Registrieren und austauschen von Werknormteilen auf CAD-Basis:

Werknormteile als Variantenprogramme definieren

12.05.1989

MÜNCHEN - Das Thema, Werknorm- und Zulieferteile mit einem CAD-System zu erfassen und diese zwischen Rechnern verschiedener Hersteller auszutauschen, steht bei Produktionsunternehmen hoch im Kurs. Über mögliche Verfahren. deren Vor- und Nachteile sowie über ein Entwicklungs-Softwarepaket berichten Joachim Figura und Karin Horn*.

In dem Maße, wie CAD/CAM überall in der Industrie ein effektives Design- und Produktionswerkzeug wird, wächst der Bedarf, Daten zwischen Zweigwerken oder Zulieferern, die ein anderes CAD/CAM-System haben, auszutauschen.

Ein besonderes Interesse haben hieran Produktionsfirmen für Werk- und Zukaufteile, wie Hersteller von Spannelementen, Zylindern oder Kugellagern. Gelingt es ihnen, ihren Kunden anstatt der meist kiloschweren Papierkataloge ein CAD-gerecht aufbereitetes EDV-Band mit ihren Werkteilen zur Verfügung zu stellen, so können sie sich damit einen Marktvorteil ausrechnen. Nicht nur, daß dem Kunden viel Zeit beim Erstellen der Zeichnungen erspart wird, es entfällt Routinearbeit Konstruktionsfehler werden vermieden, und nicht zuletzt läßt sich bei geeigneter Integration der Daten automatisch eine Stückliste mit Kundennummer und Bestellnummer aller Werkteile generieren.

Bevor ein Datenaustausch zwischen CAD-Systemen vorgenommen wird, sollte geklärt werden, ob die Teile nicht auf reiner Datenbasis ausgetauscht werden können. Hiermit ist gemeint, daß Geometriebefehle wie Linien und Kreisbogen mit festen Koordinaten und Parametern zwischen zwei Systemen ausgetauscht werden. Schnittstellen wie IGES haben sich dafür bewährt. Fast jeder Hersteller hat sie in seinem Angebot. Nachteilig wirkt sich jedoch aus, daß geometrisch gleiche, in der Größe jedoch unterschiedliche Teile im Ursprungs-CAD-System erzeugt und in den Zielsystemen verwaltet werden müssen. Die Übertragung größerer Datenmengen ist daher problematisch.

Um die Datenflut zu minimieren, ist es sinnvoll, die Geometrie variabel zu beschreiben und die festen Koordinaten und Parameter dem Ziel-CAD-System zuzuordnen. Es gibt viele und auch bewährte Ansätze in diese Richtung. Einige CAD-Hersteller bieten Verfahren an, Werkteile mit dem CAD-System zu konstruieren und zu bemaßen. Die Maße selbst werden nicht festgelegt, sondern durch Variable ersetzt. Im Gegensatz zum reinen Datenaustausch brauchen hier nur die relevanten, geometriebeschreibenden Daten in Tabellenform abgespeichert werden.

Für ein Variantenteil müssen nur zwei Dateien ausgetauscht werden: die geometriebeschreibende Parameterdatei (Definition, Programm) und die Datei der zulässigen Werte für die Variablen in Form von Normtabellen oder Sachmerkmallisten Nachteilig wirkt sich dabei die Systemgebundenheit dieses Verfahrens aus. Es können also nur Daten zwischen gleichen CAD-Systemen ausgetauscht werden. Die Methode versagt auch bei sehr aufwendigen Teilen oder Funktionsvarianten. Damit sind Bauteile gemeint, die ihre geometrische Form mit der Größe verändern. Solche Teile können Spannplatten mit zusätzlichen Bohrungen ab einer bestimmten Größe sein. Auch hier haben einige Hersteller mit systemeigenen Variantensprachen vorgesorgt. Entscheidet man sich für diese Methode, so ist der Aufwand gegenüber parameterisch beschriebenen Zeichnungen höher. Der oben beschriebene Nachteil der Systemabhängigkeit bleibt weiterhin gültig.

Die meisten CAD-Systeme verfügen heute über Fortran-Schnittstellen. Die Systemabhängigkeit wird jedoch mit einer Folge von Nachteilen erkauft. Die wesentlichen seien im folgenden erwähnt:

- Es bedarf Spezialisten, die die Normteile professionell programmieren können.

- Der Zeitaufwand erhöht sich gegenüber der vorher beschriebenen Methoden erheblich.

- Reibungsverluste durch die Kommunikation der Fachabteilungen mit dem Spezialisten.

- Programmtests mit Quell-CAD-System sind sehr zeit- und kostenintensiv.

- Die Anpassung der Fortranprogramme an die Ziel-CAD-Systeme ist aufgrund deren Komplexität oft problematisch.

- Durch die verschiedenartige Nutzung von Ein-/Ausgabemedien wie grafischer oder alphanumerischer Bildschirme, Tabletft und Funktionstastaturen ergibt sich die Schwierigkeit eines systemabhängigen Dialogs zur Beschreibung des zu erzeugenden Teils.

Systemunabhängigkeit bedeutet jedoch, daß ein größerer Markt angesprochen wird und letztlich die Erfolgsaussichten eines Unternehmens steigen. Wird heute nicht ein Unternehmer durch den Wettbewerb gezwungen, seine Produkte auf dem Markt CAD-unabhängig, aber CAD-gerecht anzubieten? Unterstellen wir dies, so kann ein Anwender nur durch ein vernünftiges Konzept Werknormteilprogramme kostengünstig und zeitsparend erstellen. Der typische Ablauf eines Normteilprogramms ist folgender: Der Benutzer wird menügesteuert auf das zu erstellende Normteil hingeführt, wählt aus einer oder mehreren Dateien die zu einer Größe gehörenden Zwangsparameter aus und gibt gegebenenfalls zusätzliche Parameter ein. Das Programm erzeugt unter Zuhilfenahme von Berechnungsmodulen die Geometrie und gibt sie an das CAD-System weiter.

Die in Punkt 1-5 genannten Nachteile können durch ein vernünftiges Konzept drastisch gemindert, wenn nicht sogar gegenüber den vorher genannten Methoden aufgehoben werden. Die in Punkt sechs beschriebenen Probleme sind schwieriger zu lösen, da zum einen ein Nutzer den CAD-systemspezifischen Dialogkomfort auch in den Anwendungsprogrammen wiederfinden will und zum anderen hat jeder Benutzer seine eigenen Vorstellungen von der Einbindung eines Normteils. Möglichkeiten der Aufwandreduzierung bestehen, sollen aber hier nicht weiter behandelt werden.

Die in Punkt 1 bis 5 genannten Nachteile sind dagegen leichter anzugehen, nicht zuletzt deswegen, weil die Lösungen zu dem Problem in den Schichten anzusiedeln sind, die für den Nutzer sowieso nicht sichtbar sind. Die Lösung kann nur so aussehen: Gewährleistung einer standardisierten Definitions(sprache), die Anwender leicht erlernen können. Die Normteildefinitionssprache muß interpretierend vom CAD-System verarbeitet werden können, um Tests zu erleichtern. Sie muß aber andererseits so konzipiert sein, daß in der Anwendungsphase die Teile auch schnell genug mit dem CAD-System erzeugt werden können. Außerdem müssen die Anschlüsse zu den gängigen Ziel-CAD-Systemen möglichst einfach gestaltet werden, so daß eine Einbindung problemlos möglich ist.

Bauteile als Variantenprogramme

Eine Software für die Erstellung von Variantenprogrammen zu entwickeln, die all diesen Forderungen gerecht wird, hatten sich Entwickler der CISS technische Infosysteme GmbH zur Aufgabe gemacht. Ziel der Entwicklung des VIP-Paketes (Varianten Interpretativ Parametrisieren) war es, geometrische Sachverhalte in Form von einfachen und verständlichen Befehlen niederzulegen, so daß nicht nur Programmierer und Informatiker Werkteile erfassen können, sondern auch technische Zeichner oder der Konstrukteur selbst.

Ein ganz wesentlicher Aspekt ist die Objektorientiertheit von VIP. Dabei wird beispielsweise die Geometrie eines Bauteils zu einem Ganzen zusammengefaßt. Einzelne Bauteilobjekte können wiederum zu einer neuen VIP-Objekt-Baugruppe gebündelt werden, die wiederum Teil eines komplexeren Objektes sein kann. Benutzte Variablennamen - zur numerischen Berechnung oder als Objektnamen - können beliebig lang gewählt werden. Immer wiederkehrende Berechnungen wie Schnittpunktberechnungen, Tangenten- und Kreisberechnungen werden in Befehlsmakros formuliert.

Der Zugang zu den CAD-Systemen ist über eine Fortran-Schnittstelle möglich. Aus diesem Grund ist VIP auch in Fortran geschrieben worden. Die Schnittstelle zum CAD-System selbst oder zur von CAD-Systemen umgeschrieben VDAPS ist auf das Minimum reduziert, was die Einbindung in die Vielfalt von Ziel-Systemen sehr erleichtert. Nur durch diese Konzeption ist es möglich, einen großen Anteil abzudecken. VIP bedient auch die VSAPS-Schnittstelle.

Einen weiteren Schritt zur Unabhängigkeit bedeutet die Möglichkeit, VIP- in Fortran-Code umzusetzen. Die Fortran-Programme können dann compiliert und in das Ziel-CAD System eingebunden werden. Das CISS-Paket hat einen interpretativen Teil und ermöglicht, das mit VIP definierte Teil sofort am grafischen Bildschirm sichtbar zu machen. Gegenüber Fortranprogrammen entfällt das oftmals zeitraubende Compilieren und Einbinden in das CAD-System.

Auch das Wiederhochfahren des Rechners nimmt Zeit in Anspruch. Teilweise werden für diesen Vorgang Je nach Hardware und Rechnerbelastung 20 bis 30 Minuten für einen Testlauf benötigt. Diese Zeit kann komplett gespart werden. Zieht man in Betracht, wieviele Testläufe man bei komplexen Werknormteilen braucht, so kann die Entwicklungszeit erheblich reduziert werden.