Max-Planck-Gesellschaft stellt die Auswirkungen der neuen Tele-Dienste zur Diskussion:

Widerstand gegen Monopolansprüche der Post

22.02.1980

BONN - Unterschiedliche Strukturen von EG-Land zu EG-Land, Interessengegensätze im Innern - ohne Konflikte wird die Frage, wieweit Postmonopole und -aktivitäten ausgedehnt werden dürfen oder sollen, wohl kaum zu klären sein: denn mit dem Aufkommen der neuen Kommunikationsdienste geht es um viel Geld - und um Privilegien. Erstmals hatten Wissenschaftler zu einem breiten Meinungsaustausch über dieses brisante Thema gerufen. Das Hamburger Max-Planck-lnstitut für ausländisches und internationales Privatrecht (und hier insbesondere Professor Dr. Ernst-Joachim Mestmäcker, bis Ende 1978 Vorsitzender der Monopol-Kommission) veranstaltete am 12. und 13. Februar im Bonner Wissenschaftszentrum ein Symposium "Kommunikation ohne Monopole - über Legitimation und Grenzen des Fernmeldemonopols".

Angesichts des regen Interesses, auf das diese Tagung stieß, mochte man im Bundeswirtschaftsministerium nur ungern zurückstehen. Man habe, äußerte sich Ministerialrat Dieter Wolf, die Wissenschaftler zu diesem Kongreß nachhaltig ermuntert. Zum Zuhörerkreis gehörten Vertreter der mittelständischen Wirtschaft, der Großindustrie, aus Verbänden, Exekutive und Wissenschaft. Die Rednerliste umfaßte prominente Namen aus dem In- und Ausland, darunter auch Gastredner von der anderen Seite des Atlantiks, die über die postalische Situation in den USA und Kanada berichteten.

Die Zielrichtung aller Erwägungen hatten die Veranstalter in ihrer Einladung zum Symposium vorgegeben: "Infolge neuer technischer Entwicklungen in der Telekommunikation wächst dem Fernmeldemonopol eine Bedeutung zu, die bei der Verabschiedung des Fernmeldeanlagengesetzes im Jahre 1928 nicht vorhersehbar war."

Ministerialrat Gerhard Kanzow vom Bundespostministerium versuchte, die Post etwas aus der Schußlinie herauszunehmen. "Die technischen Möglichkeiten sind da; was nicht da ist, ist eine abgeschlossene Meinungsbildung", meinte er mit Blickrichtung auf die politischen Instanzen und versicherte, wenn ein Bedarf vorliege, werde die Post auch handeln. Kanzow, der den Tagungsteilnehmern einen Abriß über neue Kommunikationstechniken im Fernmeldesystem der Bundespost bot, äußerte beispielsweise folgende Ansichten:

Um ein Nachrichtennetz optimal betreiben zu können, ist eine intime Kenntnis auch der NachrichtenqueIlen und -sender erforderlich.

Der an ein Endgerät zu stellende Anforderungsrahmen muß auf einer globalen Fernmelde-"analogen"-Betrachtungsweise aufbauen.

Flächendeckendes Kabelfernsehen ist wegen des notwendigen Neuaufbaus einer Infrastruktur erst in zehn bis 15 Jahren denkbar.

Über das Bildfernsprechen wird ebenfalls erst Ende der 80er Jahre zu reden sein. (Man erwartet hier vornehmlich privaten Bedarf.)

Gegen Ende dieses Jahrhunderts werden Hybridgeräte zur wahlweisen Ausgabe von Teletex oder Telefax zur Verfügung stehen.

Einen Alleinanbieter Bundespost wird es im Endgerätemarkt nicht geben.

Oligopol-Verkrustung

Professor Dr. Carl Christian v. Weizsäcker, Universität Bonn, untersuchte das Fernmeldemonopol hinsichtlich seiner industriewirtschaftlichen Bedeutung und wirtschaftspolitischen Begründung.

Hauptaussagen:

Ein quasi natürliches Monopol der Post im Fernmeldebereich wird in den meisten Ländern wegen angeblich oder tatsächlich gegebener "economies of scale" akzeptiert.

Konkurrenz ("Rosinenpickerei") greift überall dort Platz, wo die Preise keinen Bezug zu den Kosten haben. Vokabeln wie Tarifeinheit und Gemeinwirtschaftlichkeit verschleiern nur einen Monopolsachverhalt.

Die Zulassung von Endgeräten darf ausschließlich an technische Kriterien geknüpft werden. Es muß Privatunternehmern erlaubt sein, Netzleistungen weiterzuverkaufen.

Eingehend beschäftigte sich v. Weizsäcker mit der Frage, ob die Post als Mitbewerber im Bereich der Endgeräte auftreten könne/solle. Gegen ein solches Engagement spreche

- das Subsidiaritätsprinzip (der Staat wird nur tätig, wo die Privatwirtschaft keine Leistung erbringt),

- der Startvorteil der Post als Netzbetreiber,

- die Gefahr einer Dumping-Politik durch die Post und - die Tatsache, daß die Post Zulassungsinstanz (FTZ) und damit Schiedsrichter sei.

Dafür spreche andererseits

- daß die neuen Kommunikationsdienste ein Vorhaben mit Infrastrukturcharakter darstellen,

- die Erhaltung der Wahlmöglichkeit "Alles aus einer Hand",

- daß Erfahrungen auf diesem Sektor für die Post nützlich oder gar notwendig seien,

- daß dadurch ein Wettbewerbszuwachs in einer "Oligopol-Verkrustung" erreicht werde,

- daß die Post einspringen können müsse, wenn die Industrie inaktiv sei.

Allein die Existenz derart vieler Argumente belege schon - so v. Weizsäcker - daß Extremlösungen jeglicher Art hier unangebracht seien. Den Umstand, daß die Post aus ihrem Wissen als Netzbetreiber, Geräteanbieter etc. sogenannte Verbundvorteile ("economies of scope") ziehe, wertete v. Weizsäcker als ausschlaggebend für ein vorläufiges Pro; doch werde der Wettbewerb aufdecken, ob die vermuteten Vorteile tatsächlich existieren. Als Realisierungsmodell schlug er eine generelle Zulassung vor, die mit einer Mißbrauchsaufsicht zu koppeln sei, wie sie von privaten marktbeherrschenden Unternehmen her bekannt ist. Weizsäcker forderte eine klare Trennung der Regulierungs- und der Unternehmensfunktion der Bundespost.

Daseinsvorsorge restriktiv auszulegen

"Die Selbstverständlichkeit, mit der die Post ihr Fernmeldemonopol immer wieder ausgeweitet hat, war fast schon Ausdruck ihres Selbstverständnisses geworden", kritisierte Professor Dr. Peter Lerche von der Universität München, ehemals KtK-Mitglied. Lerches Aufhänger waren zwei Postminister-Zitate, die das Fernmeldemonopol zum verfassungsrechtlich en bloc abgesicherten Stützpfeiler der Post hochstilisiert hatten. Lerche bestritt die Existenz verfassungsrechtlicher Instrumente, die zur Behandlung einer derart komplexen Thematik wie der modernen Kommunikation ausreichten und stellte generell fest: "Das Verfassungsrecht sträubt sich gegen die Annahme von Gesamt-verantwortlichkeiten."

Verfassungsrechtliche Grundlage der Post sei aIlein die "notwendige Daseinsvorsorge", ein Begriff mit restriktiven Implikationen, dessen Inhalte im Einzelfall der Gesetzgeber zu definieren habe. Der oft zu hörende Hinweis der Post auf ihre zweite, ihre unternehmerische Seite gaukle eine Symmetrie vor, die es nicht gebe. Radikalkuren sind bei der Bewältigung der anstehenden Fragen nicht angezeigt, meinte Lerche und empfahl, alternative Netzträgerschaften - vor allem bei Breitband-Kommunikationsdiensten - oder auch partielle "lnpflichtnahmen" kommunaler oder privater Netzträger in Betracht zu ziehen.

Die Fernmelde-Rechtsgrundlagen werden auch in den anderen weslichen Ländern immer fragwürdiger, sagte Professor Mestmäcker und wies warnend auf eine lautlose Monopolausdehnung auf alle neuen Übertragungstechniken hin. Mestmäcker wandte sich dagegen, daß es in das Belieben der Post gestellt sei, in einen Markt einzusteigen, ihn wieder zu verlassen oder ihn auch ganz für sich zu okkupieren. Das für fernmelde-technischen Bedarf geltende Prinzip der Einheitstechnik schließe Alternativen aus und schaffe, sofern Patente vorlägen, einen Monopolverbund zwischen Post und privatem Produzenten (von Mestmäcker empfohlenes Gegenmittel: Zwangslizensierungen) .

Economies of Leverage

Weitere von Mestmäcker kritisierte Tatbestände waren

- der strukturelle Konflikt, in dem sich die Post als Hoheitsträger einerseits und als Marktteilnehmer andererseits befinde,

- die von der Post reklamierte "Breitbandhoheit"; diese gehe aus der Fernmeldeordnung nicht hervor,

- die Illiberalität, wie sie etwa im Nebenstellengeschäft der Bundespost zum Ausdruck komme (Stichwort: "Anschlußerklärung").

Auch "economies of scope" könnten keine Rechtfertigung für eine Verquickung monopolistischer und unternehmerischer Aktivitäten der Post liefern, grenzte Mestmäcker sich gegen die Ansicht v. Weizsäckers ab. Eine derartige Betrachtungsweise rücke die monopolistischen Vorteile und ihre Hebelwirkungen in ein zu positives Licht. Die richtige Bezeichnung dafür sei: economies of leverage. Weizsäcker nahm an der anschließenden Diskussion Teile seiner Aussage zurück und näherte sich in seiner Gesamtbeurteilung der Ansicht Mestmäckers.

An konkreten Maßnahmen schlug Mestmäcker vor

- Öffnung des gesamten Marktes für private Anbieter von Teilnehmereinrichtungen,

- Bildung rechtlich selbständiger, privatwirtschaftlicher Tochtergesellschaften der Bundespost für die einzelnen Kommunikationsdienste,

- frühzeitige Veröffentlichung bindender Entwicklungs- und Investitionspläne der Bundespost.

Keuschheit ja, aber erst später

Alle Postverwaltungen in den EG-Staaten haben Dienstleistungsmonopole - in verschiedenen Ausprägungen, berichtete Dr. Aurelio Pappalardo, Direktor bei der EG-Kommission in Brüssel. Durchgängig in allen Ländern der EG gebe es das Problem der bevorzugten Berücksichtigung nationaler Hersteller. Die Bewußtseinslage lasse sich am besten mit dem Wort des Augustinus umreißen: "Gott, mach´ mich keusch, aber noch nicht." Pappalardo bemängelte des Fehlen expliziter Entscheidungen der Kommission oder des Europäischen Gerichtshofs zum Thema Postmonopole.

Bei der Interpretation der geltenden Bestimmungen der Römischen Verträge und der Rechtssprechnung des Europäischen Gerichtshofs kam Pappalardo zu dem Resultat, Dienstleistungsmonopole fielen zwar nicht unter die Wettbewerbsvorschriften, da sie nicht als Ware oder Erzeugnis anzusehen seien, dies gelte aber nicht fur Aktivitäten im Bereich der Endgeräte - einschließlich der Zulassungspraxis.

Zum Abschluß der zweitägigen Veranstaltung äußerten sich Vertreter von gesellschaftlich relevanten Gruppen und Institutionen zum behandelten Themenkreis und stellten Fragen aus der Zuhörerschaft. Staatssekretär Dr. Otto Schlecht vom Bundeswirtschaftsministerium erwartet aufgrund der neuen Medien und Kommunikations-techniken weitreichende gesellschaftliche und wirtschaftliche Auswirkungen, die es durch eindeutige politische Entscheidungen zu kanalisieren gelte. So komme es für die kommunikationstechnische Industrie (Exportanteil 40 Prozent) darauf an, unangemessene Investitionsstaus zu verhindern.

Wettbewerb bei Endgeräten

Schlecht bezifferte die Investitionssumme allein für die Breitbandverkabelung auf 50 bis 60 Milliarden Mark. Beim Aufbau des Mediensystems gehe es darum, Konzentration soweit wie möglich zu vermeiden und die fernmeldetechnische Kompetenz der Post nicht für unternehmens-, wirtschafts- oder medienpolitische Ziele zu mißbrauchen. Schlecht sprach sich für eine Netzträgerschaft der Post in der Fläche aus - auch aufgrund des angeblich vorhandenen "natürlichen" Monopols -, plädierte bei den Endgeräten aber für Wettbewerb sowohl im Angebot als auch im Wartungsdienst. Nach seiner Ansicht ist dem Subsidiaritätsprinzip so viel wie nur möglich der Vorrang einzuräumen, sind die Grenzen der neuen Postaktivitäten "im Prinzip eher eng" zu setzen.

Das von der Post gelegentlich zu hörende Argument, der Eintritt in den Endgerätemarkt sei erforderlich, um den Postlern auch in Zukunft eine Beschäftigungsmöglichkeit bieten zu können, wies Schlecht zurück. Hier handele es sich allenfalls um ein Problem der längerfristigen Gestaltung der Einstellungspolitik; um echte Entlassungen aber könne es dort gehen, wo keine unkündbaren öffentlich Bediensteten arbeiten.

Professor Dr. Kurt Hans Biedenkopf, der sich "hauptsächlich in der Eigenschaft als Parlamentarier" zu Wort meldete, stellte fest, auch der öffentliche Monopolist bekomme nach und nach ein schlechtes Gewissen. Zwar sicherte er der Post zu, sie habe in der Mitte des neuen Kommunikationsmarktes ihren Platz; auf die selbstgestellte Frage "Wer definiert die Grenzen der Post?" aber hatte Biedenkopf keine abschließende Antwort. Von großer Bedeutung ist es nach Ansicht Biedenkopfs auch, ein Konzept dafür zu finden, wie man zu einer "offenen" technischen Entwicklung kommen, wie man der Erprobung und Bewährung neuer Verfahren eine faire Chance einräumen kann. Bremsende Wirkungen dürften vom Monopol hier keinesfalls ausgehen.

Ähnlich wie Staatssekretär Schlecht wandte sich auch Biedenkopf gegen das "Beschäftigten-Argument". Was die Ausdehnung der Aktivitäten der Bundespost betrifft, so kommt aus der Sicht Biedenkopfs stets nur eine privatwirtschaftlich strukturierte, niemals eine hoheitliche Lösung in Betracht. Monopol-Ausdehnungstendenzen erteilte er eine klare Absage.

Telefonat ist Briefersatz

"Es wird zuviel von Wettbewerb geredet", erklärte Ernst Breit, Vorsitzender der Deutschen Postgewerkschaft, und verwies darauf, daß die Verfassung über das vielzitierte Subsidiaritätsprinzip nichts, wohl aber die Forderung nach Gemeinwirtschaftlichkeit der Bundespost enthalte. Diesen systematischen Ansatz verteidigte Breit ("Tarifeinheit im Raum muß erhalten bleiben.") und postulierte, der Post stehe der Gesamtmarkt wenigstens so weit zu, daß sie ihre gemeinwirtschaftlichen Aufgaben erfüllen könne.

Breit räumte ein, die Bundespost sei kein Arbeitsplatzbeschaffungsinstitut; jedoch lägen nicht hier die Probleme, sondern da, wo akute Gefahr der Rosinenpickerei bestünde, vor allem auf dem Gebiet der Breitbandnetze. Um durch Einnahmeverluste an dieser Stelle nicht die gesamte Finanzstruktur der Post entscheidend zu schwächen, sei eine ausschließliche Netzträgerschaft der Post erforderlich, die durch zusätzliche Aktivitäten im Endgerätesektor zu ergänzen sei. Breit zeigte sich davon überzeugt, daß die Öffentlichkeit die bereits eingetretenen Ausweitungen des Postmonopols begrüßt habe und weiterhin gutheiße.

Die offene Diskussion vor großem Forum sei, so leitete Staatssekretär Dietrich Elias vom Bundespostministerium seinen Beitrag ein, nur aufgrund der "gläsernen Taschen" möglich, die die Bundespost nun einmal habe ("Wie wird das aussehen, wenn wir uns, wie hier vorgeschlagen, erst in viele privatwirtschaftliche Töchter aufgespaltet haben werden?"). Elias monierte, die Themenstellung des Symposiums sei verfehlt; denn die Post sei einem homogenen Körperorgan vergleichbar, und an diesem solle nun ungerechtfertigterweise herumoperiert werden.

Die vielfache Verknüpfung von Post und Fernmeldewesen verlangt nach Elias´ Auffassung eine globale Betrachtung der Dinge.