Statt heterogener Kommunikationswunder sind solide Migrationspfade gefragt

Windows NT verwirklicht die Gates-Visionen nun auch im Netz

27.08.1993

Mit der Server-Plattform Windows NT Advanced Server, die Softwaregigant Microsoft etwa zeitgleich mit der Workstation- Variante des neuen grafischen Betriebssystems auf den Markt bringen will, stoesst die Softwareschmiede aus Redmond nun mit ihren Windows-Produkten auch in den Bereich der Netzwerk-Betriebssysteme (NOS) vor. Eckhard Klockhaus* hat Microsofts juengsten Versuch, im Markt der Netz-Betriebssysteme Fuss zu fassen, naeher untersucht und analysiert die Marktchancen des neuen NOS.

Mit dem Advanced Server startet der Gigant Microsoft einen erneuten Anlauf, um endlich auch vom Kuchen der Netzwerk- Betriebssysteme ein grosses Stueck abzubekommen. Nach Msnet, der Zusammenarbeit mit 3Com und zuletzt Microsofts LAN Manager fuer OS/2-Server setzt man im Hause Gates nun ganz auf Windows-basierte NOS. So ist der Windows NT Advanced Server eine Weiterentwicklung des LAN Managers.

Sicherlich hat sich der Misserfolg von OS/2 in der Vergangenheit auch negativ auf die Verkaufszahlen des LAN Managers niedergeschlagen. Zumal fuer Kunden nach Microsofts Ausstieg aus dem OS/2-Engagement ein Widerspruch entstand: Auf der einen Seite Windows mit wachsendem Marktanteil, auf der anderen Seite die Redmonder Server-Systeme, die auf der OS/2-Plattform aufsetzten. Die hiermit von Microsoft-Seite einhergehende Positionierung von Windows als zukuenftigem Betriebssystem hinterliess bei vielen Kunden den Eindruck, dass keine Weiterentwicklung der OS/2-Systeme garantiert sei und Big Green die Plattform ausschliesslich fuer den LAN Manager und das Datenbanksystem SQL benoetige.

Nach dem Boom der Anwenderoberflaeche Windows und der sich abzeichnenden Nachfrage nach New Technology beendete Microsoft mit der Portierung des LAN Managers nach Windows NT diese Unklarheit ueber die Zukunft des NOS. Mit Funktionen wie WAN- und Domain- Verwaltung, erweiterter Fehlertoleranz, Remote-Access-Software, Macintosh-Support und Erweiterungen fuer die Kommunikation mit Grossrechnern und Rechnern der mittleren Datentechnik scheint die Server-Version des neuen Betriebssystems Windows gut fuer den Wettbewerb mit Netware, Banyan und anderen Unix-Systemen geruestet zu sein.

Mit der dadurch geschaffenen Moeglichkeit, eine Anwenderoberflaeche fuer Arbeitsplaetze derart zu erweitern, dass sie vom einfachen Schreibtischrechner bis zum unternehmensweiten Server stringent einsetzbar ist, entspricht sicherlich den Forderungen von Usern und Administratoren nach einfacher Bedienbarkeit. Ob dies allein ausreicht, um Windows auch auf der Server-Ebene zum Erfolg zu fuehren, ist heute noch nicht abzusehen, da erst mit den grossen Installationen der eigentliche Praxistest beginnt und Windows NT Advanced Server dann seine Faehigkeiten unter Beweis stellen muss.

Ein Vergleich der verschiedenen NOS-Systeme ist jedoch bereits heute aus mehreren Perspektiven moeglich. Neben der Anzahl der verfuegbaren Funktionen stehen beim Netzeinsatz andere Kriterien im Vordergrund. Waren frueher Fragen wie die Performance oder technische Maximalwerte bei der Auswahl der Server-Software bestimmend, so entscheiden heute Punkte wie Administrierbarkeit, Skalierbarkeit und Offenheit der Architektur ueber Erfolg oder Fall eines Netz-Betriebssystems. Erschwerend kommt fuer neue NOS hinzu, dass nahezu alle Grossunternehmen vor der Situation stehen, im Alltag gewachsene Strukturen und Inselinstallationen vorzufinden. Hieraus resultieren in der Regel hohe Administrationskosten und eine ineffiziente Nutzung der Kommunikationsmoeglichkeiten. So wundert es nicht, dass die Netzverwalter weniger heterogene Kommunikationswunder fordern, sondern solide Migrationspfade wollen.

Mit dem Server-Betriebssystem NT, das die Administration eines Corporate Networks mittels Maus erlaubt, hat Microsoft den ersten Schritt getan, um Bill Gates? Vision der "Information at your fingertips" nun auch im Bereich der NOS zu plazieren. Ueber Windows-Applikationen lassen sich Konfigurationen, Protokolle, Dienste und Adapterauswahl ebenso einstellen wie die Verwaltung der Anwender, Ressourcen und Rechte. Selbst die Installation von Microsofts High-end-Server gestaltet sich im Stil des Herstellers denkbar einfach.

Interaktive Menues bis zur lauffaehigen Erstinstallation sind nahezu ohne Aenderungen gegenueber der Basisversion von NT vorhanden. Eine Windows-Gruppe "Verwaltung" mit erweiterten Applikationen ist nach der ersten Installation neben dem Schriftzug beim Systemstart der einzige visuelle Unterschied zur Workstation-Version von New Technology. Beim Aufruf der Applikation "Benutzer-Manager fuer Domaenen" erhaelt der Netzverantwortliche ein Fenster, in dem in der oberen Haelfte die eingetragenen Anwender und darunter vordefinierte Anwendergruppen erscheinen. Diese erlauben es, Benutzern unterschiedliche Verwaltungsaufgaben wie Druckerkontrolle oder Datensicherung zu uebergeben. Eine Teilung in globale und lokale Gruppen laesst ferner die Vergabe unterschiedlicher Rechte entweder fuer die Arbeitsgruppe (Domain) oder das gesamte Netzwerk zu.

Die generelle Verwaltung von Domains als eine Gruppe, bestehend aus Servern und Arbeitsplaetzen, gibt den Administratoren die Moeglichkeit, ganze Netze anstelle von einzelnen Servern zu steuern. Ergaenzend zu diesem vom "Vorgaenger" LAN Manager uebernommenen Dienst beinhaltet der Advanced Server ein "Trusted-Domain-Konzept", mit dem bestimmte Anwender- oder gruppenbezogene Rechte aus einer bereits installierten Arbeitsgruppe uebernommen werden koennen oder die Weitergabe eigener Rechte an eine andere Gruppe realisierbar ist. Das Problem, einen Anwender auf mehreren Domains zu pflegen, entfaellt hiermit.

Mit Blick auf den Netware-Markt, bietet Microsofts Server-System selbstverstaendlich aehnliche Features wie Novell. Hierzu zaehlen das User-Management mit einstellbaren Zugriffszeiten, die Aenderung von Passworten in zeitliche Abschnitte sowie eine Historie der Passworte, um sicherzustellen, dass das Kennwort sich nicht fortlaufend wiederholt. Darueber hinaus setzt Microsoft mit der angekuendigten C2 Security neue Massstaebe fuer die Netzlandschaft. Das Sicherheitskriterium wird mit grosser Wahrscheinlichkeit bei oeffentlichen Institutionen mit hohen Sicherheitsanspruechen eine grosse Rolle spielen. Der Vorteil von Novell, die einzigartige Datensicherheit auf der Server-Maschine entfaellt jetzt fuer die rote Konkurrenz. Mit dem in NT vorhandenen New Technology File System (NTFS) und der Architektur der Server-Maschine ist auch hier kein unerlaubter Datenzugriff moeglich. Letztlich stellt NT damit das gesamte Konzept der dedizierten Server bei Netware in Frage.

Weitere Vergleiche zwischen dem System des Applikations- Marktfuehrers und dem des Netzwerk-Leaders Novell zeigen in erster Linie Unterschiede in der Systemarchitektur. Auch mit Netware 4.0 setzt Novell weiterhin auf die dynamische Bereitstellung von Diensten als NLMs (Netware Loadable Modules).

Zur Kommunikation mit anderen Systemen sind von Novell und Drittanbietern NLMs fuer die Einbindung von Macintosh-Rechnern ueber Appletalk, Unix-Arbeitsplaetzen ueber NFS und TCP/IP sowie OSI- Systemen mit FTAM erhaeltlich. Ohne das Angebot von Drittherstellern bietet Microsoft schon im Basisprodukt die Einbindung von Macintosh, den Anschluss von entfernten Arbeitsplaetzen ueber Modemstrecken und die Wahl der Protokolle Netbeui, TCP/IP und DLC fuer Services sowie File- und Print- Funktionen. Die im Novell-Produkt enthaltenen Netware-Directory- Services erlauben eine Kommunikation der Server und der Accounts mit aehnlichem Ergebnis wie das Domain-Konzept und die Trusted Domains des Advanced Servers von Microsoft. Vorteil bei Netware ist die Verwaltung der Ressourcen ueber X.500-Namensvergaben. Anwender koennen hiermit Ressourcen vom Netz, anstelle von Servern aus starten und auf diese Daten zugreifen. Eine im Netz auf allen Servern gleich gehaltene Datenbank mit der Zuordnung von Daten und Ressourcen zu Objekten erlaubt diese Vorgehensweise. Ein deutlicher Vorteil von Novell, der allerdings nur in einer homogenen Netware-4.0-Landschaft zum Tragen kommt.

Mit der Moeglichkeit, einen Service auf unterschiedlichen Protokollen bereitzustellen, bietet der Advanced Server bei der Einbindung in existierende Systeme deutliche Vorteile. Microsofts TDI-Interface liefert die Voraussetzungen fuer die protokollunabhaengigen Dienste. Zum Beispiel koennen Named Pipes fuer die Kommunikation von Client-Server-Applikationen sowohl auf den LAN Protokollen Netbeui, TCP/IP oder DLC als auch auf dem fuer die asynchrone Verbindung genutzten Protokoll Asybeui Daten miteinander austauschen.

So kann der Administrator eines NT-Servers sich ohne Restriktionen fuer das Protokoll entscheiden, das der vorhandenen Infrastruktur des Netzes am besten gerecht wird. Novell hingegen basiert bei den Basisfunktionen auf festgelegten Strukturen unter IPX/SPX oder OSI. Weitere Vergleiche der beiden Netz- Betriebssysteme von Novell und Microsoft zeigen, dass beide Architekturen die wichtigsten Aufgaben eines NOS meistern. Nur in wenigen Punkten hat eines der Systeme dem anderen k.o.-Kriterien voraus.

Die Entscheidung des Anwenders haengt wohl von anderen Faktoren ab. Fuer Microsoft spricht, dass schon in der Betaphase eine deutsche Version verfuegbar ist. Allerdings wird die Mehrzahl der Benutzer wohl kaum aufgrund einiger Vorteile ein bereits bewaehrtes Netware-System abloesen. So scheint ein Parallelbetrieb beider Netzwerke mit der Verteilung der Dienste auf Novell und Microsoft eher wahrscheinlich. Nachteilig ist dabei aber der damit verbundene erhoehte Administrationsaufwand. So gibt es derzeit fuer die Netzverwaltung noch keine Schnittstellen zwischen den beiden Systemen. Mit dem Erscheinen von Hermes duerften Microsofts Chancen im Markt der NOS deutlich steigen, da dieses Tool, abgestimmt auf die NT-Plattform, Aufgaben wie Netzwerkueberwachung, Softwaredistribution und Lizenzverwaltung uebernimmt und die K.o. - Kriterien der eigenen Plattform beseitigt.

*Eckhard Klockhaus ist Mitgruender des Unternehmens DV-Management & Beratung und hat sich auf den Bereich Corporate Networks spezialisiert.

Mit Windows NT und Windows NT Advanced Server baut Microsoft die Windows-Familie nach oben weiter aus und will nun auch in den Bereich der Netz-Server vordringen