Medizinische Informatik

Zwischen Patient und Technik

22.02.2000
Von VON Veronika
Vom computerunterstützten Operieren bis zum virtuellen Krankenhaus: Die moderne Medizin ist auf die Informationstechnik angewiesen. Das Gesundheitswesen braucht Informatiker, die Arbeitsabläufe und Informationsflüsse effizienter gestalten und transparenter machen.

"Computereinsatz in der Medizin: die einen assoziieren damit die Erfolgsstory der Computertomographie, die anderen den gläsernen Patienten", beginnt Professor Peter Haas, Präsident des Berufsverbandes Medizinischer Informatiker, seine Einführung in die "Medizinische Informatik" an der Fachhochschule Dortmund. Beide Einschätzungen zeigen das Spektrum, in dem sich die IT in Medizin und Gesundheitswesen bewegt: zwischen nutzbringendem Einsatz und Missbrauch.

Der Dortmunder Studiengang ist an der Schnittstelle zwischen Medizin und Informatik angesiedelt und stark praxisorientiert ausgerichtet. Neben einer fundierten Informatikausbildung stehen zusätzlich Grundlagen der Humanmedizin und der Betriebswirtschaftslehre auf dem Plan. Ein Praxissemester im Krankenhaus oder bei einem Softwareunternehmen ist Pflicht.

Seit dem Wintersemester 1999/ 2000 bietet die FH das neue Fach auch als Bachelor- und Masterstudiengang an. Schwerpunkte sind Informatik, Humanmedizin, Wirtschaftswissenschaften, Programmiersprachen, Medizinische Informationssysteme, Biometrie, Telematik, Softwaretechnik und Biosignalverarbeitung. Ähnlich wie bei den Medizinern wird den Studierenden ein hohes ethisches Bewusstsein abverlangt. "Meinen Studenten halte ich immer vor Augen, dass wir ein hohes Maß an Verantwortung tragen," sagt Haas.

Einblick in stationären Alltag

Fehlt dieses Bewusstsein, könne diese fatale Folgen für den Patienten nach sich ziehen. Wenn ein Verfahren Vorbefunde nicht vollständig beziehungsweise falsch anzeigt oder ein System nicht fehlertolerant konzipiert wurde, können schon durch einen einzigen Tippfehler Akten nicht eingesehen werden oder komplette Befunde verschwinden.

Vorreiter für den Dortmunder Studiengang waren die Universität Heidelberg und die Fachhochschule Heilbronn, die schon seit 25 Jahren gemeinsam Medizininformatiker ausbilden. Durch die Kooperation mit dem Uniklinikum Heidelberg und dem Städtischen Krankenhaus Heilbronn erhalten die Studierenden Einblick in den stationären Alltag und lernen die gängigen Informationssysteme des Gesundheitswesens kennen. Heute werden ähnlich anwendungsorientierte Studiengänge auch in Ulm, Stralsund, Braunschweig und Passau angeboten.

Medizininformatiker stellen mit Computern und Netzen Informationen für die Pflege, die biomedizinische Forschung und Lehre bereit, entwickeln wissensbasierte Systeme für Diagnostik und Therapie, optimieren die Kommunikationsabläufe zwischen den Gesundheitsinstitutionen und erstellen Aus- und Weiterbildungsdatenbanken. An der Technischen Universität Braunschweig entsteht zur Zeit ein virtuelles Krankenhaus. Ärzte des Städtischen Klinikums und Medizininformatiker der Hochschule simulieren die Arbeitsabläufe im Krankenhaus am Computer, um sie künftig besser organisieren zu können. Operationen lassen sich am Bildschirm planen und organisieren. Röntgenbilder, Ultraschall- und Tomographiedaten können jeder Zeit und an jedem Ort in anschaulichen 3D-Bildern auf den Bildschirm geholt werden.

Gute Zukunftsaussichten

In anderen deutschen Kliniken werden Krankenhaus-Informationssysteme (KIS) installiert, die elektronische Patientenakten und den Datenaustausch von Bildern und Befunden zwischen den einzelnen Abteilungen sowie externen Dienstleistern regeln. Gesucht werden Medizininformatiker, die komplexe Netze und Systeme mit ihrer gesamten Infrastruktur einführen, betreuen und das Personal schulen. Softwarefirmen, die sich auf solche Informationssysteme spezialisiert haben, suchen Entwickler und Projekt-Manager, die interdisziplinär ausgebildet sind, die Kunden beraten und ausbilden.

Insgesamt gibt es vier große Einsatzfelder für Medizininformatiker: Die medizinisch-technische Informatik beschäftigt sich mit der Bildsignalverarbeitung, mit Simulationen und computergestütztem Operieren. Die Gesundheitsinformatik konzentriert sich auf den Einsatz von Informationstechnologien und -systemen in Krankenhäusern, bei Krankenversicherungen und Gesundheitsämtern. IT-gestützte Diagnostik- und Expertensysteme sollen den Arzt bei der individuellen Patientenbehandlung unterstützen. Mit biometrischen Verfahren werden vor allem klinische Studien bei großen Pharmaherstellern umgesetzt.

Die Zukunftsaussichten für Mediz Informatiker stellen sich derzeit positiv dar. Denn angesichts der Gesundheitsreform und des Kostendrucks wird von Krankenhaus-Managern und Ärzten verlangt, dass sie sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und mit externen Dienstleistungsanbietern zusammenzuarbeiten. "Niedergelassene Ärzte, Krankenhäuser, Reha-Kliniken und Krankenkassen werden enger miteinander kooperieren und sich untereinander vernetzen", bezeichnet Haas den derzeitigen Trend. Mit der rein papiergebundenen Kommunikation, Telefon und Fax würde dies schnell ineffektiv. Über Gesundheits-Informationssysteme könnte sich der behandelnde Arzt informieren oder mit Kollegen Behandlungspläne absprechen.

Auch im Internet haben sich bereits Informationsdienste etabliert, wie das Deutsche Gesundheitsnetz (www.deutsches-gesundheitsnetz.de) oder das Deutsche Medizinforum (www.medizin-forum.de). In Zukunft wird es sogar medizinische Call Center geben, meint Haas. Dort werden Ärzte ihre Kollegen beraten und dabei nicht nur auf ihr eigenes Wissen zugreifen, sondern in verschiedenen Quellen wie der Medline oder in Studiendatenbanken recherchieren. Zum Aufbau dieser Infrastrukturen und Call-Center werden professionelle Informatiker benötigt.

In Amerika hat das lukrative Geschäft mit den Online-Docs bereits begonnen. Für bis zu 100 US-Dollar kann dort jeder jederzeit seinen Arzt virtuell im Internet aufsuchen. Ein zukunftsträchtiges Geschäft: Allein 1998 baten 22 Millionen Patienten die Online-Docs um Rat baten. Im Jahr 2000 soll die Nutzerzahl sogar auf 33 Millionen ansteigen.

Kontakte

Fachhochschule Dortmund,

Professor Peter Haas,

Telefon: 0231/9112-309,

E-Mail: haas@medinf.informatik. fh-dortmund. de

Berufsverband

Medizinischer Informatiker

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*Veronika Renkes ist freie Journalistin in Bonn.