Wirtschaft will sich stärker in Hochschulbelange einmischen

Wirtschaft will sich stärker in Hochschulbelange einmischen Keine Lobby für die Bildung in Deutschland

19.03.1999
Über die Bildungsmisere in Deutschland und darüber, wie Politik und Wirtschaft die Leistungsfähigkeit von Schulen und Hochschulen verbessern könnten, sprach Angelika Fritsche* mit Debis-Personalvorstand Norbert Bensel.

CW: Die IT-Branche hat offensichtlich mit einem schier nicht zu bewältigenden Problem zu kämpfen: Der fehlende Nachwuchs bremst das Wachstum. Wie können Wirtschaft und Politik diesen Mißstand beheben?

Bensel: Das Nachwuchsproblem trifft Debis derzeit noch nicht so hart. Bisher konnten wir alle vakanten Positionen mit gut qualifizierten Bewerbern besetzen. Nur im SAP-Umfeld müssen wir längerfristig angelegte Aus- und Weiterbildungskurse anbieten, um unseren Bedarf zu decken. Ein Blick auf die Stellenanzeigen zeigt jedoch eindeutig, daß die IT-Branche hier insgesamt mit einem gravierenden Problem konfrontiert ist, für das es dringenden Handlungsbedarf gibt.

CW: Was erwarten Sie von der neuen rot-grünen Regierung?

Bensel: Ich hatte mir erhofft, daß unter der neuen Regierung das Thema Bildung in Deutschland wieder eine Lobby findet. Im Wahlkampf wurde viel darüber gesprochen. Bisher habe ich aber weder in den Aktivitäten der Regierung noch in denen der Opposition ernsthafte Ansätze dazu bemerkt. Leider wird das Thema schon seit langem beiseite gedrängt. Das kann sich Deutschland einfach nicht erlauben. Wir brauchen dringend, gerade auch mit Blick auf die Wissens- und Informationsgesellschaft, eine Reform der Schulen und Hochschulen.

CW: Darüber wird seit Jahren ohne großen Erfolg debattiert: Wie kann der Reformprozeß endlich angeschoben werden?

Bensel: Erstens: Der Staat muß die Rahmenbedingungen ändern, das heißt, er muß per Gesetz die Handlungsmöglichkeiten von Rektoren und Lehrpersonal an den öffentlichen Bildungseinrichtungen erweitern. So müssen Rektoren die Möglichkeit bekommen, nach eigenem Ermessen Prioritäten zu setzen und innerhalb ihres Budgets frei darüber zu entscheiden, welche Anschaffungen sie für ihre Institution tätigen wollen. Das trifft vor allem auf die Schulen zu. An einigen Hochschulen gibt es solche Optionen immerhin schon. Zweitens: Die Ausstattung der Schulen mit moderner Infrastruktur und entsprechend gut ausgebildetem Lehrpersonal muß forciert werden.

CW: Nicht nur der Staat, sondern auch die Wirtschaft hat es bisher versäumt, eindeutige Signale zu setzen. Wie können Angebot und Nachfrage künftig besser aufeinander abgestimmt werden?

Bensel: Immerhin können wir zur Zeit eine kleine Trendwende verzeichnen. Studienfächer wie Informatik, Mathematik, Wirtschaftsinformatik sowie die Ingenieurwissenschaften insgesamt erleben derzeit einen gewissen Auftrieb. Damit haben wir das Problem allerdings keineswegs schon im Griff. Wir müssen klar und deutlich sehen, daß auch die Wirtschaft selbst diese Krise mit heraufbeschworen hat. Zum einen hat sie über Jahre hinweg kaum Absolventen eingestellt. Das hat sich natürlich sehr negativ auf das Studienwahlverhalten ausgewirkt.

Zum anderen waren ihre Prognosen zum Arbeitskräftebedarf nicht sehr zuverlässig. Angebot und Nachfrage genauestens zu prognostizieren, das wird uns auch in Zukunft nicht gelingen. Aber trotzdem muß die Wirtschaft klarer artikulieren, was sie braucht.

CW: Das stößt nicht nur auf Gegenliebe. Die Skepsis, daß die Wirtschaft zu großen Einfluß auf unser Bildungswesen nehmen könnte, erschwert den Dialog.

Bensel: Natürlich wollen wir Einfluß nehmen. Aber wir wollen uns über diesen Weg keine maßgeschneiderten, stromlinienförmigen Mitarbeiter heranziehen, wie uns häufig vorgeworfen wird. Wir wollen, genauso wie die Hochschulen, Schulabgänger, die in der Lage sind, sich dem Beruf beziehungsweise dem Studium zu stellen.

CW: Solche Kräfte gibt es zuhauf im Ausland. Wäre eine Lockerung der Arbeits- und Zuzugsbestimmungen für ausländische IT-Experten nicht dringend an der Zeit?

Bensel: Das Hauptproblem ist sicher das Thema Arbeitserlaubnis. Hier benötigen wir flexiblere Regelungen, damit ausländische IT- Experten schneller bei uns arbeiten können. Angesichts der derzeit sehr hohen Arbeitslosigkeit verstehe ich zwar, daß sich die Politik in dieser Frage bedeckt hält, aber die deutsche Wirtschaft braucht eine Liberalisierung der Bestimmungen.

CW: Und die Wirtschaft? Müßte sie Ausländern nicht sogar das Studium in Deutschland finanzieren, um sich so den Nachwuchs zu sichern?

Bensel: Darüber sollten wir nachdenken, wenn zu viele Informatikstudienplätze bei uns frei bleiben.

CW: Eine andere Möglichkeit, Nachwuchs zu rekrutieren, sind eigene IT-spezifische Ausbildungsangebote. Gibt es hierzu konkrete Pläne in der IT-Branche?

Bensel: Die neuen IT-Berufe in der beruflichen Erstausbildung bieten eine große Chance für uns, bedarfsgerecht auszubilden. Zudem werden wir verstärkt Praktika anbieten. Damit richten wir uns neben Studierenden auch ganz bewußt an Lehrer, bei denen ein hoher Nachholbedarf besteht. Im Bereich der Weiterqualifizierung bieten wir verstärkt Ausbildungsgänge im Bereich SAP an. Hoffnungen setzen wir auch auf die privaten Hochschulen, die vermehrt IT-bezogene Studiengänge auf ihrer Agenda haben. Wir werden zwar keine eigene Universität gründen, wollen aber bereits bestehende unterstützen.

CW: Sind die privaten Hochschulen die Antwort auf die Nachwuchs- und Ausbildungsmisere?

Bensel: Die sind gut, um Unruhe ins System zu bringen und Anregungen zu geben. Nehmen wir beispielsweise das Thema "Internationalisierung". Wir müssen die Frage, wie sich unsere Hochschulen international besser positionieren können, dringend vorantreiben. So bin ich mir zur Zeit noch nicht sicher, ob die Einführung von Bachelor- und Master-Abschlüssen tatsächlich der richtige Weg ist. Ich bin davon überzeugt, daß wir mit unserem Diplom einen sehr guten Abschluß haben. Private Hochschulen, wie etwa die International University in Bruchsal, zeigen, wie Internationalität fest in die universitäre Ausbildung verankert werden kann. Die dort vorgesehenen Auslandsaufenthalte bewirken einen enormen Wissenszuwachs in der Persönlichkeitsentwicklung und vor allem im interkulturellen Teamworking. Das sind Inhalte, die man nicht im Hörsaal lernt, die aber im Arbeitsleben an oberster Stelle stehen.

CW: Kritiker befürchten, daß nach Euro- und Jahr-2000-Boom der Bedarf an IT-Experten schlagartig zurückgeht und die avisierten neuen Arbeitsplätze nur leere Versprechen sind. Also viel Lärm um Nichts?

Bensel: Für mein Unternehmen beispielsweise sehe ich diese Problematik nicht, da wir in den Feldern aktiv sind, die auch in Zukunft sehr stark nachgefragt werden. Neue Arbeitsplätze werden vor allem in den Bereichen Consulting, Implementierung und Anpassung von Standardsoftware auf die Bedürfnisse der einzelnen Unternehmen sowie im gesamten Umfeld Telekommunikation und Neue Medien entstehen. Natürlich wird nach der Jahr-2000-Umstellung der Boom etwas abgebremst werden. Aber ein Wachstum werden wir in dieser Branche weiterhin haben, schon allein weil Telekommunikation und IT immer stärker zusammenwachsen. Diese beiden Bereiche werden sich auf jeden Fall weiterentwickeln, wenn auch nicht mehr so Boomartig.

*Angelika Fritsche ist freie Journalistin in Bonn.