Windows XP löst keine Euphorie aus

19.09.2001
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Jan Schulze ist freier Autor in Erding bei München.
Das neueste Microsoft-Betriebssystem steht in den Startlöchern. Ein Hype ist jedoch nicht in Sicht; bei den meisten Anwendern ruft XP kaum Interesse wach. Nur Unternehmen, die sowieso einen Release-Wechsel planen, wollen XP frühzeitig einführen.

Ab dem 25. Oktober ist Microsofts Windows XP lieferbar. Unter der Überschrift "Windows XP Professional steigert die Produktivität im Unternehmen" preist der Softwareriese die Verbesserungen gegenüber den Vorgängerversionen an. Die meisten Marktbeobachter sehen die Betriebssystemneuheit jedoch eher nüchtern: Wenn Windows 2000 Professional als NT-Version 5.0 gesehen werde, so sei Windows XP der NT-Upgrade 5.1, heißt es in einem Papier der Gartner Group. Steve Klynhans, Vice President Web and Collaboration Strategies der Meta Group, vertritt eine ähnliche Meinung: XP könne wie das nächste Servicepaket für Windows 2000 behandelt werden.

Gartner und Meta sehen in XP keinen Grund, eine begonnene Migration auf Windows 2000 zu stoppen. Bei Microsoft selbst wird diese Einschätzung offenbar geteilt: In einer Telefonkonferenz im Mai dieses Jahres sagte Jim Allchin, Group Vice President Operating System Plattforms, Unternehmen, die bereits in einer Windows-2000-Einführung steckten, sollten nicht auf die Auslieferung von XP warten.

Die meisten Anwender fürchten denn auch nicht, mit Windows XP irgendetwas zu verpassen. "Wir werden mit Sicherheit in den nächsten acht bis zehn Monaten nicht auf XP gehen", bestätigt Ralf Bäuerle, IT-Leiter Deutschland des Schorndorfer Hausgeräteherstellers Bauknecht GmbH, den Trend. Das Unternehmen tausche normalerweise alle zwei Jahre die Hardware komplett aus, das nächste Mal sei der Wechsel im Herbst 2002 fällig.

Auch müsse geprüft werden, welchen Vorteil XP dem Anwender bringe. "Die Vorzüge im Vergleich zu dem, was wir heute haben, sind noch nicht deutlich herausgearbeitet", relativiert der IT-Leiter. Im Frühjahr möchte Bauknecht mit der Evaluation beginnen. Als Teil der Whirlpool-Gruppe müsse sich so eine Entscheidung zudem in den konzernweiten Kontext einfügen. Die vorhandene Windows-98-Umgebung laufe stabil. Ob Windows XP eingeführt werde, sei eine reine Kosten-Nutzen-Rechnung, so Bäuerle. Die neuen Merkmale von XP wie zum Beispiel "Encrypting File System" (EFS) sind für den IT-Leiter keine gewichtigen Argumente für eine Migration.

Auch beim Tübinger Werkzeug- und Maschinenhersteller Walter AG ist XP noch kein Thema. Aus Sicht von Chief Information Officer (CIO) Peter Schneck kommt die neue Windows-Variante zu früh: "Wir sind im Moment dabei, das Unternehmen aus der Windows-98- in die Windows-2000-Ära zu überführen." In den nächsten zwei Jahre werde die Walter AG voraussichtlich an Windows 2000 festhalten.

Ähnlich ist die Situation bei der Kölner AXA Colonia Konzern AG, die zurzeit Windows 2000 einführt. Michael Schilder, Abteilungsleiter Technical Services: "Wir werden uns frühestens Mitte des kommenden Jahres mit XP beschäftigen."

Zunächst nur für Notebooks Einen Mittelweg geht die Erdinger Amadeus Data Processing KG. Laut Office Automation Manager Thomas Frauendorfer, nutzt Amadeus gegenwärtig NT-Clients. Für Notebooks werde das Unternehmen noch in diesem Jahr mit einem XP-Pilotprojekt starten und im Erfolgsfall bis Anfang 2002 sämtliche mobilen Geräte umstellen. Der Grund: NT unterstützt im Gegensatz zu Windows XP viele Notebook-Merkmale, zum Beispiel die Infrarot-Schnittstelle, nicht. Alternativ wäre dafür auch Windows 2000 in Frage gekommen. Von Windows XP erhofft sich Frauendorfer aber eine bessere Treiberunterstützung seitens der Hardwarehersteller, da XP auch den Endkundenmarkt bedienen wird.

Kritik übt Frauendorfer allerdings am Registrationsschlüssel, den Microsoft zum besseren Schutz vor Raubkopien eingeführt hat. Dieser Schlüssel müsse unter relativ vielen Mitarbeitern verteilt werden. "Andererseits sind wir dafür verantwortlich, dass wir den Schlüssel nicht weitergeben", ärgert sich Frauendorfer. Zum Schutz vor Missbrauch sollen nur so wenige IT-Administratoren wie möglich Zugang zum Registrationsschlüssel erhalten.

Nicht mehr in diesem Jahr Es gibt auch Unternehmen, die ihre Desktops möglichst schnell auf das neue Betriebssystem umstellen wollen. Bei der Vereinigten Haftpflichtversicherung VaG (VHV) in Hannover läuft bereits die Evaluation von Windows XP. Die VHV ist offizieller XP-Betatester. Die Clients der Versicherung arbeiten jetzt noch mit Windows NT. Mit dem Rollout des neuen Systems rechnet Monika Ern, Leiterin des Benutzerservices, allerdings nicht mehr für dieses Jahr. Um den Betrieb des Unternehmens sicherzustellen, durchlaufe das neue Betriebssystem eine sehr aufwändige Testphase. Der Rollout sei bei der VHV nicht als "Big Bang", sondern sukzessive geplant und an neu zu beschaffende Hardware gekoppelt.

Als Antrieb für den Umstieg auf XP nennt Ern besonders die Unterstützung des Universal Serial Bus (USB). Bei lokalen Druckern oder Scannern setze sich diese Schnittstelle immer mehr durch, aber Windows NT unterstützt sie nicht. Die anderen neuen XP-Merkmale sind für Ern weniger interessant.

Beim Registrationsschlüssel sieht das Unternehmen keine Probleme. Nur sehr wenige Mitarbeiter im IT-Support hätten Zugang zu dem Schlüssel, so Ern. Die Lizenzmodelle von Microsoft und damit die Investitionskosten würden von der VHV noch untersucht.

Auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) wird voraussichtlich Windows XP einführen. Von den insgesamt 4500 Clients sind rund 2000 standardisierte Windows-Arbeitsplätze, erläutert Heinz Gesche, Leiter Zentrales IT-Management. "Momentan ist unser Standard Windows NT. Wir sind jetzt dabei zu überlegen, wann wir diesen Standard um Windows XP erweitern." NT wurde bereits 1998 eingeführt.

Die Kinderkrankheiten abwarten Das DLR möchte die Phase der "Kinderkrankheiten" von Windows XP abwarten und das System ab Frühjahr 2002 einführen. Das Forschungsunternehmen plant eine schrittweise Migration, neue Hardware soll dann mit XP gekauft werden. Rund zwei Jahre wird der Übergang nach Gesches Schätzung dauern. Da die Umstellung auf Windows XP überwiegend im Rahmen ohnehin notwendiger Neubeschaffungen erfolgen soll, rechnet der IT-Leiter mit einer überschaubaren Investitionssumme. Die neuen Betriebssystemmerkmale begrüßt Gesche. Besonders die Sicherheitsfunktionen sind ihm im Hinblick auf die Notebooks mobiler Mitarbeiter wichtig.

Insgesamt lassen sich die Anwender vom neuesten Produkt aus Microsofts Software-schmiede nicht sonderlich beeindrucken. Große XP-Migrationsprojekte dürften in diesem Jahr nur selten zu beobachten sein. Die Strategie, die viele Unternehmen verfolgen, deckt sich mit der Einschätzung des Meta-Group-Analysten Klynhans: "Unternehmen müssen nach ihrem eigenen Zeitplan vorgehen, nicht nach dem von Microsoft."

Windows XP Windows XP wird in zwei Versionen auf den Markt kommen und das für Heimanwender konzipierte Windows 98/ME mit dem Profisystem Windows 2000 vereinen. Die "Professional"-Version von XP richtet sich an Unternehmensanwender, die "Home Edition" ersetzt das jetzt übliche Windows 98 für Heimanwender. Welche Neuerungen Microsoft in Windows XP integriert hat, lesen Sie ab Seite 16 in dieser Ausgabe.