auch von ihnen lassen sich die Firmen nur schwer vom vertrauten Systemumfeld weglocken. "RPG-Software ist alt, aber erprobt, Anwender können nachvollziehen, was da passiert. Java ist oft lahm und unzuverlässig, dafür aber modern und schön", bringt es Helmuth Gümbel, Analyst von Strategy Partners, auf den Punkt. "Die Nutzer wollen nicht auf andere Lösungen wechseln, weil das System so leicht zu warten ist", erklärt Günter Wiskot, Vorstand der IBM-Mittelstandsanwendervereinigung "Common". Zudem fehle oft das erforderliche Java-Know-how, um moderne Software auf der Plattform betreiben zu können. Gleichwohl verlangten die Kunden vom Anbieter zeitgemäße Benutzeroberflächen. Statt der grünen Bildschirme am 5250-Terminal sind Windows- und Web-Schnittstellen Bedingung.

Java-Wissen fehlt

IBM führt das Festhalten der Kunden an RPG-Software auf die kundenindividuellen Entwicklungen der Anwender zurück, die sich nicht ohne weiteres durch Standardapplikationen ersetzen ließen. Der Konzern wehrt sich zudem gegen den Eindruck, RPG sei veraltet, vielmehr entwickle er die Sprache ständig weiter. Kernapplikationen würden aus diesen Gründen selbst dann nicht abgelöst, wenn der Anwender über ausreichend Java-Know-how verfüge.

Für die Softwarehersteller sind die treuen Kunden Fluch und Segen zugleich: Einerseits beschert die Klientel ihnen solide Wartungseinnahmen, andererseits belastet die Pflege des alten Codes und bindet Kapazitäten, die eigentlich für die Entwicklung neuer Produkte benötigt würden.

Eine Perspektive für die unternehmerische Zukunft bietet die Pflege alten RPG-Codes indes nicht. Die Softwarehäuser müssen vielmehr moderne Techniken und Lösungen entwickeln, die auch außerhalb der IBM-Welt laufen. "Das wenige Neukundengeschäft mit AS/400-Software basiert in erster Linie auf Ablöseprojekten, bei denen Unternehmen eine Altapplikation gegen ein anderes AS/400-Programm austauschen", stellt Christian Glas fest. Der Senior Consultant bei Pierre Audoin Consultants (PAC) GmbH in München glaubt, dass die Zahl der Anwender, die von einer AS/400-Lösung auf Windows migrieren, größer ist als die der Midrange-Neueinsteiger. "Der ERP-Markt in diesem Umfeld wandelt sich zum Migrationsgeschäft", stellt auch Analyst Gümbel fest.

Weil auch das ein lukrativer Markt sein kann, werden AS/400-Softwarehäuser zu Akquisitionsobjekten: "Durch die Übernahmen von AS/400-Anbietern erwerben Softwarehäuser Kunden mit Wartungsverträgen. Wie SAP mit R/3 fahren einige die Innovation zurück und verteuern die Programmpflege", meint Gümbel.

Das Marktforschungsunternehmen IDC prognostiziert, dass der europäische Umsatz mit Lizenzen und Wartung von Business-Software (ERP, CRM und SCM) von gut 779 Millionen Dollar im Jahr 2005 auf knapp 675 Millionen Dollar in 2010 sinken wird. Höchste Zeit also für Softwarehäuser, sich Wachstumsmärkte zu suchen. Doch das ist nicht einfach: In den letzten Jahren verloren viele Softwareanbieter, die diese bewährte Rechnerplattform bedienen, ihre Unabhängigkeit.

Anbieter verschwinden

Die deutsche Firma Brain ("XPPS") etwa gehört zum Softwarekonzern Infor Global Solutions. Und mit dem beabsichtigen Kauf von SSA Global erwirbt der Softwarekonzern weitere AS/400-basierende Lösungen. Der schwedische ERP-Hersteller Intentia, dessen Kunden fast ausschließlich den IBM-Rechner verwenden, wurde von der US-amerikanischen Firma Lawson geschluckt. Auch die Mehrheit der J.D.-Edwards-Klienten betreibt Programme auf dem Midrange-Computer. J.D. Edwards war zunächst von Peoplesoft übernommen worden, um dann gemeinsam mit der neuen Mutter in den Besitz von Oracle überzugehen.

Wer noch nicht gekauft wurde, muss selbst für die Zukunft vorsorgen: Manche unabhängige Marktteilnehmer schließen Bündnisse, um gemeinsam neue Lösungen zu bauen, die sie aus eigener Kraft kaum realisieren könnten. Das Münchner Softwarehaus SoftM etwa entwickelte zusammen mit der Schweizer Firma Bison ein neues, Java-basierendes ERP-System namens "Greenax". Die Münchner positionieren die Anwendung als zweite, modernere Produktlinie parallel zur Kernsoftware "SoftM Suite". Letztere ist zwar nicht in RPG geschrieben, wird aber trotzdem fast ausschließlich auf der AS/400 genutzt. Greenax richtet sich zunächst an den Handel, soll aber sukzessive auch Funktionen für SoftMs Kernbranche, die Prozessindustrie, erhalten. SoftM nutzt die neue ERP-Suite, um neue Märkte jenseits der i5-Welt zu erschließen. Greenax läuft ausschließlich auf Linux- und Windows-Servern. Eine AS/400-Variante gibt es nicht.

Ein partnerschaftliches Duo bilden auch die Softwarehäuser Oxaion und Gus Group. Beide haben ihre Wurzeln im AS/400-Umfeld. Einen ersten Schritt in Richtung Modernisierung hatte Oxaion - noch unter dem Namen Command AG - mit dem Produkt Oxaion vollzogen, das als Nachfolger für die reine RPG-Lösung "Frida" entworfen worden war. Dieses Produkt enthält im Kern noch RPG-Module. Nun will Oxaion mit Hilfe der Middleware-Technik von GUS Group ein zusätzliches ERP-System bauen. Teil der Partnerschaft ist auch, dass GUS die Oberflächentechnik "JET" von Oxaion erhält. Die Firma will damit ihr Produkt "GUS-OS ERP" ausstatten. Der Java-basierende Nachfolger für das RPG-System "Charisma" ist schon länger auf dem Markt.

Kunden steigen nicht um

IBM schätzt die Anzahl der in Deutschland verfügbaren AS/400-Geschäftsapplikationen immer noch auf einige hundert. Neben den großen Produktpaketen der Marktführer existieren zahlreiche Branchenlösungen, die von den Kunden dank der Flexibilität der Anbieter oft sehr geschätzt werden.

Trotz der Neuentwicklungen versprechen Hersteller wie Oxaion, SoftM, Infor und SSA Global, ihre bestehenden AS/400-Lösungen weiterzuentwickeln und Kunden nicht zum Umstieg auf neue Systeme zu nötigen. Auch Oracle tut zumindest offiziell viel, um die Nutzer der gekauften ERP-Produkte zu beruhigen. Besonders kritisch beäugen Anwender der RPG-Software "World" von J.D. Edwards die Strategie der Kalifornier. Unlängst hatte der Datenbankhersteller ihnen versprochen, das Produkt unbegrenzt weiterzuentwickeln. Oracles ungewöhnlich kundenfreundliche Signale sind kein Zufall: Denn dem Softwarekonzern sitzt die SAP im Nacken, die mit Migrationsangeboten ("Safe Passage") nur allzu gern ERP-Bestandskunden auf die Mysap-Plattform hieven würde.

Altsysteme werden gepflegt

Noch halten die Hersteller ihre Versprechen, doch was geschieht, wenn die Anzahl der Anwender so weit schrumpft, dass die Wartung unwirtschaftlich wird? Damit es so weit nicht kommt, hoffen Anbieter wie Infor/SSA Global und Oracle insgeheim, dass die durch Übernahmen erworbene AS/400-Klientel sich über kurz oder lang zu einer Migration auf ein anderes Produkt aus dem eigenen Portfolio entschließt

Die schlechten Prognosen für die AS/400 als ERP-Plattform hat nach Meinung von Branchenexperten IBM selbst zu verantworten. Wie andere Kenner der Midrange-Szene kritisiert Common-Vorstand Wiskot die Produktstrategie des Konzerns: "IBM hat das Marketing für den Rechner als ERP-Plattform über Jahre sträflich vernachlässigt." Obwohl nach Ansicht kritischer Beobachter der Zug abgefahren ist, versucht der Hersteller durch Kampagnen, Softwarehäuser für seine proprietäre Plattform zu gewinnen. Die "System i Initiative for Innovation" richtet sich an Softwerker, die ihre Produkte auf die AS/400 portieren sollen. Außerdem will die Kampagne Anbieter von AS/400-Programmen dafür gewinnen, ihre RPG-Software zu modernisieren. Mit Anwendungs-Checks, Migrationsunterstützung, kostenfreien Hardwarenutzung und Workshops will Big Blue den Softwareanbietern dabei helfen. Zudem sucht IBM - reichlich spät - nach Softwareexperten für AS/400.

Experten gesucht

Kenntnisse in RPG stehen dabei nicht im Vordergrund, sondern Java und Websphere. IBM wendet sich unter anderem an Universitäten. Doch es dürfte nicht leicht sein, Jungakademiker, die meist über Windows- und Linux-Erfahrung verfügen, für proprietäre Systemtechnik zu begeistern.

Ganz neu sind die Vitalisierungsprogramme des ERP-Geschäfts mit der AS/400 nicht: "IBM hat in der Vergangenheit viel investiert, um SAP und Navision auf dem Rechner verfügbar zu machen", so Ralf Gärtner, Marketing-Vorstand bei SoftM. Allzu viel gebracht hat es nicht: Dynamics NAV, wie Microsoft das übernommene Navision-Produkt heute nennt, ist nicht mehr für die AS/400 erhältlich, und der Anteil der SAP-Installationen, die auf IBM-Betriebssystemen laufen (gemeint sind damit sowohl z/OS als auch OS/400), macht in Deutschland gerade einmal sechs Prozent aus. Die Zahlen beruhen auf Umfragen der Beratungsfirma Raad Consult aus Münster.

Laut SoftM-Manager Gärtner hat sich IBM in der Vergangenheit zu sehr darauf konzentriert, möglichst viele Lösungen für die Hardwareplattform zu gewinnen, statt die bereits verfügbaren Softwareprodukte zu fördern. Dadurch seien einige etablierte Anbieter auf der Strecke geblieben, was letztlich auch zu den erwähnten Übernahmen geführt habe. Das Image der IBM-Plattform habe dadurch - zu Unrecht - gelitten. "Wenn uns der Kunde fragt, welche Plattform er nehmen soll, würden wir immer zur AS/400 raten, doch der Rechner verliert an Bedeutung", so Gärtner. Allerdings ist seine Interessenlage offenkundig. SoftM verkauft nicht nur ERP-Software, sondern als Business Partner von IBM auch i5-Rechner und andere Server des Herstellers.

Linux billiger

In der Gunst der ERP-Interessenten steigen aber - wie auch die IDC-Zahlen belegen - Windows- und Linux-Systeme. "Die Windows-Plattform ist den Anwendern bekannt, da sie in der Regel Office verwenden. Außerdem verspricht Linux, billig zu sein", meint ERP-Analyst Gümbel.

Tatsächlich haftet der AS/400 der Makel des teuren IBM-Produkts an, während Intel-basierende Computer als preisgünstig gelten. Obwohl der Vergleich hinkt, da der Midrange-Rechner über eine Vielzahl integrierter Funktionen verfügt und für seine Zuverlässigkeit gelobt wird, reduziert sich bei vielen Käufern der Systemvergleich auf den Preis. "Wäre es der IBM gelungen, die Vorzüge des Systems wie Stabilität sowie die integrierten Verwaltungsfunktionen besser am Markt zu artikulieren, müsste sie die Preisdiskussion jetzt nicht führen", wettert SoftM-Vorstand Gärtner. Da diese Argumente beim ERP-Kunden nicht verfangen, dreht der IT-Konzern stärker an der Preisschraube. Eine Einsteigerversion der Hardware für den Betrieb von Oracles ERP-Software "J.D. Edwards Enterprise One" kostet mit 20000 Dollar mittlerweile nur noch halb so viel wie vor einem Jahr. Das Angebot ist Teil einer Vertriebskooperation, von der die ansonsten verfeindeten Hersteller IBM und Oracle profitieren.