Zeit des Umbruchs erfaßt auch universitäre DV

03.04.1987

Wie sieht die Gegenwart der universitären EDV aus? Ich behaupte, wir stehen mitten in einer Zeit des Umbruchs. Die Leistungsfähigkeit der zentralen EDV-Anlagen konnte in den vergangenen Jahren um Größenordnungen gesteigert, diese Leistung über Terminals in breitem Umfang an die Arbeitsplätze herangebracht werden. Dennoch war eine weitgehend zentral ausgerichtete Struktur der EDV-Versorgung das einzig technisch Machbare und wirtschaftlich Vernünftige. Daher war bis vor kurzem die Tätigkeit des Rechenzentrums durch Fragen bestimmt, die bei der Nutzung zentraler Ressourcen unmittelbar auftauchten.

Womit wir uns gegenwärtig konfrontiert sehen, ist der breite Einsatz von Arbeitsplatzrechnern, Personal Computern (PC) und Workstations. Ihr breiterer Einsatz entstammt ebenfalls den rasanten Verbesserungen der Technologie, die in die Fähigkeit der Industrie mündet, Personal Computer mit hohen Stückzahlen und kleinen Preisen zu fertigen.

Ein Vergleich mit dem Automobil: Die jetzige Situation ähnelt dem Beginn der Massenproduktion von Autos - das war eine Voraussetzung für seinen Siegeszug. Eine weitere Voraussetzung war es aber auch, die Ideologie der individuellen Bewegungsfreiheit an den Begriff des Autos so eng zu binden. Eine vergleichbare Ideologie für den Personal Computer ist für mich noch nicht in Sicht. Daß man am PC seinen Spieltrieb befriedigen kann, rechtfertigt für eine breite Bevölkerungsmasse nicht, sich ein solches Gerät zu kaufen.

Etwas anders sieht es in der Wirtschaft und Verwaltung, Technik und Wissenschaft aus. Im Umfeld einer Universität läßt sich in allen Bereichen - Forschung, Lehre und Verwaltung - kaum ein Arbeitsplatz finden, der nicht durch EDV mit Gewinn unterstützt werden könnte, unabhängig von der Versorgungsstruktur. Daß an vielen Stellen in den letzten drei Jahren immer mehr Personal Computer eingesetzt Wurden, hat vor allem zwei Gründe: Einmal gilt das alte Groschsche Gesetz wohl nicht mehr, das besagte, große DV-Anlagen könnten mit besserem Preis/Leistungs-Verhältnis produziert werden als kleine. Andererseits liegt es gerade durch die weitgehend individuellen Aufgabenbereiche und dezentralen Entscheidungsbefugnisse an Universitäten nahe, diese Struktur auch in der EDV nachzubilden.

Was das Rechenzentrum also kommen sieht, ist eine Flut von PC-Beschaffungen, merkwürdigerweise nicht nur an Universitäten, sondern auch an Wirtschaft und Verwaltung, mit stark zentraler Organisation. Dieser Flut versuchen sich mitunter die zentralen DV-Abteilungen vehement entgegenzustemmen zum Teil mit berechtigten Argumenten, aber auch aus psychologischen, egoistischen Motiven.

Auf das Rechenzentrum kommt damit aber eine neue Aufgabendimension zu, zu informieren, zu beraten, auszubilden - was die Anschaffung und den Betrieb der Arbeitsplatzrechner angeht. Die Rechenzentren sehen sich dadurch einer Herausforderung gegenüber, nicht nur weil zusätzliche Personalstellen in der Universität selbst für zusätzliche Aufgaben knapp gesät sind, sondern auch weil sich das Weltbild der Mitarbeiter wandeln muß. Es rücken Probleme in den Mittelpunkt der Tätigkeiten, die zu den zentralen Ressourcen des Rechenzentrums keinen unmittelbaren Bezug haben. Diese Form der Beratungsstätigkeit erfordert eine andere Motivation der Mitarbeiter.

Was können wir aus der gegenwärtigen Situation für die Zukunft ableiten? Sehen wir uns doch "Abacus", das zentrale Jubiläumsprojekt "Arbeitsplatzcomputer an der Universität Heidelberg" an, das auf einen Verbund aus Arbeitsplatzrechnern, Netzen und Zentralrechnern an der Universität Heidelberg hinarbeitet. Keine Insellösungen mit isolierten Arbeitsplatzrechnern sind gefragt, sondern ein Gewebe aller Arbeitsplatzrechner in einem universitätsweiten Netz, das jedem PC auch die Dienstleistungen des zentralen Rechenzentrums erschließt: um innerhalb der Universität und nach außen zu kommunizieren, umfangreiche oder hochwertige Ausgaben aufzubereiten.

Hinzu kommt, die individuelle Datenverarbeitung auf Arbeitsplatzrechnern durch Information, Dokumentation, Distribution und Wartung zu unterstützen. Daß die Konzeption den richtigen Weg weist und kein Alleingang der Heidelberger Universität ist, zeigen Projekte anderer Hochschulen mit ähnlichen Zielen. Ein weiterer Beweis: Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft initiierte Computer-lnvestitions-Programm (CIP) für die studentische Ausbildung ließ sich mühelos in den Heidelberger Gesamtrahmen einordnen.

Wie wird die Entwicklung weitergehen? Es besteht wohl allgemeine Einigkeit darüber, daß der technologische Fortschritt noch einige Zeit ungebrochen anhalten wird. Die physikalischen und technischen Grenzen sind noch lange nicht erreicht, jedenfalls nicht für aufwendige Großrechner, periphere Speicher und Übertragungswege. Hier werfen sich Fragen auf.

Erstens wird die Frage nach dem zukünftigen Stellenwert der Arbeitsplatzrechner offenkundig. Benötigen wir die Leistung unserer heutigen zentralen Großanlagen morgen wirklich auf jedem Schreibtisch? Verglichen mit dem Auto: Muß wachsende Motorleistung unbedingt zu größerer Fahrleistung führen, wo doch zunehmend ein Teil der Leistung auch von komforterhöhenden und bedienungsfreundlichen Servos aufgenommen wird - Lenkunterstützung, Getriebe, Klimaanlagen?

Ähnlich wird bei Arbeitsplatzrechnern in Zukunft vermehrt wachsende Rechnerleistung dazu eingesetzt werden, komfortable und nutzerfreundliche Anwenderschalen um den rohen Kern der Hardware und Grundsoftware von PCs zu hüllen. Selbst wenn diese Anwenderschalen zur Zeit nur in unzureichendem Maße existieren - in "Abacus" sind daher auch Teilprojekte zur Entwicklung solcher Benutzeroberflächen enthalten -, ist es doch unbestreitbar, daß PCs das angemessene Werkzeug für viele Aufgaben sein werden: Erfassung, Veränderung und einfache Kategorisierung von Daten, Verarbeitung mit hoher Interaktion.

Eine weitere Frage nach dem Einsatz von Institutsrechnern stellt sich. Meiner Meinung nach bleibt die spezielle Aufgabenstellung eines Instituts nach wie vor ihr Einsatzkriterium. Universalrechnerkapazität auf die zweite Ebene zu verlegen, scheint nicht sinnvoll, da sich dann der Personaleinsatz und das Problem des Interessenausgleichs in der Universität vervielfacht.

Die Frage nach der zukünftigen Stellung der zentralen EDV bleibt unausweichlich. Überspitzt formuliert: Können wir bei wachsender Leistungsfähigkeit der Arbeitsplatzrechner nicht ganz auf die zentrale DV verzichten und jedem Benutzer einen Personal Computer oder eine Workstation übergeben, der seinen Bedürfnissen genügt? Ich glaube, daß nach wie vor Anforderungen bestehen, die aus finanziellen und organisatorischen Gründen über zentrale EDV abgedeckt werden sollten. Schlagwortartig einige Funktionen File-Server, Kommunikations-Server, Drucker- und Plotter-Server.

Hinzu kommt der Betrieb großer Zentralrechner mit aufwendigen Spezialfunktionen, wie zum Beispiel Vektorrechner, die gerade bei naturwissenschaftlichen Modellrechnungen in Zukunft verstärkt notwendig sind. So plant das Rechenzentrum, die Vektor-Facility der IBM-3090-Anlagen zu nutzen. Datenbankrechner, die gegenwärtig noch nicht angeboten werden, könnten an Universitäten im Bereich der Klinikrechenzentren eingesetzt werden, wo ähnlich wie in Unternehmen eine gemeinsame, globale und konsolidierte Datenbasis notwendig ist.

Gleichrangig mit diesen technischen Kriterien machen auch organisatorische Gesichtspunkte eine zentrale fachliche Kompetenz notwendig. Bei der Vielfalt technischer Möglichkeiten sind zentrale Beratung, Unterstützung und Ausbildung unerläßlich, wenn alle Personal-Ressourcen gut genutzt werden sollen.

Auch die Organisation aller der Universität verfügbaren EDV-Ressourcen macht eine zentrale Kontrollstelle erforderlich. PC-Pools für Wissenschaftler und PC-Shops für Studenten sind zu überprüfen. Gerade eine mit öffentlichen Mitteln finanzierte Einrichtung wie die Universität kann den Gesichtspunkt des rationellen Einsatzes aller ihrer Mittel nicht vernachlässigen.

Es soll nicht verschwiegen werden, daß einige Experten eine total zentrale EDV-Welt verfechten, andere eine total dezentrale EDV-Welt - und zwar mit geradezu weltanschaulicher Verbissenheit.

Meine persönliche Meinung, die mit der des Abacus-Konzepts weitgehend übereinstimmt, macht ein Verweis auf Cicero deutlich, der in seinem Traktat "De re publica" die verschiedenen Staatsformen nach ihren Vor- und Nachteilen untersucht und abschließend auf die Frage nach der optimalen Staatsform antwortet: "moderatum et permixtum" - frei übersetzt: im rechten Maße gemischt. Das gilt wohl auch für die Datenverarbeitung einer Universität.

Dr. Peter Sandner Direktor des Heidelberger Universitäts-Rechenzentrums

Aus: Uni-Spiegel der Universität Heidelberg, 2/87