Kommentar von Thomas Karg

Woran die Balanced Scorecard krankt

12.09.2003
Thomas Karg ist Geschäftsführer der Maturity Consultig GmbH in München

Die unternehmenseigene IT ist für die meisten Vorstände und Geschäftsführer eine "Black Box": Ohne IT geht es nicht, das weiß jeder; aber niemand kann konkret sagen, was sie für den eigentlichen Geschäftszweck leistet, wie sich die Kosten aus welchen Gründen entwickelt haben und ob das Ganze nicht auch preiswerter zu haben wäre.

Abhilfe versprach eine vermeintliche Wunderwaffe - die "Balanced Scorecard". Getreu dem Motto: "Was man nicht messen kann, kann man auch nicht managen" wird dabei die Unternehmensstrategie in ein angeblich ausgewogenes Kennzahlensystem übersetzt, das die Entwicklung im Unternehmen ganzheitlich und dennoch detailgenau abbilden soll.

Am grünen Tisch verordnet

Das Grundlagenwerk "Die Balanced Scorecard", 1996 von Robert S. Kaplan und David R. Norton veröffentlicht, avancierte binnen kurzer Zeit zur Bibel des modernen Managements. Selbstverständlich stürzten sich auch die großen Management-Beratungen dankbar auf das umsatzträchtige Thema und trugen ihren Teil zum neuen Hype bei. Zahlreiche Großunternehmen haben sich in den vergangenen Jahren an der Einführung einer Balanced Scorecard versucht; nicht zuletzt hofften sie, auf diese Weise auch Transparenz in ihre Informationstechnik zu bekommen.

Doch das Ganze ging gründlich schief - wie eben häufig fehlschlägt, was am grünen Tisch beschlossen und verordnet wurde. Anstatt zunächst - bottom up - die unternehmensspezifischen Leistungs- und Kostentreiber in der IT zu identifizieren, setzten die Unternehmen die Balanced-Scorecard-Systematik top down auf, um sie dann in allen Bereichen mit Leben zu erfüllen.

Mit Details überfrachtet

Mit schöner Regelmäßigkeit floss dabei viel zu wenig IT-Know-how in die Projekte. Deshalb galten so wichtige Erfolgsfaktoren wie die Servicequalität oder die Reaktionszeiten der IT auf neue Geschäftsanforderungen als "schlecht messbar" - und wurden folglich einfach weggelassen. An ihrer Stelle schufen die Verantwortlichen nutzlose Kennzahlen wie den prozentualen Anteil der IT-Ausgaben am Umsatz (als ob das Gesamtbudget ohne die Betrachtung der Kosten pro Anwender irgendeine Aussagekraft besäße!).

Zudem wurden die Systeme mit Details überfrachtet. So manche Software kam mit mehr als 100 Eingabefeldern daher, denn vor lauter Planungseuphorie kam man von Hölzchen auf Stöckchen. In dem so entstandenen Wildwuchs von bis zu 300 angeblich relevanten Kennzahlen finden sich heute prompt nur noch wirkliche Spezialisten zurecht. Die kontinuierliche Datenpflege wird in der Folge immer mehr vernachlässigt. Und das Ergebnis ist ein Kuddelmuddel von Zahlen, deren Aussagekraft gegen Null tendiert.

Fast jedes größere deutsche Unternehmen hat für teures Geld Balanced-Scorecard-Projekte aufgesetzt und sich damit die Finger verbrannt. So ist es kein Wunder, dass der Begriff in den Führungsetagen zum Unwort avancierte und den Verantwortlichen nachträglich die Zornesröte ins Gesicht treibt.

Trotzdem ist der Bedarf nach effizientem IT-Controlling heute größer ist denn je. Wichtige Entscheidungen, beispielsweise "Make or buy?" im Hinblick auf IT-Dienstleistungen, lassen sich ohne die vorherige Betrachtung der relevanten Key-Performance-Indikatoren (KPIs) nicht treffen. Damit kommt das Balanced-Scorecard-Modell quasi durch die Hintertür ins Spiel. Nur dass man jetzt schlicht von Kennzahlen-Systemen spricht, die überdies - und das ist ein wesentlicher Unterschied - bottom up entwickelt werden.

Die IT muss ihre Hausaufgaben machen

Nun gibt es zwar längst aussagekräftige Kennzahlen wie etwa die Stückkosten pro SAP-User oder den Aufwand je Personaleinsatz für Problem- und Change-Management. Doch das sind nur Ansätze. Die IT muss grundsätzlich erst einmal ihre Hausaufgaben machen und alle in ihrem Bereich ausgeübten Aktivitäten in Leistungskataloge oder Services aufgliedern.

Diese Dienstleistungen können von der Bereitstellung eines Mail-Systems bis zum Betrieb der SAP-R/3-Software reichen. Gemanaged werden sie von den jeweiligen Serviceverantwortlichen mit Hilfe von Kennzahlen, die ihre Daten aus so unspektakulären Quellen wie Fehlerprotokollen oder notierten Zeitaufwänden beziehen. Für den Leiter der IT lassen sich die einzelnen Servicesysteme dann einfach konsolidieren.

Ein derart überschaubares System ist verhältnismäßig leicht zu pflegen, gegebenenfalls auch durch das Abteilungssekretariat. Der IT-Verantwortliche erhält monatlich aktualisierte Kennzahlen. Sie ermöglichen es ihm, die eigene Entwicklung im Zeitablauf nachzuvollziehen. Bei Bedarf kann er sie zudem mit den Daten anderer Unternehmen vergleichen, die ähnliche Anforderungen haben. So lassen sich weitere Verbesserungspotenziale identifizieren. Die Geschäftsführung schließlich bekommt auf Anfrage aggregierte Kennzahlen vorgelegt - nicht mehr als fünf oder sechs Einzelinformationen, aber welche, die es garantiert in sich haben. (qua)

Bei dem vorstehenden Text handelt es sich um einen Gastkommentar. Dementsprechend gibt er nicht unbedingt die Ansicht der Redaktion wieder.