Kolumne

Zensur im Netz, nein danke

18.08.2000
Jürgen Hill, Redakteur CW

Sie ist ja so bequem, diese Erklärung! Wird die Gesellschaft mit ihren schlimmsten Problemen wie organsierter Kriminalität, Kinderpornos oder Neonazimus und Ausländerfeindlichkeit nicht fertig, dann ist das Internet als neues, für viele befremdliches Medium die Wurzel des Übels. Und unisonso schreien das gemeine Volk und seine Industriebosse nach dem staatlichen Zensor als Sittenwächter. Gerade wir Deutschen sollten eigentlich besser wissen, wohin zu viel staatliche Fürsorge führt: Rasterfahndung, Jagd auf kommunistische Briefträger als Staatsfeinde, Reichsermächtigungsgesetz ... Und hinterher ist das Gejammere dann groß, wenn die Industrie feststellt, dass ihr im Zuge der Verbrechensbekämpfung der sichere, freie Informationsaustausch im Netz verboten wurde.

Apropos Industrie und Hersteller: Warum gehen die Letzteren nur dann mit teuren Anwälten gegen Missstände im Netz vor, wenn es ihren eigenen Geldbeutel berührt? Warum schießt sich die Musikbranche auf Napster ein, warum übt Microsoft nur Druck auf Provider aus, die Seiten mit illegalen Softwarekopien hosten, und schaltet im letzten Jahr gleichzeitig Anzeigen auf Seiten wie "Gamescopyworld", die Anleitungen zum Kopieren von Software liefern? Angesichts dieser Doppelmoral müssen sich die Herren in den Vorstandsetagen die Frage gefallen lassen, wo ihre Zivilcourage im Kampf gegen den braunen Dreck bleibt. Ihre Drohung mit Anzeigenentzug gegenüber den Internet-Providern wäre sicher wirksamer als die staatliche Keule einer umfassenden Zensur.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen - nicht nur die IT-Hersteller sind gefordert, sondern auch die DV-Verantwortlichen in den Unternehmen. Wer aus Schlamperei oder Unwissen seine eigenen Proxy-Server nicht absichert und so das anonyme Surfen im Netz ermöglicht, erleichtert dem braunen Abschaum und anderen Kriminellen ihre Arbeit und erschwert die Verfolgung.

Das Internet von heute ist nicht der allgegenwärtige Krake, dem wir ohnmächtig ausgeliefert sind. Mit sorgfältiger Gestaltung der Peering-Verträge, entsprechender Konfiguration von Routern, Proxy-Servern etc. kann jeder seinen Beitrag leisten, um dem widerlichen Treiben im weltweiten Netz Einhalt zu gebieten.