Nach einem kleinen Rückgang während der Corona-Jahre 2020 und 2021 verschärft sich der Mangel an IT-Fachkräften in diesem Jahr weiter. Einer aktuellen Bitkom-Umfrage sind in deutschen Unternehmen derzeit 149.000 Stellen für IT-Expertinnen und -Experten unbesetzt - 12.000 mehr als vor einem Jahr. Eine baldige Erholung ist nicht in Sicht, vielmehr rechnen drei Viertel der 853 befragten Betriebe mit einer weiteren Verschärfung.
Die Konsequenz: Bereits heute merken sechs von zehn Unternehmen (60 Prozent), dass sich Stellen für IT-Fachkräfte langsamer besetzen lassen als andere Stellen, im Schnitt bleiben freie Positionen 7,7 Monate unbesetzt. Vor einem Jahr waren es noch 7,1 Monate. In jedem fünften Unternehmen (21 Prozent) liegt der Schnitt bei zehn bis 12 Monaten, bei vier Prozent ist es sogar mehr als ein Jahr.
Bewerbermarkt überfordert Unternehmen
Angesichts der Ungleichverteilung von Angebot und Nachfrage ziehen laut Bitkom meist die kleineren Firmen den Kürzeren: 70 Prozent der fehlenden IT-Stellen, so Bitkom-Präsident Wintergerst, entfallen auf Unternehmen mit weniger als zehn Millionen Euro Jahresumsatz.
Aber auch insgesamt betrachtet, sieht es nicht gut aus. Laut Umfrage haben nur drei Prozent der Unternehmen keine Probleme bei der Besetzung von IT-Stellen. Umgekehrt erhält rund jedes vierte Unternehmen (26 Prozent) faktisch keinerlei Bewerbungen auf Jobangebote für IT-Fachkräfte.
Falls sich tatsächlich jemand meldet, stehen die Unternehmen vor einer Vielzahl weiterer Herausforderungen, etwa
Gehaltsvorstellungen, die laut Umfrageteilnehmer "nicht zum gewachsenen Gehaltsgefüge des Unternehmens" (61 Prozent) oder den jeweiligen Kompetenzen (56 Prozent) passen.
Bewerberinnen und Bewerber, die fachlich unterqualifiziert sind (46 Prozent) oder nicht die notwendigen Soft-Skills besitzen (41 Prozent).
fehlende Deutschkenntnisse (35 Prozent) oder Fremdsprachenkenntnisse (18 Prozent).
Mangel an spezifischen Kenntnissen über neueste Technologien (11 Prozent).
Fachlich überqualifizierte Bewerber beklagten laut Umfrage indes nur drei Prozent der Unternehmen.
Gleichzeitig zeigt die Studie aber auch Defizite bei den Unternehmen selbst auf. Dazu zählen mangelnde Bereitschaft, mobiles Arbeiten (40 Prozent) oder Weiterbildung (19 Prozent) zu unterstützen. Fast ebenso viele (18 Prozent) räumen ein, dass sie ihre Personalentscheidungen zu langsam treffen. Und sechs Prozent haben Bewerbern eine Absage erteilt, weil sie sie für zu alt hielten.
Zu wenig Informatik-Studenten, zu viele Abbrecher
Möglicherweise müssen Unternehmen gerade hinsichtlich der Altersfrage schleunigst umdenken, denn so Wintergerst: "Den steigenden Bedarf an IT-Fachkräften werden wir aus den Hochschulen nicht decken können."
Zwar ist die Zahl der Absolventinnen und Absolventen eines Studiums der Fächergruppe Informatik laut Destatis-Zahlen 2022 leicht auf 34.385 gestiegen. Dennoch studieren aus Sicht des Branchenverbands immer noch zu wenig junge Menschen und vor allem - mit einem Anteil von weniger als 20 Prozent - auch zu wenig Frauen Informatik. Außerdem läge die Abbrecherquote mit dauerhaft über 50 Prozent viel zu hoch.
Interne Weiterbildung boomt
Angesichts des schwierigen Arbeitsmarktes für IT-Fachkräfte setzen Unternehmen verstärkt auf Weiterbildung, so ein weiteres Ergebnis der Studie: 54 Prozent verfügen über eine zentrale Weiterbildungsstrategie, um digitale Kompetenzen zu vermitteln (2017: 37 Prozent). Und sogar 67 Prozent bilden die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesen Bereichen weiter, das sind fast doppelt so viele wie vor sechs Jahren. Allerdings erklärten die Unternehmen, dass diese Weiterbildungen zu Digitalthemen nicht immer bei den Beschäftigten gut ankämen und die Zeit dafür fehle (jeweils 34 Prozent). Für viele sind die Weiterbildungen auch zu teuer und das Angebot unübersichtlich.
Kaum Interesse an ausländischen Fachkräften
Die Rekrutierung von IT-Fachkräften aus dem Ausland ist dagegen nur für ein Fünftel der Unternehmen (22 Prozent) ein Thema. Wie die Umfrage ergab, haben das seit Einführung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes 2020 gerade einmal acht Prozent der befragten Unternehmen versucht, weitere 14 Prozent können es sich für die Zukunft vorstellen.
Das geringe Interesse hat Gründe, so der Bitkom: Unternehmen, die im Ausland rekrutiert haben, beklagen insbesondere zu wenig Informationen über den Einwanderungsprozess (75 Prozent), einen sehr hohen bürokratischen Aufwand (67 Prozent) und die lange Wartezeit bei der Visumerteilung (44 Prozent).
Aber auch für die im Ausland rekrutierten IT-Fachkräfte ist es kein Zuckerschlecken, bei Unternehmen in Deutschland anzuheuern. Die Palette reicht von bürokratischen Hürden, Integrationsschwierigkeiten, Problemen bei der Wohnungssuche und dem Familiennachzug bis hin zu Ausländerfeindlichkeit und Anfeindungen am Arbeitsplatz.
Fachkräftemangel bremst Digitalisierung
"Zu wenige Fachkräfte und zu viel Regulierung bremsen das digitale Deutschland", warnt Bitkom-Präsident Wintergerst und weist darauf hin, dass dieses Problem zunehmend auch die in den Zahlen nicht enthaltene öffentliche Verwaltung betrifft, die unbedingt mehr Digitalkompetenz braucht. "Der Mangel an IT-Fachkräften wird sich durch die demografische Entwicklung in den kommenden Jahren weiter verschärfen. Politik und Unternehmen müssen schnell und massiv gegensteuern", fordert Wintergerst.
Konkret leitet der Bitkom vier Forderungen an die Politik ab, um den IT-Fachkräftemangel zu stoppen:
Die Weiterbildung muss durch neue, agile Förderansätze staatlich besser gefördert werden: Ziel muss sein, Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger für den IT-Bereich und andere Mangelberufe zu gewinnen und Anreize für, sowie Wachstum durch Weiterbildung zu schaffen.
Ältere Beschäftigte müssen mithilfe von Anreizen und weniger Bürokratie über das Renteneintrittsalter hinaus in der Digitalbranche gehalten werden.
Deutschland muss zu einem attraktiven Einwanderungsland werden. Dazu braucht es von der Visavergabe bis zu den inländischen Verwaltungsprozessen ein einheitliches und digitales Verfahren - und das gezielte Anwerben im Ausland.
Rechtsicherheit für den projektbasierten Einsatz externer IT-Fachkräfte: Mit dem bestehenden Rechtsrahmen laufen Unternehmen beim Einsatz externer IT-Experten regelmäßig in ein unüberschaubares Haftungsrisiko.