Jahresrückblick/Massenentlassungen, Terroranschläge und ein wenig Hoffnung

2001: Zwölf Monate Unsicherheit (Teil 1 Januar bis März)

21.12.2001
War das ein gutes Jahr? Die zwölf vergangenen Monate und die darin vorherrschende globale Stimmung lassen sich wohl mit wenigen Worten zutreffend beschreiben: allgemeine Verunsicherung. Die nationalen Wirtschaften beginnen in eine Rezession abzudriften - angeführt von der Leitnation USA.

Und ausgerechnet die wirtschaftliche Führungsmacht wird in den Grundfesten ihres nationalen Selbstverständnisses schwer getroffen: Der 11. September 2001 mit den brutalen Attacken auf das World Trade Center, das Pentagon und Pennsylvania markieren ein historisches Ereignis, dessen Bedeutung zwar erst in den kommenden Jahren richtig eingeschätzt werden kann. Trotzdem zeitigen die Anschläge sofort weltweit Auswirkungen.

Januar

Die erste Überschrift der COMPUTERWOCHE im Jahr 2001 sagt eigentlich schon alles und gibt den Tenor vor für das gesamte Jahr: "Entlassungen bei Dotcoms auf Rekordniveau" muss man im Lauf der zwölf Monate nur geringfügig variieren. Mittlerweile lässt sich die Aussage auf fast alle Branchen ausdehnen. Der "traurige US-Rekord von über 40000 Kündigungen bei Internet-Firmen" sollte erst der bittere Anfang einer Fahrt in die Talsohle werden.

Microsoft setzt gleich zum Jahresbeginn die Branche wieder unter Druck. Für 1,1 Milliarden Dollar - also quasi aus der Portokasse - kauft die Gates-Company Great Plains. Der renommierte Anbieter betriebswirtschaftlicher Software soll dem Marktführer behilflich sein, seine .NET-Strategie ins rechte Licht zu setzen und dabei neue Wachstumsfelder zu erschließen.

Dass 2001 nicht gerade ein Boom-Jahr werden würde, deutete sich spätestens an, als sogar Marktführer wie Sun Microsystems und auch Microsoft ihren Mitarbeitern interne Schreiben zukommen ließen, in denen ein Wort immer wieder vorkam: Sparen. "Mehr Kostenbewusstsein" fordert Sun-Boss Scott McNealy - und auch dieses Verlangen gibt die Richtung für das Jahr 2002 vor.

Für die Telekom beginnt das Jahr mit einer Zitterpartie: Nicht nur die Aktien der Tochter T-Online sind am Neuen Markt um mehr als die Hälfte des Ausgabepreises abgestürzt. Fast schlimmer noch ist der Sturzflug der Papiere der Mutter auf unter 33 Euro. Dieser Kurs - so die Vereinbarung mit dem US-amerikanischen Mobilfunkanbieter Voicestream -, darf an neun von 15 Handelstagen nicht unterschritten werden, wenn der ausgehandelte Übernahmevertrag nicht platzen soll.

Für das Online-Auktionshaus Ebay fängt das Jahr nicht gerade wettbewerbsfördernd an: Weil man wegen des Weihnachtsgeschäfts die überalterte Hardware nicht austauschen konnte, kommt es gleich zu Beginn des neuen Jahres zum Komplettausfall aller Systeme - inklusive der Backup-Rechner. Stundenlang geht gar nichts mehr - nach einem halben Tag mit Ton- und Bildstörung hat das Image des Online-Unternehmens so richtig Schaden genommen.

Und auch bei der Intershop Communications AG, dem deutschen Vorzeige-Internet-Unternehmen vergangener Tage, regnet es ordentlich rein: vorbei die Zeiten, da die Aktie den Himmel stürmte. Jetzt müssen drastische Gewinn- und Umsatzwarnungen ausgegeben werden, der Kurs des Papiers stürzt im freien Fall. US-Aktionäre klagen prompt. Sie glauben, mit veröffentlichten Gewinnerwartungen hinters Licht geführt worden zu sein.

Nichts Neues derweil beim belgischen Softwarehersteller und Spezialisten für Spracherkennung Lernout & Hauspie: Schon im Jahr 2000 hatten sich Gerüchte über unsaubere Machenschaften der Unternehmensführung gehäuft. Ein Prüfungsbericht legt jetzt das Ausmaß der Finanzmanipulationen und der unlauteren Geschäftspraktiken offen. Wieder müssen die Mitarbeiter die Fehler des Managements büßen: Mindestens 20 Prozent der Arbeitsplätze fallen dem wirtschaftlichen Revirement zum Opfer.

Anders vorgestellt hat sich wohl auch Hermann-Josef Lamberti, Vorstandsmitglied der Deutschen Bank und verantwortlich für den dort angesiedelten IT-Bereich Global Technology Service, seine nähere berufliche Zukunft. Wegen der kompletten Umstrukturierung des Bankenkolosses in zwei Unternehmensbereiche soll auch kein Platz mehr für ein mit IT befasstes IT-Vorstandsressort sein. Lamberti, so die Informationen Mitte Januar, soll künftig im Vorstand das Filialgeschäft und das Online-Banking verantworten. Eine Rückstufung?

Abschwung, welcher Abschwung?Wer übrigens Anfang des Jahres glaubte, in den IT-Abteilungen deutscher Unternehmen regiere wegen der Krise in der New Economy Küchenmeister Schmalhans, der sieht sich getäuscht: Auch wegen der dräuenden Euro-Umstellung wollen die Verantwortlichen ihre IT-Investitionen gegenüber dem Vorjahr sogar noch erhöhen.

Eine gewichtige Entscheidung fällt die US-Behörde Federal Communications Commission (FCC): Ein Jahr, nachdem AOL seine Absicht bekannt gegeben hat, Time Warner zu übernehmen, stimmt die FCC als letzte Kontrollinstanz dem Zusammenschluss der Ungleichen zum größten Medienhaus der Welt zu.

Im Januar stirbt ein ganz Großer und ganz Leiser der DV-Szene im kalifornischen Palo Alto: William Hewlett, zusammen mit David Packard Gründer von Hewlett-Packard (HP) im Jahr 1939. Er muss nicht mehr miterleben, dass und vor allem wie die HP-Chefin Carleton Fiorina versucht, durch eine Fusion mit Compaq ebenfalls in die DV-Geschichte einzugehen. Genau über solch eine Übernahme spekuliert die COMPUTERWOCHE eine Woche später.

Februar

Der Februar 2001 wartet gleich zu Beginn mit einer erfreulichen Meldung auf: Die Software AG verkündet für das abgelaufene Geschäftsjahr Rekorde. Der deutsche Softwareanbieter kann seinen Gewinn vor Steuern um rund 70 Prozent auf 113 Millionen Euro steigern. Nokia legt sogar ein Geschäftsjahr 2000 mit einem operativen Gewinn von 5,8 Milliarden Euro hin. Das entspricht einer Steigerung von 48 Prozent. Solche Meldungen werden im Laufe des Jahres Seltenheitswert erlangen. In der gleichen Ausgabe verbreitet die CW denn auch gleich eine zeittypischere Nachricht: Lucent entlässt 10000 Mitarbeiter.

Die New Economy muss im Februar tragische Opfer beklagen: Openshop-Gründer Thomas Egner stirbt beim Absturz einer Privatmaschine zusammen mit der Openshop-Mitarbeiterin Nancy Kress, zuständig für Investor-Relations-Fragen, beim Landeanflug auf den Flugplatz Augsburg-Mühlhausen. Der dritte Openshop-Mitarbeiter Jörg Schneider, Assistent des Vorstands und ebenfalls im Bereich Investor Relations tätig, überlebt den Absturz.

Mut beweist im Februar Amazon-Gründer Jeffrey Bezos. Das bisher notorisch defizitäre Online-Vorzeigeunternehmen werde im letzten Quartal 2001 erstmals im Plus liegen - zumindest beim Pro-forma-Ertrag. Im gleichen Atemzug gibt er das Ergebnis für das Jahr 2000 bekannt: 1,4 Milliarden Verlust. Wie sagt doch der größte Teamchef aller Zeiten? Schaun mer mal, dann sehn mer scho.

Die Nachricht kommt überraschend und ist ein kleiner Schock für die IT-Branche: Jetzt muss sogar der Überflieger Dell nach einer bereits im Januar erfolgten Gewinnwarnung massiv Mitarbeiter entlassen. 5000 von weltweit insgesamt 39 000 verlieren ihren Arbeitsplatz.

Ein Urteil in Kalifornien macht weltweit Schlagzeilen: Ein Berufungsgericht in San Francisco untersagt der Musiktauschbörse Napster, weiterhin als Forum für Liebhaber internationalen Liedguts und als Tauschbörse urheberrechtlich geschützter Musiktitel zu fungieren. Zwar schließt das Gericht die Online-Pforten von Napster nicht sofort. Die Entscheidung bedeutet aber trotzdem das Ende eines Internet-Modells, das zwar bei den Nutzern sehr beliebt, rechtlich aber fragwürdig war. Bereits seit einem Jahr werkelt zudem Bertelsmann an einer Allianz mit Napster und plant eine Tauschbörse, der ein seriöses Abo-Modell zugrunde liegen soll. Bei den Plänen bleibt es dann.

Die Geschichte holt sie immer wieder ein: Im Februar sorgt ein Buch des US-Amerikaners Edwin Black für beträchtlichen Imageverlust eines Branchenriesen: In "IBM and the Holocaust" argumentiert Black, die planmäßige Ermordung von Juden durch die Nazis hätte ohne Big Blues Lochkartentechnik niemals so brutal effizient funktionieren können. Mit dem Erscheinen des Buches erheben fünf Holocaust-Opfer aus Belgien Klage gegen den Computergiganten in New York. Der will durch seine Anwälte das Buch inhaltlich prüfen lassen.

Eine kleine Perfidie baut Microsoft in sein für den Herbst 2001 angekündigtes Betriebssystem Windows XP und die Office-Suite "Office XP" ein: Wer die Software nutzen will, ist gezwungen, sich online bei Microsoft anzumelden und die Software freischalten zu lassen. Nicht nur Datenschützer laufen Sturm.

Im Kartellrechtsstreit des US-Justizministeriums und von 19 Bundesstaaten gegen Microsoft fahren die Gatesianer derweil schwere Geschütze gegen den Richter der ersten Instanz, Thomas Jackson, auf. Der habe sich gegenüber dem Konzern in öffentlichen Aussagen voreingenommen gezeigt und dürfe keinesfalls in einer Berufungsinstanz wieder als Vorsitzender des Rechtsverfahrens eingesetzt werden. In der Tat hatte Jackson in Interviews außerhalb des Gerichtssaals Gates unter anderem mit Napoleon verglichen. In seinem Urteil hatte er dann die Aufsplittung des Konzerns verlangt.

Ach ja, man soll sich ja nicht selber loben. Ab dem 16. Februar 2001 erscheint die COMPUTERWOCHE in einem neuen Layout. Die Inhalte sind so verlässlich gut wie immer. Aber die Tante CW ist auf einmal ein frischeres Mädchen geworden. Klar, auch solche Gören haben noch Optimierungspotenzial - aber wir finden uns seit Ausgabe 7 des Jahres 2001 ganz schön schön.

Ende Februar 2001 hat Apple Deutschland wieder einen Chef. Zum 1. September 2000 hatte Peter Dewald den Bettel hingeschmissen, das Unternehmen agierte seitdem führerlos. Der ehemalige Candle-Mann Frank Steinhoff darf jetzt versuchen, die schon immer etwas teureren Apples auch hierzulande vermehrt an den Mann und die Frau zu bringen.

März

Anfang März gerät Telekom-Chef Ron Sommer in die Kritik: Die Aktie des Unternehmens ist seit dem 6. März 2000 und dem seinerzeitigen Allzeithoch von 104,87 Euro um 75 Prozent abgestürzt. Als sich jetzt Gerüchte bestätigen, die Führungsetage der Telekom habe für die Bilanzen den Wert des firmeneigenen Immobilienvermögens gleich um rund zwei Milliarden Euro zu hoch angegeben, fällt die Aktie auf knapp unter 25 Euro. Die auch hausinternen Stimmen, die eine Ablösung Sommers fordern, werden lauter. Bei Redaktionsschluss der vorliegenden CW-Ausgabe steht der Kurs bei 19,9 Euro.

E-Commerce hat nicht nur Potenziale, sondern birgt auch Fallstricke. Diese Erfahrung macht die Luftfahrtgesellschaft United Airlines. Wegen eines Fehlers in ihrer Web-Server-Software können ein knappes Stündchen lang Kunden für 25 Dollar die Luftpassage von Los Angeles nach Paris buchen. Als der Lufthansa-Partner den Fehler bemerkt, will er erst den normalen Preis von 573 Dollar berechnen. Wegen des drohenden Imageschadens dürfen ein paar Cleverles dann aber doch zum symbolischen Preis die Reise in die Hauptstadt der Liebe antreten.

Wie sich die Zeiten doch ändern: Mittlerweile klagen alle Medien über extrem rückläufige Stellenanzeigen. Im März aber warnt der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue Medien (Bitkom) in einer Studie noch, in den kommenden zwei Jahren würden 723000 Fachkräfte für diesen Bereich fehlen. Der Fachkräftemangel in Deutschland sei damit im Vergleich zu anderen Ländern Westeuropas am höchsten.

Seit Ende März steht fest, welche deutschen Informatikhochschulen Arbeitgebern als Nachwuchsschmieden die liebsten sind: die Universität Karlsruhe und die Fachhochschule Furtwangen. Beim CW-Hochschultest haben 224 Personalchefs und Geschäftsführer mit ihrem Votum die besten deutschen Informatikfakultäten gekürt. Dabei unterscheiden die Juroren zwischen Universitäten einerseits und Fachhochschulen andererseits. Wie im Jahr zuvor macht wieder die Universität Karlsruhe das Rennen. 21,7 Prozent der Befragten optieren für die badische Hochschule als beste Informatik-Uni Deutschlands. Auf den zweiten Platz wählen die Wirtschaftsvertreter die Universität von Stuttgart. Und auch bei den Fachhochschulen belegen zwei Institute aus dem Ländle die vorderen Plätze: Furtwangen sonnt sich auf dem Spitzenplatz, die Fachhochschule Esslingen, Hochschule für Technik, steht bei Personalern und Managern in der Beliebtheitsskala auf Rang zwei.

Apple stellt Ende März 2001 sein lang erwartetes neues Betriebssystem "OS X" vor. Wesentlich bedienerfreundlicher als Unix-Systeme, soll es genauso stabil sein. Trotzdem ruft es im Vergleich zu Microsofts für September avisiertes Windows XP ein eher schwaches Medieninteresse hervor. So ungerecht ist die Welt auch der IT-Branche.

Ein Stück deutscher IT-Geschichte neigt sich zur CeBIT 2000 dem Ende entgegen. Ditec, 1994 aus der ehemaligen Digital Equipment ausgegründet, muss Ende März vor dem Amtsgericht München sowohl für die AG als auch für die GmbH und die Verwaltungsgesellschaft mbH einen Insolvenzantrag wegen bilanzieller Überschuldung stellen. Allerdings handelt es sich nicht um eine operative Pleite. Das fehlende Testat der Wirtschaftsprüfer von Arthur Andersen für die Bilanz des Geschäftsjahres 2000 hatte zu dem Insolvenzantrag geführt.

Dass nicht immer nur die aus dem Tritt kommende Weltwirtschaft Schuld ist an Problemen deutscher Firmen, zeigt das Beispiel CSC Ploenzke: Die Demission des Vorstandsvorsitzenden Christian Stolorz Mitte April bildet den Höhepunkt einer unguten Entwicklung. Management-Wechsel, interne Querelen und Versäumnisse der Firmenspitze, das Unternehmen rechtzeitig auf die neuen Herausforderungen des Marktes auszurichten, bereiten dem IT-Dienstleister erhebliche Probleme. Auch Finanzvorstand Heiner Diefenbach wirft hin - wohl wegen der hierarchischen Abläufe, die der deutschen Dependance und deren Vertriebsmannschaft von der US-Mutter über das europäische Hauptquartier diktiert werden.