Fachhochschulmodell aus Furtwangen will Maßstäbe setzen:

Wirtschaftsinformatik für das Jahr 2000

13.05.1988

Das Thema Fächer-Integration bleibt bei der Studienrichtung Wirtschaftsinformatik allgemein auf der Strecke, polemisiert Rainer Bischoff. Der Leiter dieses Fachbereichs an der Fachhochschule Furtwangen rät zum Vorsorgen, nicht Entsorgen. Als Betspiel stellt er die Studiesplanreform der FH aus dem Schwarzwald vor.

Wirtschaftsinformatik ist keineswegs die einfache Addition von Datenverarbeitung, Betriebswirtschaft, Mathematik, theoretischer Informatik und Praxis. Sie ist vielmehr die Integration dieser Disziplinen zu einem Neuen.

Das Ausbildungskonzept des Studiums der Wirtschaftsinformatik in Furtwangen besteht daher in der Vermittlung von integrativen Analyse- und Designfähigkeiten, von methodischem Denken, Arbeiten und Ableiten. Typische, fachwissenschaftliche Strukturen und wissenschaftliche Fundierung sind Basis.

Praxisbezug unabdingbar

Die Fähigkeiten zu praktischen und manchmal auch pragmatischen Losungswegen und Lösungen sind dabei unverzichtbare Anforderungen an den Wirtschaftsinformatiker. Auch Spezialwissen muß später aufgesetzt werden können. Jedoch: Nur auf der Basis eines strukturorientierten Wissens ist Spezialwissen integrierbar. Ein solches Strukturwissen muß auch verstehen, bestehende Systeme bei Neuentwicklungen zu integrieren. Die konzeptionelle Fähigkeit, das Ganze zu sehen, ist für die leitende Gestaltung heutiger Informationssysteme unabdingbar. Die Fähigkeit, beurteilen, beraten und bewerten zu können, ist essentiell.

Praxisbezug ist dabei für den Studenten unabdingbar. Dazu gehören: Eigene Praxiserfahrung im Studium und damit die Möglichkeit der Reflexion im Studium. Weiterhin zählt vermittelte Praxiserfahrung durch den Lehrenden dazu - und damit gesicherte Systematisierung, Integration und Wertung.

Die Praxis zu erfahren, bedeutet für Studenten in Furtwangen:

- in das Studium integrierte, strukturierte Studiensemester;

- erste kleine Praxisaufgaben - Systemanalysen, Bewertungen, Entwicklungen - für und zum Teil in der Praxis in curricularen Workshops;

- praxisorientierte Diplomarbeiten unter Anleitung und Führung des Professors.

Für den Hochschullehrer heißt dies:

- einschlägige, berufliche Tätigkeit von mindestens fünf Jahren (im Durchschnitt elf Jahre) in der Praxis vor der Tätigkeit als Hochschullehrer;

- Pflege und Aktualisierung dieses Know-hows während der Tätigkeit als Hochschullehrer (Forschungssemester in der Praxis, konkret geforderte Mitarbeit in der Angewandten Forschung, Technologie-Transfer).

Auf dieser Basis kann der diplomierte Wirtschaftsinformatiker in der Praxis Anwendungssysteme gestalten. Er ist prädestiniert dazu, Führungspositionen in der DV zu übernehmen.

Tendenziell war - und ist mancherorts auch noch - die DV zu großen Teilen Werkzeug zur Informationsaufbereitung im Rahmen der wichtigsten operativen Systeme. Die moderne Informations- und Kommunikationstechnologie ermöglicht und benötigt zunehmend eine aktive Steuerung des Informationsflusses: Informationsmanagement wäre rein technisch machbar. Auf der fachlichen Seite jedoch und im Management desselben gibt es Probleme: Aus singulären oder nur in Teilbereichen integrierten, DV-gestützten Aufgabenstrukturen werden zunehmend prozeß- und gesamtsystembezogene Strukturen (Beispiele: Bürokommunikation, Computer Integrated Manufacturing). Einerseits gibt es Dezentralisierungs-, andererseits Integrationstendenzen, auch in der Entwicklung: Dezentralisation in Integration ist die Devise.

Legt der Informatiker heute meist noch über seine Methoden und Algorithmen eine Problemlösung, so wird zunehmend das Problem im Vordergrund stehen: Das Herunterbrechen des betrieblichen Problems im Kontext integrativer - und nicht nur datenmäßiger - Verflechtungen auf eine Ebene, die die einzelnen Elemente der Problemstruktur und mögliche Lösungsstrukturen offenlegen. Diese werden dann mit der existierenden DV- und Organisationstechnologie einer "zu dieser Zeit" möglichen, manchmal durchaus pragmatischen :Problemlösung zugeführt.

Wer soll, wer kann diese Probleme bewältigen? Eine Addition von Studieninhalten reicht nicht aus, wäre auch zuviel.

Der Systemarchitekt - ein Generalist

Gefragt ist ein Systemarchitekt, dessen ganzheitliche Betrachtungsweise weiter über alle notwendigen betrieblichen Funktions- und Fachbereiche hinausgeht als die zum Beispiel formal angestrebte Datenintegration. Er ist ein betriebswirtschaftlicher Generalist, dessen Know-how in DV und Informatik auf die betriebswirtschaftlichen Belange der Lösung eines Problems ausgerichtet ist. Im Vordergrund stehen für ihn

- Beherrschen der besonderen Problematik der informationellen und prozeßmäßigen Verflechtung aller betrieblichen Bereiche, insbesondere unter Berücksichtigung des Fertigungsbereiches;

- Erkennen der Kommunikationsstrukturen im Betrieb, Durchführung von Kommunikationsanalysen;

- Umsetzen der Erkenntnisse in klare Systemstrukturen (Netze) in fachlicher und DV-technischer Hinsicht;

- Entwurf organisatorischer und DV-organisatorischer Steuerungsmechanismen zur Beherrschung der Netze;

- Beurteilung und Berücksichtigung gesellschaftlicher und individueller Prozesse im Spannungsfeld Mensch/Technologie/Unternehmung /Staat.

Wirtschaftsinformatik in Furtwangen

Eine Hochschulausbildung in diese Richtung muß die Vermittlung beziehungsweise Aneignung von breitem, fundiertem Grundlagenwissen mit frühzeitiger Integration desselben sowie wissenschaftlichem und praxisorientiertem Arbeiten, systematischem Denken und Arbeiten im Sinne analytischer und konstruktiver Vorgehensweisen bieten. Im Vordergrund muß weiterhin ein gesundes, praxiserfahrenes Maß an anwendungsorientiertem Denken und Handeln stehen wie auch Wissen, das ein Entwicklungspotential darstellt, mit dem im Berufsleben sich verändernde Tätigkeitsfelder bewältigt werden können und Spezialwissen schnell erworben werden kann. Nicht zuletzt haben Sachkompetenz und soziale Kompetenz hinzuzukommen.

Es ist ein Weg in das Grundsätzliche des Gesamten, in das Generalisierbare und nicht in das Spezielle.

Der neue Studienplan weitet sich deshalb aus "in die Integration" (siehe Zusammenstellung). Einige Essentials sollen ihn skizzieren.

- Integration der spezifischen Fragen der Gestaltung konkreter, integrierter DV-Anwendungssysteme in die speziellen Betriebswirtschaftslehren (funktional und institutionell). Der Student muß vier solcher "Informatiken in einer speziellen BWL" absolvieren. Er kann darüber hinaus über die Wahlpflichtvorlesungen Schwerpunkte bilden.

- Besondere Problematik der Entwicklung der Architektur und Funktionsweise heutiger Informations- und Kommunikationssysteme werden durch die Vorlesungen "Objektorientiertes Systemdesign", "Vorgehensorientiertes Systemdesign", "Kommunikations- und Netzdesign", "Datenbankdesign" und "Dialogdesign" eingebracht.

- Das konstruktive Element in der Entwicklung von Informationssystemen soll durch stärkere Betonung der Programmkonstruktion in den Vorlesungen "Programmkonstruktion und Programmierung" und "Softwareentwicklungsumgebungen" hervorgehoben werden.

- Die "Integrationsfigur" Wirtschaftsinformatiker soll durch ein Zugehen - über die betriebswirtschaftlich-fachliche Kompetenz hinaus - auf den Endbenutzer durch die Vorlesungen "Softwareentwicklungsumgebungen", der Systemprogrammierer durch die Vorlesung "Systemsoftware" umfassend umschrieben werden.

- Neue Vorgehensweisen moderner und zukunftsträchtiger Informationstechnologie werden eingebracht: Knowledge-Engineering über die Vorlesung "Expertensysteme".

- Der fundierende Charakter formaler Methoden in Betriebswirtschaft und Systementwicklung soll durch die Wirtschaftsinformatikorientierten Vorlesungen "Statistik I und II", "Unternehmensforschung I und II" und die Vorlesung "Formale Spezifikation und Modellkonstruktion" gestärkt werden.

- Ausbildung des Studenten zum - nicht nur späteren - Verkäufer und Manager in eigener Sache durch die Vorlesungen "Dokumentations- und Präsentationstechnik" und "DV-Management".

- Der Student wird an die notwendige soziale Kompetenz durch die Vorlesungen "Informatik und Gesellschaft" und "Rechts- oder Sozialwissenschaftliches Seminar" herangeführt.

- Erziehung zur Selbständigkeit, Eigenverantwortlichkeit und zielorientierten Vorgehensweise: Möglichkeit der Schwerpunktbildung durch eigenverantwortliche Wahlmöglichkeit von 24 SWS Wahlpflichtvorlesungen im Studium.

- Beibehalten und gestärkt werden sollen die zwei Praxissemester ("Studien"-Semester in der Praxis!): Die Fundierung des Studiums durch die reale Praxis, aber nicht umgekehrt die Fundierung der Praxis durch die Hochschule.

- Qualifizierung durch die Art der Gestaltung der Vorlesungen, vor allen Dingen der Praktika, Seminare, Workshops und Praxissemester:

- integrierte Stoffinhalte, auch in Grundlagenvorlesungen wie Mathematik;

- Entwicklung von Teamfähigkeit und Lernbereitschaft, Durchsetzungsvermögen;

- Programmierung für andere;

- Praktische DV und praktische Betriebswirtschaft schätzen lernen; vor formalen Denkmechanismen nicht zurückschrecken, sondern sie beherrschen lernen;

- Hinführung zur Mobilität durch Projektarbeiten und Diplomarbeiten in der Industrie im weiten - sogar bundesweiten - Umkreis;

- Sensibilität für soziale Probleme.

- Fachbereichsspezifischer, hochdotierter Preis für hervorragende Diplomarbeiten.