Thema der Woche/

Zukunftssicherung für den Standort Deutschland

20.09.1996

CW: Der Forschungsetat Ihres Ministeriums stagniert seit 1993, die Industrie hat sich diesem Trend angeschlossen. Versinkt Deutschland technologisch im Mittelfeld?

Rüttgers: Der Forschungsetat ist gekürzt worden, was mich natürlich nicht begeistert. Ich will aber auch nicht lamentieren. Erfolgreiche Forschungspolitik hängt nicht allein von Förderbescheiden ab. In der derzeitigen Situation, in der wir mit leeren öffentlichen Kassen leben müssen, gilt aber auch: Nur stabile Haushalte können Forschung und Wissenschaft auf Dauer gute Bedingungen garantieren. Übrigens: Nimmt man den Anteil der öffentlichen Aufwendungen für zivile Forschung und Entwicklung am Bruttoinlandsprodukt zum Maßstab, liegt Deutschland mit weitem Abstand vor Japan und den USA .

CW: Das klingt sehr nach Schönreden. Entscheidend ist doch, wie und wofür die zusehends knapperen Mittel verwendet werden.

Rüttgers: Ich sage noch einmal: Ohne finanzielle Anstrengungen ist eine gute Position in den verschiedenen Spitzentechnologien weder zu halten noch da, wo notwendig, zu erobern. Was Ihren Einwand angeht, so denke ich, daß wir schon wissen, worauf wir uns zu konzentrieren haben. Nicht umsonst etwa wird die Förderung von Multimedia-Anwendungen und -Dienstleistungen auf 130 Millionen Mark verdoppelt. In das bundesweite Wissenschaftsnetz investieren wir in den nächsten drei Jahren ebenfalls rund 80 Millionen Mark - bereits im Herbst wird es auf 622 Mbit/s hochgerüstet. Und wir wollen, daß unsere Schulen fit gemacht werden für das 21. Jahrhundert. Denken Sie nur an unsere Initiative "Schulen ans Netz".

CW: Was unternehmen Sie, um den Zukunftsmarkt Multimedia zu fördern?

Rüttgers: Ein wichtiges Ziel meines Ministeriums heißt in der Tat, Multimedia möglich zu machen. Hier stellen sich große Aufgaben - von der Forschungsförderung über die Impulsgebung zum Aufbau der notwendigen Infrastrukturen bis hin zur Gestaltung des Multimedia- Rahmengesetzes des Bundes. Aber Gesetze und Subventionen sind nicht alles. Als ebenso wichtig erachten wir sogenannte Leitprojekte, die die Wissenschaft und die praktische Anwendung miteinander verbinden.

Lassen Sie mich an dieser Stelle noch eines sagen: Man muß wissen, daß sogenannte Spitzentechnologien an der Wettbewerbsstärke eines Landes generell einen großen Anteil haben. Unsere Industrie ist traditionell stark im Bereich höherwertiger Technologien. Und es ist richtig, daß sie ihre "Cash-cows" melkt, wenn sie die Chance dazu hat. Also muß dafür gesorgt werden, daß von diesen Gewinnen mehr in die Entwicklung zukunftsträchtiger Technologien investiert wird.

CW: Als Spitzentechnologien gelten für die Zeit nach der Jahrtausendwende vor allem die Mikroelektronik und der gesamte IT- Bereich. Andererseits werden in Deutschland Erfindungen noch immer vor allem im Automobil- und Maschinenbau gemacht, während die zukunftsträchtigen Branchen in puncto Innovationen relativ schwach vertreten sind.

Rüttgers: Zunächst einmal kann ich in Ihrer Aussage keinen Nachteil erkennen. Die deutsche Industrie ist seit jeher stark im Bereich höherwertiger Industriegüter. Das sind Produkte, die schon immer zur Weltspitze zählten und die wir jetzt verbessern, zum Beispiel Maschinen, Autos und chemische Erzeugnisse. Wir dürfen uns allerdings nicht auf diesen Lorbeeren ausruhen. Im reinen High-Tech-Bereich müssen wir zweifellos besser werden.

Dabei darf man jedoch eines nicht außer acht lassen: Im Zeichen der Globalisierung besteht in vielen multinationalen Unternehmen die Tendenz zur Konzentration auf wenige Kompetenzzentren - eine Entwicklung, die eher noch zunehmen dürfte. Investitionskapital sucht sich, wenn man so will, den jeweils besten Standort. Etwa in den USA, wo man sich derzeit - bedingt durch solche internationalen Investitionen - auf den Feldern Mikroelektronik, Computer, Software, Pharmazie und Gentechnik in einer Spitzenposition befindet.

Aber auch hierzulande sind in den letzten Jahren hervorragende und strategische Kompetenzzentren entwickelt worden, zum Beispiel in der Lasertechnik, der Robotik oder Mikrosystemtechnik. Zudem konnten wichtige klassische Felder wie die Bereiche Fertigungstechnik und Fahrzeugbau verteidigt werden. Und last, but not least war es sogar möglich, im Kontext des Weltmarktes bereits verloren geglaubte Bereiche wie die Fertigung von Speicherchips zurückzuerobern.

CW: Das ist nun aber doch ein bißchen viel Selbstzufriedenheit auf einmal. Im Prinzip heißt dies doch, auch wenn Sie es gerade verneint haben, daß wir uns auf unseren Lorbeeren ausruhen können?

Rüttgers: Dann lassen Sie es mich anders formulieren: Alle international führenden High-Tech-Unternehmen verfolgen die Strategie, mit Forschung und Produktentwicklung genau dort präsent zu sein, wo in ihrem Produktsegment oder Technologiefeld die weltweit besten Bedingungen für Innovation und Wissensgenerierung erfüllt sind. Ich möchte daher in Deutschland unter anderem die Voraussetzungen dafür schaffen, daß sich Kompetenzzentren herausbilden, die unser Land attraktiv machen für internationale Investitionen.

CW: Wir hätten es trotzdem noch gern etwas präziser: Eine internationale Führungsrolle in Forschung und Entwicklung der wichtigen IT-Industrie bedeutet letztlich auch einen finanziellen Vorsprung für die Wirtschaft eines Landes. Werden Sie diese Zukunftstechnologien demnächst mit mehr Forschungsmitteln unterstützen?

Rüttgers: Für die IT sind öffentliche Akzeptanz, Medienkompetenz der Nutzer und strategische Zusammenarbeit von Wirtschaft, Wissenschaft und Staat mindestens ebenso wichtig wie Fördergelder. Mein Ministerium setzt, ich wiederhole mich, auf Multimedia und IT. Und wir wollen dabei vor allem auch der Öffentlichkeit die Augen für die Chancen dieser neuen Technologien öffnen. Was die finanzielle Förderung angeht, bleiben wir weiterhin auf dem hohen Niveau von 850 Millionen Mark jährlich.

CW: Ein möglicher technologischer Vorsprung wurde in Deutschland oft verspielt - weil zwar weltmeisterlich geforscht, die marktreife Entwicklung aber nur zögerlich angegangen wird. Müßte es nicht längst eine neue Form der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Grundlagenforschung und industrieller Entwicklung geben?

Rüttgers: Mit dieser Forderung rennt man bei mir offene Türen ein. Ich habe deshalb von Anfang an auf eine stärkere Innovationsorientierung der Forschungspolitik geachtet. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Anwendern leistet hier den wesentlichen Beitrag. Kernstück meiner Politik ist die Neuordnung der Forschungslandschaft.

Wir haben hierzu im Juli Leitlinien vorgelegt. Jetzt planen wir die konkrete Umsetzung und sind schon in intensiven Gesprächen mit den Forschungseinrichtungen. Mir geht es dabei vor allem um eine stärkere Projektorientierung bei der Mittelvergabe und um den Abbau administrativer Hürden.

Wir wollen aber auch bei den Patenten etwas bewegen, denn sie machen Wissen zu Wirtschaftsgütern. Wir haben deshalb eine Patentinitiative gestartet, durch die die Rahmenbedingungen für Patente - zum Beispiel durch ein Gemeinschaftspatent der EU - verbessert werden sollen. Mein Ministerium beteiligt sich ab sofort an den Kosten der Patentierung im gleichen Umfang wie an den übrigen Kosten eines Forschungsprojektes. Die Hochschulen und Hochschullehrer müssen ihre Forschungsergebnisse konsequent schützen lassen, wenn sie Marktchancen haben sollen.

Dritte Säule dieser Politik ist die Initiative zu "Leitprojekten und Innovationsorientierung der Projektförderung", die wir derzeit mit den Repräsentanten der Wirtschaftsverbände und der Wissenschaftsorganisationen diskutieren. Solche Leitprojekte haben eine Schlüsselfunktion. In ihnen arbeiten Teams aus Wissenschaft und Unternehmen an einem konkreten Innovationsziel.

CW: Dies alles ändert aber noch nichts daran, daß Ihr Etat vorrangig für die Grundlagenforschung und die Wissenschaft verplant ist. Abgesehen von den bekannten Großkonzernen, die ein Vielfaches an Fördergeldern erhalten, kommen die innovativsten Firmen im Hochtechnologiebereich und die meisten Patentanmeldungen aber aus dem Kreis der kleinen und mittleren Unternehmen. Müßten die FuE-Ausgaben nicht neu verteilt werden und Großunternehmen einen größeren Anteil ihrer FuE-Risiken selbst tragen?

Rüttgers: Das ist so nicht ganz richtig. Schwerpunkt unserer Technologieförderung ist und bleibt die Förderung von Forschung und Entwicklung in den kleinen und mittleren Unternehmen. Da gibt es keine Kürzungen. Die Förderung wird auf dem hohen Niveau von 600 Millionen Mark fortgeführt. Damit erhalten kleine und mittlere Unternehmen ein gutes Drittel der Fördermittel, die an die gewerbliche Wirtschaft insgesamt vergeben werden.

Dabei muß man berücksichtigen, daß die Betriebe heute zum FuE- Aufwand der Wirtschaft nur 14 Prozent beitragen - ein Umstand, der sich unserer Auffassung nach ändern soll. Gerade kleine und mittlere Unternehmen müssen entsprechend ihrer gesamtwirtschaftlichen Bedeutung auch in der Forschung und Entwicklung eine größere Rolle spielen. Ich gebe zu, daß dies schwierig ist, weil gerade dort Forschung und Entwicklung besonders kostenintensiv und mit einem hohen wirtschaftlichen Risiko verbunden sind. Hinzu kommt, daß kleinen Firmen im Gegensatz zu größeren Unternehmen nur eingeschränkte Möglichkeiten der Selbstfinanzierung, des Zugangs zu Risikokapital und der Beschaffung von Fremdkapital zur Verfügung stehen. Deutschland benötigt daher eine Art Gründungsschub bei kleinen Technologieunternehmen. Eine Garagenfirma mit einer genialen Idee darf nicht am Mangel finanzieller Mittel scheitern.

CW: Risikokapital scheint jedoch in Deutschland noch immer kein Thema zu sein. Auch wenn sich einige wenige Privatgesellschaften und der Bund mit seiner Tochtergesellschaft der Deutschen Ausgleichsbank im Markt bewegen, die Großbanken sind für Zukunftstechnologien offensichtlich wenig begeisterungsfähig. Werden Sie in dieser Richtung Ihren Einfluß geltend machen können?

Rüttgers: Wir sind bei dem Thema in der letzten Zeit sehr vorangekommen. Die Bundesregierung wird durch ein Paket von Maßnahmen die Rahmenbedingungen in Deutschland deutlich verbessern. Die Risikokapitalbereitstellung muß auch unter Renditegesichtspunkten attraktiv sein. Bisher fehlte jedoch in Deutschland das geeignete Börsenparkett für junge Technologieunternehmen. Investoren müssen aber mit dem Verkauf von erfolgreichen Beteiligungen neue Engagements finanzieren können - das ist die Branchenlogik junger Technologieunternehmen. Inzwischen haben wir sogar einen Wettbewerb verschiedener Konzepte in diesem Bereich. Ich bin zuversichtlich, daß sich diese Märkte jetzt schnell entwickeln werden.