Baukastenprinzip stellt Buttons zur Verfügung

Xerox stimmt Anwender auf eigene Systemanpassungen ein

02.11.1990

Felix Weber ist freier Fachjournalist in Zürich. Der vorliegende Bericht basiert auf einem Vortrag den die Europarc-Forscher Allan MacLean, Kathleen Carter, Lennart Lövstrand und Thomas Moran Anfang April auf einer Fachtagung in Seattle gehalten haben.

Felix Weber*

Computersysteme, die jeder Anwender seinen individuellen Bedürfnissen anpassen kann, sind schon seit Jahren ein Ziel der Entwickler. Aber die hochgesteckten Erwartungen sind noch bei weitem nicht erfüllt. Alle bisherigen flexiblen Systeme haben den gleichen Nachteil: Um ihre Möglichkeiten auszuschöpfen, braucht der Benutzer sehr gute Vorkenntnisse oder ein gerütteltes Maß an Hartnäckigkeit, um sich das nötige Wissen anzueignen.

Forscher am Europarc von Xerox, die sich seit längerer Zeit mit dieser Problematik auseinandersetzen, veranschaulichen das mit einer Analogie zum Bergsteigen: Gleich zu Beginn muß der Anwender eine steile Wand erklimmen, um an einen Punkt zu gelangen, an dem er einschätzen kann, was mit einfachen Mitteln Oberhaupt erreichbar ist. Dann folgt ein leicht ansteigendes Plateau, auf dem der Benutzer mit den erworbenen Kenntnissen experimentieren kann.

Benutzer sollen ihre Passivität überwinden

Wenn der Anwender mehr will als nur ein paar vorgegebene Parameter ändern, steht er vor einer neuen Wand: Er muß lernen zu programmieren. Hat er schließlich auch dieses Hindernis überwunden, gelangt er auf den Gipfel, wo ihm die Systemwelt zu Füßen liegt. Im Flachland wohnen Computerbenutzer, um bei der Analogie zu bleiben, die das System als gegeben hinnehmen. Diese Normalanwender erwarten auch nicht, daß sie daran etwas ändern können. Auf den ersten Anhöhen sind die Bastler zu Hause.

Ihnen macht es Spaß, mit dem Computer zu experimentieren, obschon sie ihn nicht vollständig verstehen. Ganz oben auf den Gipfeln findet man die Programmierer, die das System aus dem "Effeff" kennen. Sie haben entweder eine gründliche Ausbildung hinter sich oder sehr viel Praxiserfahrung. Solche Leute sind ab und zu auch in den Support-Abteilungen zu finden. In der Regel kann sie der Normalanwendern aber nicht erreichen.

Normalanwender sind die größte Herausforderung für die Entwickler von flexiblen Systemen. Wer den Computer als gegeben hinnimmt, weiß kaum, wie er daran etwas ändern könnte. Das primäre Ziel ist also, den Anwendern klarzumachen, daß sie mehr sind als nur passive Benutzer eines fremden Systems. Wenn man ihnen das Gefühl vermitteln kann, sie seien Mitbesitzer, die Änderungen veranlassen oder in einfachen Fällen gar selbst vornehmen können, so ist schon sehr viel gewonnen.

Die Umsetzung in der Praxis funktioniert allerdings nur, wenn die gröbsten Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Man muß also versuchen, die Stolpersteine aus dem Weg zu räumen. Das Ziel soll das gleiche bleiben, aber auf einem bequemeren Weg erreichbar sein. Es ist auch nicht nötig, daß jeder den ganzen Weg zurücklegt: Viel effizienter ist es, wenn sich Programmierer, Bastler und Normalanwender für die gewünschten Systemanpassungen zu einer Benutzergemeinschaft zusammenschließen, in der jeder seine Erfahrungen einbringen und von den andern profitieren kann. Dabei würde natürlich ein weniger steiniger Weg die Kommunikation zwischen Leuten mit unterschiedlichem Background wesentlich erleichtern.

Typische Normalanwender sind Personen, die den Computer vorwiegend für administrative Arbeiten einsetzen. Für die Europarc-Forscher boten sich aus naheliegenden Gründen die vier Sekretärinnen des Labors als Versuchspersonen an. Keine von ihnen gehörte zur Kategorie der Bastler, geschweige denn zu jener der Programmierer. Sie akzeptierten den Computer als fertiges Werkzeug. Daß sie dieses selbst modifizieren könnten, wäre ihnen nicht im Traum eingefallen. Sie klopften aber auch nicht bei den Spezialisten an die Tür, um ihnen Änderungswünsche mitzuteilen.

So zeigte sich sehr bald, daß für die Realisierung von flexiblen Systemen Vermittler gebraucht werden - Leute also, die in den Niederungen ebenso zu Hause sind wie auf den Gipfeln. Sie haben ein offenes Ohr für die Probleme des Normalanwenders und können zum Teil sofort Lösungen anbieten. Kompliziertere Fälle delegieren sie weiter an die Programmierer, mit denen sie sich ebenfalls sehr gut verstehen.

Das Konzept der sogenannten Buttons

Der Schlüssel zu flexiblen Systemen ist nach den Untersuchungen der Xerox-Forscher das Konzept der sogenannten Buttons. Das sind auf dem Bildschirm sichtbare Schaltknöpfe, die der Benutzer mit dem Cursor ansteuern kann. Drückt er dann die Eingabe- oder Maus-Taste, wird die auf dem Schaltknopf angegebene Aktivität ausgelöst.

Buttons an sich sind nichts Neues. Die Xerox-Leute haben damit aber innovative Wege beschritten, indem sie Buttons zu Objekten machten, mit denen sich Computersysteme individuell anpassen lassen sollen. Und zwar so, daß das auch ganz normale Anwender begreifen, hoffen die Forscher. Mit den Buttons könne man den Aufbau des Bildschirms individuell gestalten, ganze Arbeitsabläufe programmieren, ja sogar die Schaltknöpfe selbst modifizieren, und dies alles ohne spezielle Computerkenntnisse! Das Button-Konzept sei aber auch raffiniert genug, um geübte Programmierer zum Kreieren neuer Schaltknöpfe anzuregen.

Die Erfahrungen am Europarc haben allerdings gezeigt, daß das Konzept der individuellen Systemanpassung nicht von allein funktioniert. Die Xerox-Forscher meinen, daß dazu eine neue Art von Design-Kultur notwendig sei. Bevor ein Computeranwender das System seinen Bedürfnissen anpassen kann, muß er diesbezügliche Entscheidungen treffen. Das ist für die meisten Anwender völlig neu. In der Regel sind sie damit auch überfordert: Eine Untersuchung hat gezeigt, daß normale Computerbenutzer selbst mit so simplen Aufgaben wie dem Her ausfinden geeigneter Abkürzungen Schwierigkeiten haben. Sie benutzen lieber jene Wege, die ihnen das System vorschlägt.

Man darf also nicht erwarten, daß der Normalanwender fähig ist, ein flexibles System im Alleingang für seine Zwecke zu optimieren. Dazu braucht er Unterstützung. Genau dafür ist der oben erwähnte Vermittler da: Seine Aufgabe ist es, den Anwendern mögliche Änderungen vorzuschlagen und ihnen zu zeigen, wie sie diese selbst realisieren könnten.

Gefordert ist eine neue Design-Kultur

Die Betonung liegt auf "selbst": Wer das System eigenständig seinen Bedürfnissen anpaßt, weiß auch genau, weshalb er die Änderungen vornimmt. Der Unterschied zwischen dem, jetzt-haben-die-schon-wiederwas-umgekrempelt" und dem "Wir haben uns das so eingerichtet" repräsentiert einen wichtigen Teil der Design-Kultur. Die Europarc-Forscher möchten die Anwender letztlich soweit bringen, daß sie nicht nur das Design beeinflussen, sondern das System auch besser einsetzen.

Voraussetzung für eine praktikable Design-Kultur ist, daß sich das Computersystem einfach anpassen läßt. Natürlich darf man das nicht von allen denkbaren Änderungen erwarten, aber zumindest einigen. Am Anfang setzt der Vermittler den Benutzern eine Reihe von Buttons auf den Bildschirm, die für ihre persönliche Arbeit nützlich sein könnten. Es lohnt sich, im Gespräch mit den Betroffenen herauszufinden, was sie gerne hätten. Auf dem System der Sekretärin könnte das zum Beispiel ein Schaltknopf sein, der auf einen einzigen Mausklick den Sitzungskalender via elektronische Post an alle Abteilungen schickt. Diesen Schaltknopf braucht wahrscheinlich nur die Sekretärin; ein anderer, mit dem man Termine in der elektronischen Agenda eintragen kann, ist für alle Mitarbeiter nützlich.

Entscheidend ist die Einsicht, daß hier nicht allgemeine Computerkenntnisse im Vordergrund stehen, sondern Ideen für geeignete Systemanpassungen. Über solche Ideen- verfügen auch Normalanwender. Oft erweisen sie sich auch als praxisgerechter im Vergleich zu den hochgestochenen Pläne der Programmierer.

Wer das Prinzip der Buttons einmal begriffen hat, möchte sie meist nicht mehr missen. Da sie auf dem Bildschirm jederzeit sichtbar sind, erleichtern und beschleunigen sie die Arbeit am Computer sehr. Buttons kann man beliebig herumschieben - auch von System zu System. Das Kopieren von Schaltknöpfen ist nicht nur erlaubt, sondern sogar ausdrücklich erwünscht.

Der nächste Schritt auf dem Wege zur Design-Kultur besteht darin, den Anwendern Mittel zur Verfügung zu stellen, mit denen sie selbst neue Schaltknöpfe kreieren können. Eine Möglichkeit dazu wäre das sogenannte "Programmieren-durch-Ausführen-eines-Musterbeispiels": Der Benutzer führt die gewünschte Arbeitssequenz an einem Beispiel von Hand aus und speichert die dabei benötigten Befehle unter einem neuen Button ab, so daß er in Zukunft nur noch diesen Schaltknopf betätigen muß.

Die Xerox-Forscher haben sich eine etwas andere Methode ausgedacht, die sie "situated creation" nennen. Dabei merkt sich das System automatisch, wie eine Aufgabe gelöst wird und findet auch noch Abkürzungen auf dem Weg zum Ziel. Ein Beispiel: Wenn beim Schreiben eines Textes der gleiche lange Satz öfter vorkommt, produziert das System automatisch einen Button für diesen Satz. Drückt man künftig diesen Schaltknopf, erscheint der Satz erneut auf dem Bildschirm. Diesen speziellen Button wird der Benutzer vielleicht nur solange aufbewahren, bis er den Text vollendet hat. Andere, allgemeinere Buttons hingegen könnten sich durchaus einen Stammplatz auf seinem Bildschirm erobern.

Das Bestechende an diesem Konzept ist jedenfalls, daß der Benutzer nichts zu tun braucht, was auch nur entfernt nach Programmieren aussieht - er führt einfach seine Aufgabe ganz normal aus. Dabei verschafft ihm das System laufend Arbeitshilfen, die er nach eigenem Gutdünken benutzen oder wegwerfen kann.

Die Anwender von derart flexiblen Systemen passen ihre Maschinen schrittweise ihren Bedürfnissen an. Die meisten Schritte verlaufen nach dem gleichen Muster: Man hat einen Schaltknopf, der bestimmte Dinge tut - bis auf ein bestimmtes Feature, das man auch noch gerne hätte. Und was tut der normale Benutzer in einem solchen Fall? Statt für dieses kleine Extra einen separaten Schaltknopf zu kreieren, kopiert er den alten Button und gibt ihm das fehlende Detail noch ein.

Das Duplizieren verschlingt natürlich Unmengen von Speicherplatz, den man sicher ökonomischer einsetzen könnte. Nun mögen Puristen zwar den Kopf schütteln - aber das krude System hat auch seine Vorteile: Man muß sich keine Schaltknopf-Kombinationen merken - ein einziger Tastendruck genügt. Dem fortgeschrittenen Anwender nehmen Xerox-Buttons einen großen Teil der Programmierschwierigkeiten ab. Erfahrungen am Europarc haben gezeigt, daß Bastler mit rudimentären Programmierkenntnissen ohne weiteres kleinere Modifikationen an diesen Schaltknöpfen vornehmen können.

Wildwuchs gefährdet rasch das ganze System

Erfahrenen Programmierern sind hier natürlich Oberhaupt keine Grenzen gesetzt: Sie können irgendwelchen Code in Schaltknöpfe verpacken. Es ist allerdings riskant, davon intensiv Gebrauch zu machen. Wildwuchs bei den Buttons gefährdet sehr rasch das ganze System. Aus diesem Grund wurde eine Art Baukasten entwickelt, der die Realisierung von Schaltknopf-Konzepten erleichtert und den Programmierern gewisse Leitplanken bietet.

Nach den Erfahrungen im Europarc machen die Anwender bei der Einführung des Buttons-Konzeptes eine bemerkenswerte Wandlung durch. Anfänglich wenig beeindruckt, lernen sie nach der Einarbeitungsphase die Schaltknöpfe richtig zu schätzen. Tatsächlich betrachten Computerbenutzer die Buttons sehr bald als ihre persönlichen Werkzeuge. Auch die vielen Modifikationsmöglichkeiten führen zu intensiven Diskussionen zwischen Leuten mit unterschiedlichsten Computerkenntnissen.