Workflow über das Extranet als Fernziel

Workflow über das Extranet als Fernziel Daimler-Benz AG hat eine Offensive im Office gestartet

03.04.1998

Vernetzte Desktop-PCs bieten eine ausgezeichnete Voraussetzung für die team- und prozeßorientierte Zusammenarbeit.In der Praxis bleibt dieses Potential jedoch weitgehend unerschlossen.

Aber die Zeiten ändern sich: Mit der elektronischen Abbildung von Dokumenten und Routineabläufen sollen ausufernde Wartezeiten, Medienbrüche, Fehlerquellen sowie Mißverständnisse und Redundanzen der Vergangenheit angehören.Dieses Dokumenten-Management ist Teil des Projekts, das die Daimler-Benz AG, Stuttgart, unter dem Kürzel EBD ins Leben gerufen hat.

Nur vordergründig handelt es sich dabei um ein reines Rationalisierungsvorhaben."Wir wollen Produktivität und Qualität der administrativen Leistung nachhaltig erhöhen", umreißt Projektleiter Tilo Nirk den Anspruch seines Teams.Auf der Grundlage standardisierter Bürowerkzeuge wie "Microsoft Office" und "Microsoft Exchange" sowie mit Hilfe von Telefon, Fax und E-Mail will der Daimler-Benz-Konzern Schritt für Schritt Workgroup-Lösungen, Dokumenten-Management und später auch Workflow-Anwendungen einführen.

Versuchskaninchen spielen derzeit 650 Mitarbeiter des Aggregatewerks in Untertürkheim.Dort hat Nirks Team drei Teilprojekte gestartet: Die DV-Experten und die Mitarbeiter im Umweltschutz sollen sich mit dem elektronischen Dokumenten-Management vertraut machen, die Personalabteilung mit einer digitalen "Ferienarbeiter"-Akte, die als Testanwendung für eine spätere elektronische Personalakte gilt.Vorgesehen ist zunächst die komplette Erfassung der etwa 8000 Ferienjob-Bewerbungen, die im Werk Untertürkheim jedes Jahr eingehen.Derzeit befindet sich das Vorhaben in der Konzeptionsphase, in die auch der Betriebsrat involviert ist.

Wie gestaltet sich die Einführung von EBD in der Praxis?In die elektronische Dokumentenverwaltung werden zunächst die Schriftstücke einbezogen, die bereits in digitalisierter Form vorliegen.Später folgen auch die nicht elektronisch erzeugten Dokumente und schließlich, so Nirk, "alles, was vom Großrechner herunterkommt".Unabdingbar ist dabei die Integration von Altsystemen: "Die haben viel Geld gekostet, die können wir nicht einfach wegwerfen."

In puncto Workgroup-Anwendungen ist das Mailing-Produkt Microsoft Exchange für Daimler-Benz "strategisch".Zusätzlich nutzt der Automobil- und Technologiekonzern auch die IBM-Groupware "Lotus Notes" - insbesondere deren Terminkalender-Funktion.

Als Dokumenten-Management-System kommt das Produkt "Docs Open" von der MIS GmbH, Darmstadt, zum Einsatz.Bei der Auswahl stand die Einbindung in die bestehende Microsoft-Welt ganz oben auf der Prioritätenliste.Aber auch der Nachweis über vergleichbare Referenzkunden, Kompatibilität zu marktgängigen Workflow-Lösungen und die Kompetenz des Anbieters in Sachen Mobile Computing spielten eine Rolle.Die Frage nach der Workflow-Management-Software hat das Unternehmen mit dem Produkt "Workman" von Reach Software beantwortet, das ebenfalls von MIS vermarktet wird.

In der Workflow-Funktionalität wird, so Nirk, der Hauptnutzen des gesamten EBD-Systems liegen.Daimler-Benz will in diesem Zusammenhang seine internen Prozesse auch auf die externen Kunden- und Lieferantenbeziehungen erweitern. Die technische Grundlage der geplanten Organisation bildet ein Intranet beziehungsweise ein Extranet.Das interne TCP/IP-Netz bietet eine einheitliche Oberfläche, auf der die Mitarbeiter ihre Dokumente anfordern und neue Arbeitsschritte in Gang setzen können.Das Extranet, das die Kunden und die Lieferanten einbezieht, soll die vorläufige Endstufe der DV-Integration darstellen."Aufträge und Briefe - schlicht alles, was auf Papier ins Haus kommt, wird elektronisch abgelegt, verschickt und letztlich durch einen Workflow-Prozeß gesteuert," beschreibt Nirk seine Zielvorstellung.

Bis die EBD-Anwendungen Ende dieses Jahres in den Echtbetrieb gehen können, muß allerdings noch einiger Ballast aus dem Weg geräumt werden.Nachdenklich stimmt den EBD-Verantwortlichen vor allem die Netzinfrastruktur des Konzerns. Wenn demnächst alle Dokumente elektronisch über das Netz gehen, wird die Belastung zwangsläufig steigen.

Für eine Investition in Java-Technik scheint in Untertürkheim die Zeit noch nicht reif.

Einschneidende Auswirkungen wird EBD sowohl auf die Technik als auch auf die Organisation und die Mitarbeiter haben.Die Umstellung von Papier auf elektronische Form ist laut Nirk ein Quantensprung im Bewußtsein der Anwender. Viele Fragen sind noch zu klären.Dazu gehört beispielsweise diese: Wer ist für das Einscannen von Papier verantwortlich - die Hauspost, der Mitarbeiter oder der Chef selbst?

Um sich auf dem konfliktträchtigen Feld der Organisationsveränderung vorzutasten, erstellt Nirks Projektgruppe derzeit Machbarkeitsstudien, in denen die Ziele der beteiligten Mitarbeiter beziehungsweise der Firmenbereiche daraufhin untersucht werden, wie sie sich umsetzen lassen.Wenn zum Beispiel jemand einen Arbeitsplatz zu Hause oder mobil einrichten möchte und seine Dokumente in elektronischer Form braucht, ist eine individuelle Lösung notwendig.

Der Büroalltag wird sich durch EBD ändern, räumt Nirk ein.Dennoch bleibe genug Zeit für das Schwätzchen auf dem Flur.Wer schnell etwas vervielfältigen müsse, werde auch in Zukunft zum Kopierer marschieren.Vorbehalte von seiten der Mitarbeiter gibt es genug.Die Vorstellung, die eigene Arbeit nicht mehr in der Hand zu halten und entsprechend an Wertschätzung einzubüßen, ist dabei wohl das größte Hemmnis.Da bleibt für Nirk noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten.

KOMPONENTEN

Die Bürokommunikation bei Daimler-Benz besteht aus Basisdiensten und erweiterten Diensten.Zur Basis zählen neben Telefon, Fax und E-Mail die Anwender-Tools von Microsoft ("MS Office").Den Übergang zwischen Grundsystem und Erweiterungen bilden das als "strategisch" deklarierte Messaging-Werkzeug "MS Exchange" sowie die Terminkalender-Funktion von "Lotus Notes".Als erweiterte Dienste kommen ein Dokumenten-Management-System ("Docs Open" von MIS) sowie ein Workflow-System ("Workman" von Reach) zum Einsatz.

Winfried Gertz ist freier Journalist in München.