Nur Konsequenz schafft Fundament für sicheren Brückenbau:

Zielloses Insel-Hopping läßt CAD ins Wasser fallen

02.12.1988

Horst-Joachim Hoffmann ist freier Mitarbeiter der COMPUTERWOCHE.

MÜNCHEN - Ein voll integriertes CAD-System gehört bei vielen Unternehmen - hauptsächlich Mittelständlern - auf den ersten Platz der aktuellen Weihnachtswunschliste, doch sprengen die Kosten leicht das Budget. Die eventuelle Lösung ist eine CAD-lnsel. Allerdings, ein vermeintliches Paradoxon tut sich auf: Großzügigkeit zu Beginn spart Kosten in der Folgezeit.

Mit strategischen Überlegungen zu DV-gestützter Konstruktion plagen sich derzeit hauptsächlich Unternehmen des Mittelstandes. Wie Marktbeobachter allgemein feststellen, ist ein gewisser Sättigungsgrad bei Großunternehmen oder Mittelständlern mit extrem ausgefeilter Konstruktionsabteilung erreicht.

Der Einstieg in CAD, der oft mit dem Schlagwort "Integration" einhergeht, gestaltet sich aber aus Kostengründen schon in der Auswahlphase schwierig. Denn CAD ist prädestiniert zum Mitwachsen, aber die Anwendung an sich ist gleichermaßen komplex wie differenziert zu betrachten. Deshalb heißt es bereits bei der Planung, die Konzeption möglichst offen für erwartete zukünftige Technologie zu gestalten. Und hier taucht nicht nur die Frage der zukünftigen Hardware auf.

Drei Wege fahren zum CAD-Einsatz im Unternehmen

Schwieriger wird es, soll die Softwareseite der Entwicklung prognostiziert werden. Prognosen sind bei dem heutigen Entwicklungstempo nur schwer zu treffen, und es kommt sofort ein zusätzliches Manko auf: Trotz Standards wie IGES gilt beim Upgrade oft der Satz "CAD ist nicht gleich CAD" - im Klartext: die Datenübernahmefrage killt die Aufrüstung.

Generell gibt es drei Wege, um CAD in einem Unternehmen einzuführen. Ist die kommerzielle Datenverarbeitung schon vorhanden, besteht die Möglichkeit, auf der vorhandenen Anlage aufzusetzen und eventuell den Mainframe auf DV-gestütztes Konstruieren umzurüsten oder die CAD-Anlage in ein Zentralrechner-Netz einzubinden.

Die Mainframe-Lösung wäre auch für den Neueinsteiger denkbar, jedoch bemängeln Fachleute, daß bei diesem Weg zu den heutigen Preisen Leistung einzukaufen sei, die in einer ersten Ausbaustufe noch gar nicht genutzt werden könne. Zumindest vom Hauptprozessor her nämlich muß von Anfang an die Leistung vorgesehen werden, die für die Zukunft geplant ist. Da das Preis-/Leistungs-Verhältnis sich im Hardwaresektor immer noch um gut 30 Prozent pro Jahr verbessert, ist der Anwender mit der Flexibilität einer dezentralen Anlage wohl besser bedient.

Der Einstieg in DV-gestütztes Konstruieren kann nach Ansicht von Fachleuten gut über leistungsfähige PCs erfolgen, wobei die Workstation-Welten traditioneller Anbieter wie Sun oder Apollo und der PCs a la Compaq allmählich zusammenwachsen. Es gelte jedoch wie überall, geschlossene Insellösungen, wenn möglich, zu vermeiden. Der Anwender kann definitiv Geld sparen, wenn er eine Lösung findet, bei der jeweils nur die Leistung bereitgestellt wird, die aktuell benötigt wird.

Der CAD-Einstieg ist mit nur einem PC möglich

Der Einstieg in computergestütztes Konstruieren ist also nach Meinung von Experten mit nur einem PC möglich, um dann in einer späteren Phase zusätzliche Hardware anzuhängen und über ein lokales Netzwerk zu verbinden.

Diesem Weg sollte aus Gründen der Budgeträson eine genaue Analyse der derzeitigen Anforderungen vorausgehen. Denn schon die Unterscheidung in leistungsschwache und -starke Arbeitsplätze vermag die Wahl der Mikros entsprechend zu beeinflussen.

Auch das Budget im Bereich der Peripherie-Einheiten oder Erweiterungsmöglichkeiten kann bei dezentraler Vorgehensweise niedriger gehalten werden. Der Vorteil der Mikrophilosophie: Die Einheiten sind deutlich billiger als im Mainframebereich.

Für eine mittelgroße IBM kosten 20 MB Massenspeicher gut 20 000 Mark - dieselbe Kapazität für einen PC oder eine Workstation ist schon für rund 3000 bis 5000 Mark zu haben. Ein erster Einzelarbeitsplatz kostet dann unter günstigsten Bedingungen um die

50 000 Mark.

Eine wichtige Komponente bei der Frage der strategischen Planung von CAD wird oft vernachlässigt: die Leistungsfähigkeit der Personen, die mit dem System arbeiten sollen. Sie ist Hauptfaktor für die zukünftige Gestaltung der Folgekosten.

Umfangreiche Programme für Mainframes verlangen einen Schulungsaufwand von drei Jahren, bis die Systeme beherrscht werden. Die Freistellung eines Mitarbeiters für diesen Zeitraum aber ist kleineren und mittleren Betrieben oft nicht möglich. Einsteigeprogramme indes werden, so zeigen Erfahrungswerte, schon nach drei bis sechs Monaten beherrscht - und liefern ähnlich gute, wenngleich nicht so perfekte Arbeitshilfen.

Um erstmal den Anschluß zu finden und die Mitarbeiter an das neue Hilfsmittel heranzuführen, spielt es nach Meinung von Fachleuten vor allem eine Rolle, daß die grundsätzlichen Funktionen ordnungsgemäß ablaufen - und die Software vor allem ein sehr hohes Maß an Benutzerfreundlichkeit bietet.

Insbesondere stellt sich die Frage nach der Gestaltung der Benutzeroberfläche. Fachleute plädieren grundsätzlich für eine einheitliche Benutzeroberfläche auch nicht miteinander verbundener Insellösungen in verschiedenen Abteilungen, um sich zukünftige Erweiterungsmöglichkeiten und Verbindungen nicht von vornherein zu verbauen und motivierende Techniken wie Job Rotation nicht zu torpedieren.

Bei der strategischen Planung einer CAD-Anlage ist zu berücksichtigen, daß die Hardwarehersteller mit einem Generationswechsel von nur 18 Monaten rechnen. Der Planungshorizont für kleinere und mittelständische Unternehmen ist deshalb mit drei, maximal fünf Jahren anzusetzen.

Es ist in dieser Materieextrem schwierig, abzuschätzen, was in drei oder fünf Jahre systemtechnisch, nicht nur mit Blick auf die Hardware, auf dem Markt ist. Der Anwender muß deshalb durchaus damit rechnen, daß er in einigen Jahren entscheidet, "den ganzen Krempel rauszuschmeißen". Was dann bleibt, ist das Fachwissen und die Erfahrung mit der CAD-Computerei.

Vom Paintprogramm zur offenen Insellösung

Als Beispiel für grundlegende Erweiterung und Umgestaltung wird gerne Autocad angeführt, das sich in den letzten Jahren dramatisch von einem Paintprogramm zu einem vollständigen 3D-Flächenprogramm gemausert hat. Niemand hätte diese Entwicklung ernsthaft vor einigen Jahren prognostizieren können, meinen Insider.

Ist eine - offene - Insellösung erst einmal geschaffen, so wird die Erweiterung in der Mehrzahl der Fälle mit einem Übergang zu einem Netzwerk stattfinden. Eine rein organisatorische, aufgabenorientierte Aufsplittung, die denkbar wäre und mit mehreren Insellösungen abgedeckt erscheint, wird im täglichen Betrieb immer wieder an Kanten und Ecken stoßen und Spannungen erzeugen.

Hier stellt sich die grundsätzliche Frage, wieviel organisatorischer Änderungsablauf dem CAD-Einsteiger durch das Programm aufgedrängt wird - oder, andersherum, wie groß die Belastbarkeit der eigenen Organisation ist.

Der Weg ins Netzwerk zur Erweiterung der Anlage weist zusätzlich zwei Vorteile auf. Zum einen wird mit ihm die Möglichkeit geschaffen, gemischte Anwendungen zu fahren und auch auf die Bestände, die der Kollege erarbeitet hat, zurückzugreifen. Zum anderen bietet der Übergang eine interessante Variante zum Schutz der Investition bei einer Systemumstellung an. Teure Komponenten eines Arbeitsplatzes, wie Add-on-Karten beispielsweise, können aus den Systemen am Arbeitsplatz herausgenommen und in neuen Anlagen weiterverwendet werden. war die Hardware von vornherein geschickt konzeptioniert, ist es so leicht möglich, den für CAD zu klein gewordenen Rechner in einem eigenständigen Anwendungsbereich, zum Beispiel dem Sekretariatsbereich, unterzubringen.

Bei Insellösungen vor Frustrationen schützen

So wachsen die Netzwerke einerseits durch die Addition zusätzlicher Rechner, andererseits aber auch durch den Ersatz und die Steigerung der Leistung bei neuen Hardwaresystemen.

Hat man sich einmal für die Installation einer Insellösung entschieden, so sind doch einige Grundsätze bei der Auswahl der Komponenten zu beachten, die vor späteren Frustrationen bei der Integration schützen können.

Bei den Peripheriegeräten, zu denen auch die Grafikkarte, der Digitizer für die Eingabe vom Tableu neben Plotter und Drucker gezählt werden können, sollte darauf geachtet werden, daß diese Geräte mit einer gewissen Marktsicherheit ausgestattet sind. Gerade heutzutage sind Grafikkarten auf dem Markt, die schlichtweg tolle Leistungen versprechen - und drei Monate später wieder verschwunden sind.

Berater empfehlen, bewährte Komponenten vorzuziehen und ruhig mal auf das letzte Prozent an Leistung zu verzichten, also auf anerkannte und namhafte Produkte zu setzen. Hier weiß man mit einiger Sicherheit, daß das Produkt bei einem Systemwechsel auch in neuer Hardware wieder einbaufähig ist.

Die Politik der Hersteller zwingt derzeit zu einer Grundsatzentscheidung zwischen dem Mikrokanal von IBM und dem Standard-AT-Bus. Die Frage ist, wo die eigene Applikation in einem oder zwei Jahren stehen soll. Die Karten zwischen diesen beiden Systemen sind nämlich definitiv nicht mischbar, so daß sich der Anwender gewiß sein muß, welchem Bussystem er den Vorrang gibt.

In dem erstem Mikro selbst ist die Anzahl der Steckplätze ein wichtiges Kriterium. Auch hier sollte nach vorne gedacht werden, und überlegt sein, ob dieser Arbeitsplatz in Zukunft selbständig, vielleicht mit erweiterten Applikationen laufen soll, oder ob er mal im Netzverbund mit Netzkarte bestückt und so nicht mehr von sich aus auf umfangreiche Peripherie getrennt zugreifen soll.

Die Praxis zeigt, daß der Anwender im Normalfall sehr schnell an die obere Auslastungsgrenze stößt. Kritik wird hier beispielsweise auch an dem Modell 70 von IBMs PS/2 geübt, das mit lediglich vier freien Steckplätzen ausgestattet ist. Wird noch ein bißchen Hauptspeicher benötigt, die Schnittstelle belegt und eine Netzwerkkarte eingeschoben, "kann man bei einem verbleibenden Steckplatz nicht mehr besonders kreativ werden", so Kritiker aus der Szene.

Weiterhin ist es empfehlenswert, in der zweiten Phase nicht nur einen reinen Netz-PC anzuschließen, der lediglich mit einer Netzkarte ausgerüstet ist. Ein solches Gerät kann nie aus dem Verbund entlassen werden. Artfremde, losgelöste Anwendungen sind mit einem solchen Rechner bei Erweiterungen nicht durchführbar. Der Preisunterschied ist nicht so gravierend, als daß man diese Inflexibilität in Kauf nehmen sollte.

Beim Einstieg ins Netz eher klotzen statt kleckern

Grundsätzlich also sollte der erste Arbeitsplatz in bezug auf Steckplätze und möglicherweise auch Plattenkapazität gern etwas größer dimensioniert werden. Manche Anwender legen heute los und wollen innerhalb von einem halben bis einen Jahr mit weiteren Arbeitsplätzen nachsetzen. Das macht Sinn: Die Systeme sind dann schon viel leistungsfähiger, und es ist sinnvoll, den ersten Rechner als Fileserver im Netz einzusetzen. Die zuvor überdimensionierte Festplatte rutscht so einfach in die Mitte des Systems. Der Schritt ist auch sinnvoll, weil in einem halben Jahr vielleicht nicht mehr 20 oder 25 MHz Geschwindigkeit gekauft werden, sondern 30 oder 35, und man auf diese Weise relativ einfach den schnellsten PC an den Arbeitsplatz stellt.

Was Standardschnittstellen der Software angeht, so kann man heute davon ausgehen, daß sie bei allen Systemen gegeben sind. IGES aber beispielsweise ist ein Standard, der zwar einen sehr niedrigen Einigungslevel bietet, aber trotzdem von jedem Hersteller so modifiziert wurde, daß es fast unmöglich ist, einen IGES-File auf ein anderes System ohne Probleme zu überspielen.

Auf IGES als Standard kann zwar aufgebaut, aber trotzdem muß geprüft werden, ob der Datenaustausch wirklich klappt. Es gibt mittlerweile in diesem Bereich Unternehmen, die sich auf solche Prüfungen spezialisiert haben oder eigene Übertragungssoftware für diese Anwendung anbieten.

Benötigt wird ein System, das eine Schnittstelle hat, die tatsächlich alle Informationen herausgibt, die eingegeben wurden. Dennoch muß damit gerechnet werden, daß man noch ein internes Umsetzungsprogramm anschaffen muß. Besondere Probleme ergeben sich hauptsächlich bei Schraffuren und Bemaßungen.

Autocad beispielsweise hat neben IGES noch eine andere Schnittstelle mit der Bezeichnung DXF (Drawing Exchange Format), die auch von anderen Systemen beherrscht wird und bessere Übertragungsmöglichkeiten bietet.

Schnittstellen mit allen Beteiligten absprechen

IGES als Standard funktioniert in bestimmten Bereichen gut, liefert aber nicht alle Informationen, die für eine Zeichnung benötigt werden, nach außen. Gut eignet sich der Standard, um aus einem CAD-System in ein CAM-Modul die Konturen zu übertragen; beispielsweise für die NC-Programmierung. Die Übertragung kompletter Zeichnungen in ein anderes CAD-System funktioniert allerdings nicht ohne Umsetzprogramm.

Auch andere Schnittstellen wie VDASF, VDAPS für Normteile oder VDAIS als IGES-Subset sind diesbezüglich genau zu prüfen. VDASF, die Schnittstelle der Automobilindustrie überträgt im wesentlichen Freiformflächen, die bei IGES erst ab Version 3.0 abgearbeitet werden.

Neben Grafik und Text kann die "Verfahrensneutrale Schnittstelle VNS" im elektronischen Bereich auch Logik übertragen. Als Gegenbestrebung zu dieser Schnittstelle, die aus einem industriellen Arbeitskreis unter Beteiligung von Siemens und AEG stammt, ist noch EDIF auf dem Markt. Die Annäherungsproblematik der beiden Schnittstellen ist Gegenstand aktueller Diskussion.

Datenaustauch bleibt eine besondere Delikatesse

Auch GKS und X-11 sollten in die Überlegungen einbezogen werden. Zudem ist die Problematik des Datenaustausches zu anderen Unternehmensbereichen in einem Netzwerk von besonderer Delikatesse und deshalb streng zu prüfen.

Generell sollte man als neuer CAD-Anwender eventuell auch mit Kunden und Lieferanten Rücksprache halten, da der Datenaustausch mit ihnen zu den interessanteren Möglichkeiten einer computergestützten Konstruktion zählen kann.

Das Fazit ist eindeutig: Flexibilität ist aus Kostengründen oberstes Gebot. Deshalb scheint der Weg über die Insellösung zum integrierten System durchaus gangbar - aber Vorsicht und Feingefühl sind im Vorfeld bei der Angebotsprüfung genauso gefragt wie eine durchdachte vorausschauende Anwendungsplanung. Damit die Brücke zwischen den Komponenten nicht auf Sand gebaut ist und die Insel keine bleibt.