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Datenschutz interessiert nicht

"Digitaler Exhibitionismus" - Daten-Striptease im Web 2.0

23.01.2008
Von Handelsblatt 
Wer sich online in Netzwerken wie Facebook oder Myspace bewegt, gibt eine Vielzahl persönlicher Daten preis. Und der Datenhunger der Netze scheint unstillbar. Was treibt Internet-Nutzer zum "digitalen Exhibitionismus"? Und wie verantwortungsvoll gehen Anbieter mit den sensiblen Daten um? Ein deutscher Informatiker hat das Phänomen genauer unter die Lupe genommen.

HB DÜSSELDORF. Großbritanniens Datenschützer haben Facebook ins Visier genommen. Die Betreiber des sozialen Netzwerks macht es seinen Nutzern schwer, bei Aufgabe der Mitgliedschaft das eigene Profil aus dem Netz zu löschen. Wer sich nicht damit zufrieden geben will, dass der Betreiber die gelöschten Daten weiterhin - wenn auch für Dritte unsichtbar - speichert, muss jeden Inhalt von Hand löschen. Ein Verfahren, dass nach der Beschwerde eines Users jetzt die Datenschützer auf der Insel beschäftigt.

Das Beispiel zeigt: Wer sich in sozialen Netzwerken wie Facebook, MySpace oder StudiVZ bewegt, sollte sorgfältig prüfen, welche Daten er preisgibt. Der Hunger der Netzwerke nach persönlichen Informationen ihrer Nutzer ist gewaltig: Bei einer Untersuchung der drei Plattformen Facebook, Myspace und Xing zählte der Medien-Experte Hendrik Speck insgesamt 120 persönliche Attribute, die auf den persönlichen Seiten der Mitglieder angegeben werden können - angefangen bei Alter und Wohnort über Lieblingsfilme und -musik bis hin zu politischer Neigung und sexueller Ausrichtung.

"Die haben mehr Informationen, als die Stasi je hatte", so der Informatik-Professor der Fachhochschule Kaiserslautern. Und die Hürden, um das einmal preisgegebene Wissen wieder zu entfernen, können höher sein, als dem User zunächst bewusst ist - wie das Beispiel Facebook lehrt.

Was aber treibt die Internet-Nutzer zu dieser Art von "digitalem Exhibitionismus"? Speck und seine Studenten haben die Kommunikation in den Netzen mit Hilfe von Software-Agenten und "Crawlern" zu erfassen versucht - das sind Programme, die auf die Seiten dieser Communities vordringen und die Inhalte auswerten. "Wir stellen fest, dass da unheimlich viel offen liegt", sagt Speck.

Als wichtige Antriebskraft hat der Wissenschaftler das Motiv ausgemacht, über den stetig wachsenden Kreis von registrierten "Freunden" Anerkennung und Aufmerksamkeit zu erringen. Bei Anbietern wie MySpace kann sich jeder auf eine Weise präsentieren, wie es in den klassischen Medien kaum möglich ist. Und weil die persönlichen Profile mit wenigen Mausklicks schnell erstellt sind, ist die Eintrittsschwelle sehr viel geringer als bei den Netz-Communities der ersten Stunde, etwa der schon 1985 gegründeten virtuellen Gemeinschaft "The Well".

Bislang sind es meist Jugendliche und junge Erwachsene bis etwa 35, die die Mehrheit der Community-Mitglieder ausmachen. Es gebe aber Bestrebungen, die Altersgruppe nach oben zu erweitern, sagt Speck. Die soziale Interaktion in den Social Networks kreist immer wieder um die gleichen Dinge: Unterhaltung - von Musik bis zu Stars und Sternchen; die gesellschaftlich geteilte Schadenfreude nach dem Motto "Pleiten, Pech und Pannen"; und natürlich Flirten sowie die Suche nach sexuelle Beziehungen. Dabei kommen Männer direkter auf den Punkt als Frauen, die dies hinter anderen Interessen verstecken.

Auf der anderen Seite stehen die Betreiber der Netze. Diese erzielen mit der Bereitstellung der Plattform zwar bislang meist noch keine Gewinne, haben aber wegen der gigantischen Zuwachsraten das Interesse von Internet- und Medienunternehmen geweckt. Wobei der eigentliche Reichtum in den Nutzern und ihren Daten liegt

Auf 20 bis 22 Dollar (14 bis 15 Euro) lässt sich der Wert eines Users bei den großen Plattformen in den USA berechnen. Der Gegenwert, den die Nutzer für die Netzwerke bilden, liegt in der Werbung. Neben der klassischen Bannerwerbung auf den eigenen Seiten versuchen die Betreiber der sozialen Netzwerke verstärkt, in andere Dienste wie SMS-Werbung oder E-Mail vorzudringen. Prominentes Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit: StudiVZ mit dem Versuch, über geänderte AGB Werbung via SMS oder Instant Messenger zu ermöglichen. Nach Protesten tausender User wurde der umstrittene Passus aus den AGB wieder entfernt.

Um die zahlreichen offenen Fragen nach der Verantwortung für die Millionen von persönlichen Daten zu klären, will Speck einen Verhaltenskodex für soziale Netzwerke erarbeiten. Für die gemeinsame Entwicklung von ethischen Grundsätzen will er neben Datenschützern auch die Betreiber der Communities gewinnen. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, wie erneut das Beispiel Facebook zeigt. Dort hat man gleich nach dem Bekanntwerden der User-Beschwerde Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den britischen Datenschützern signalisiert. Jetzt suchen Experten beider Lager nach einer Lösung des Problems.