Wer sich wohlfühlt, lässt den Headhunter abblitzen

09.06.2000
Geld allein macht nicht glücklich - diese Binsenweisheit bereitet derzeit vielen Personalverantwortlichen Kopfzerbrechen. Was tun, um Mitarbeiter bei der Stange zu halten, die fast schon wöchentlich einen Anruf vom Headhunter bekommen? Bei der Antwort spielt der Chef eine Schlüsselrolle, die Gehaltserhöhung dagegen weniger.

Ein höheres Gehalt ist für jeden dritten Mitarbeiter der wichtigste Anreiz, in ein anderes Unternehmen zu wechseln. Das ergab eine Studie der Münchner Unternehmensberatung PbS AG, die Beschäftigte, aber auch Geschäftsführer und Personalleiter aus 350 mittelständischen IT-Firmen zum Thema "Mitarbeiterbindung und -motivation" befragte. Wenn es aber darum geht, warum Mitarbeiter bei ihrem Arbeitgeber bleiben, spielt das "gute Gehalt" nur noch eine Nebenrolle. Entscheidend sind das angenehme Betriebsklima (36 Prozent), die Aufstiegsmöglichkeiten (22 Prozent) sowie das interessante Arbeitsfeld in einem innovativen Unternehmen (19 Prozent).

Dieses Ergebnis war auch für die Personalverantwortlichen und Geschäftsführer, die zusammen mit der COMPUTERWOCHE und der PbS AG unter der Leitung von PbS-Chefin Swantje Vick am runden Tisch diskutierten, keine Überraschung. Im Gegenteil, alle waren sich bewusst, dass das Betriebsklima ein K.o.-Kriterium ist, das im hohen Maße von der Beziehung zu dem direkten Vorgesetzten bestimmt wird. "Wenn Mitarbeiter in Schlüsselpositionen ihre Teams nicht verantwortungsvoll führen, helfen die besten Bindungsinstrumente der Personalabteilung nicht viel", so das Fazit von Astrid Wagenbrenner, beim IT-Dienstleister GE Compunet für Organisation und Staffing zuständig. Beim Softwarehersteller Ixos AG, Grasbrunn, ist das erkannt worden. Der Anbieter von Dokumenten-Management-Lösungen investiert deutlich stärker in die Entwicklung der Führungskräfte. So werde Führung immer wieder zum Thema gemacht, betonte Birgit Geiger, Personalleiterin von Ixos. Allerdings sei es auch ein "Balanceakt, einer Führungskraft nahe zu bringen, dass sie Qualifizierung braucht". Argumentationshilfe fand Geiger in der Vergangenheit allerdings im starken Wachstum der Firma, das auch die Aufgaben und damit Anforderungen an eine Führungskraft verändere.

Die Erfahrung, dass sich schnelles Wachstum auch negativ auf die Motivation der Mitarbeiter auswirken kann, mussten die Nürnberger Remote-Access-Spezialisten der Bintec Communications AG machen. Zunächst führte der Gründer die Startup-Company, zog sich aber zurück, als die Firma zu groß wurde. "Einst blickten alle auf den Gründer, der die Strategie des Unternehmens festlegte und personifizierte. Als er sich zurückzog, blieb ein Vakuum. Darauf setzte eine riesige Fluktuation ein", erinnert sich Corinna Diederichs, seit drei Jahren Director Human Resources bei Bintec. Mittlerweile gehört die Nürnberger Firma, die am Neuen Markt notiert ist, zu denjenigen Unternehmen, die sich laut PbS-Studie eine erfolgreiche Personalpolitik zugute halten dürfen. Einen Grund für den Erfolg sieht Diederichs in der gemeinsamen Erarbeitung einer Vision. Drei Tage lang haben sich ausgewählte Mitarbeiter aus allen Bereichen der 250-Mann-Firma zusammengesetzt, um Vision, Strategie und die operative Umsetzung zu diskutieren. Schon bei dieser Auftaktveranstaltung habe sich gezeigt, welche Energie und "Kampfkraft", es mit den amerikanischen Wettbewerbern aufzunehmen, in den Mitarbeitern schlummere. "Die Treffen gehen weiter, da wir unsere endgültige Strategie immer noch nicht gefunden haben. Aber durch die Einbeziehung halten wir unsere Mitarbeiter bei der Stange", ist Diederichs überzeugt.

Das Fehlen einer Strategie ist auch für Rudolf Resch, Geschäftsführer der Berner & Mattner Systemtechnik, ein Hauptgrund, warum Mitarbeiter kündigen: "Es gibt nichts Schlimmeres als ein führungsschwaches Unternehmen, in dem keiner weiß, wo es hingehen soll. Eine starke Führung im Sinne klarer Ziele und deren konsequente Umsetzung ist für uns oberstes Gebot." Eine starke Führung schließt aber nicht aus, dass die Strategie zusammen erarbeitet wird. Darum ist Resch mit seinen 75 Mitarbeitern auf einen Berg gestiegen, um gemeinsam den künftigen Kurs abzustecken. Ähnlich wie bei Bintec wird die Einbindung der Mitarbeiter auch nicht als einmalige Angelegenheit gesehen. Im Gegenteil, Resch fordert von seinen Führungskräften, dass sie ähnlich wie Handwerksmeister jeden Tag mit ihren Mitarbeitern sprechen und sich nach deren Arbeit erkundigen: "Management by heart geht nicht per E-Mail, sondern nur im direkten Gespräch." Den Glauben an E-Mails als optimales Kommunikationsmittel mag übrigens auch Jochen Tritschler, Personaldirektor von Sun Microsystems, nicht teilen: "Wir setzen auf den persönlichen Kontakt. Die Führungsmannschaft lässt sich an den verschiedenen Standorten immer mal wieder sehen. Angesichts der Informationsflut ist E-Mail keine Alternative." Je größer und damit anonymer das Unternehmen sei, desto schwieriger sei es, den einzelnen Mitarbeiter zu erreichen.

Funktioniert das Modell der persönlichen Ansprache und Einbindung also nur in kleinen Firmen? Thomas Wünnemann, Geschäftsführer des Augsburger IT-Dienstleisters Pulicadata und zuvor Manager bei Siemens Business Service, meint nein: "Großunternehmen sind dann in ihrer Personalführung erfolgreich, wenn sie wie viele mittelständische Firmen geleitet werden. Einen Chef zum Anfassen kann es nur in Gruppen bis zu 150 Mitarbeitern geben, darüber hinaus ist Identifikation kaum möglich." Für ihn ist es entscheidend, den Leitern der Geschäftsbereiche mehr Verantwortung zu geben und sie "gnadenlos auf Unternehmertum zu trimmen". Das Schlagwort Unternehmertum findet sich oft in den langen Anforderungskatalogen wieder, in denen Firmen ihren idealen Bewerber skizzieren. Doch in den Augen Wünnemanns klaffen Anspruch und Wirklichkeit in großen Konzernen auseinander: "Hier zählen nicht die Fakten, sondern oft politische Entscheidungen oder Spezlwirtschaft." Auch Enno Jackwerth von Siemens ATD (Anlagenbau Technische Dienste) in Erlangen konstatierte, dass in Großunternehmen keine konsequente Führung eingefordert werde und dass sich Führungskräfte hinter politischen Entscheidungen verstecken könnten. Hier sei es Aufgabe der Personaler, auf die Führungskräfte einzuwirken. Dem hielt Claus Brauner, Leiter Recruiting und Retention bei Infineon, entgegen, dass man das Schlagwort Unternehmertum auch hinterfragen sollte. Brauner: "Es kann bisweilen auch kontraproduktiv sein, wenn ich am Ende ausschließlich Unternehmer in eigener Sache habe."

Während freie Aufgabengestaltung und eigenverantwortliches Arbeiten bei den Beschäftigten ganz hoch im Kurs stehen, wenn es um die Attraktivität eines Arbeitgebers geht, scheinen andere Kriterien im Zuge des anhaltenden Personalmangels in der IT-Branche an Bedeutung verloren zu haben. "Vor einigen Jahren war Arbeitsplatzsicherheit noch wichtig für die Mitarbeiter. Heute lachen uns viele Bewerber aus, wenn wir mit diesem Argument kommen", hat Sun-Personalchef Tritschler beobachtet. Auch Siemens-Mann Jackwerth ist sich bewusst, dass große Unternehmen nicht mehr nur mit dem Argument des sicheren Arbeitsplatzes werben dürfen: "Wir müssen unsere positiven Elemente wie die Chance, international tätig werden zu können oder innerhalb des Konzerns in unterschiedliche Funktionen wechseln zu können, ohne das Unternehmen verlassen zu müssen, im Wettbewerb um den Nachwuchs besser vermarkten." Mit Internet-Startups, die mit kostenlosen Obstplatten, Massageservice oder Betriebsausflügen nach Mallorca die Arbeit zum (Spaß-) Erlebnis erklären wollen, könne man sowieso nicht mithalten und müsse das auch "offen bekennen". Sun-Mann Tritschler gab zwar auch zu, dass die "Kreativität, riskantere Wege zu gehen" in größeren Unternehmen im Vergleich zu Startups eingeschränkt ist. Nichtsdestotrotz sollten die etablierten Firmen offen für Anregungen sein: "Wir müssen dokumentieren, dass wir über klassische Sozialleistungen hinaus nachdenken und den Mitarbeitern attraktive Zusatzprogamme bieten." Eine Möglichkeit sei, die Mitarbeiter beim Einkaufen übers Web zu unterstützen und ihnen zu erlauben, sich die übers Internet eingekaufte Ware direkt ins Unternehmen zu liefern lassen.

Besonders wichtig sind Zusatzleistungen, wenn es um die Einstellung von neuen Mitarbeitern geht. Diese Erfahrung hat Ixos-Personalleiterin Geiger gemacht. Im Laufe der Zeit verlören diese Extras aber an Bedeutung, da sie als Selbstverständlichkeit angesehen würden. "Zusatzleistungen sind oft nur Kompensation, sie verdecken etwas." Auch Resch von Berner und Mattner Systemtechnik ist der Ansicht, dass Personalverantwortliche sich nicht zu sehr auf schmückende Beigaben verlassen sollten: "Ich habe nichts gegen eine Obstplatte, bin aber skeptisch, wenn mit solchen Extras über das Fehlen eines grundsoliden Personal-Managements hinweggetäuscht wird."

Dass Firmen die Zugkraft ihrer Bindungsinstrumente mitunter ganz anders beurteilen als die betroffenen Mitarbeiter, zeigte auch die PbS-Studie. Bei der Frage nach den materiellen Anreizsystemen stand zwar traditionsgemäß der Firmenwagen auf der Wunschliste der Mitarbeiter ganz oben. An zweiter Stelle nannten die Befragten aber Zusatzurlaub und Sabbaticals, die wiederum nur 15 Prozent der befragten Firmen anbieten. Noch deutlicher wird die Kluft zwischen Führungskräften und Mitarbeitern, wenn es um immaterielle Bindungsinstrumente wie zum Beispiel Kommunikationsmedien im Unternehmen geht. Während die Verantwortlichen in erster Linie auf die klassischen Wege wie Betriebsversversammlungen oder E-Mail setzen und Mitarbeitergespräche als unwichtigstes von zwölf Kommunikationsmitteln ansehen, stehen regelmäßige und intensive Gespräche mit dem Vorgesetzten für die Mitarbeiter auf dem dritten Platz.

Am Runden Tisch der CW zeigten sich die Personalverantwortlichen einsichtig. Dazu Siemens-Mann Jackwerth: "Die Mitarbeitergespräche sind auch ein Mittel, um zu einem marktgerechten Einkommen zu finden. Hier ist auch der Mitarbeiter gefordert, frühzeitig ein Warnsignal zu geben, wenn er sich unterbezahlt fühlt." Auch Publicadata-Chef Wünnemann sieht darin eine Chance für die Führungskräfte, die Stimmung des einzelnen Mitarbeiters auszuloten. Habe man ein Defizit oder eine Unzufriedenheit ausgemacht, dürfe es aber nicht bei Absichtserklärungen bleiben: "Wenn in den Gesprächen schon mehr als einmal deutlich geworden ist, dass sich der Mitarbeiter in eine andere Richtung entwickeln will, ihm aber die Chance dennoch nicht eingeräumt wird, wird er das Unternehmen verlassen." Dass die Umsetzung gerade in schnell wachsenden IT-Unternehmen nicht leicht ist, betonte Infineon-Mann Brauner. Wenn sich die Mitarbeiterzahl binnen fünf Jahren verdoppelt, seien viele so stark durch das Tagesgeschäft gebunden, dass manches nicht umgesetzt werden könne, auch wenn die beste Absicht da sei. Bei GE Compunet gibt es in diesem Jahr zum ersten Mal strukturierte Mitarbeitergespräche für die gesamte Belegschaft. Bei 3500 Angestellten ist das ein ordentlicher Kraftakt für die Personalabteilung, zumal den Gesprächen auch Taten folgen sollen. "Die Ergebnisse werden auf Management-Ebene besprochen: Welche Mitarbeiter laufen wir Gefahr zu verlieren, welche Maßnahmen können wir dagegen ergreifen?" erläutert Personalfrau Alexandra Obogeanu.

Ob Mitarbeitergespräche erfolgreich verlaufen, hängt nicht zuletzt vom Verhalten der Führungskraft ab. Dazu Bintec-Personalchefin Diederichs: "Es funktioniert nur, wenn die Führungskraft erkennt, dass das Mitarbeitergespräch auch sie und das Unternehmen weiterbringt, weil es zu größerer Zufriedenheit führt." Die Personalabteilung müsse werben und auch solche Führungskräfte überzeugen, die den Sinn der Aktion nicht erkennen wollen und die nach dem Gespräch abzufassenden Beurteilungsbögen gar nicht oder nur teilweise ausgefüllt abgeben.

Einen Anspruch auf individuelle Zuwendung erheben Mitarbeiter aber nicht nur in Bezug auf die Kommunikation mit den Führungskräften. Auch bei der Bezahlung präferieren sie laut Pbs-Studie eine individuelle leistungsabhängige Entlohnung. Resch nutzt für Berner & Mattner Systemtechnik das Instrument der variablen Gehaltszahlung sehr intensiv: "Im Vertrieb liegt das Verhältnis zwischen festem und variablem Bestandteil zum Teil bei 30 zu 70. Der variable Anteil ist nach oben nicht begrenzt." In seinen Augen ist das ein wirkungsvolles Instrument, um die Mitarbeiter zu motivieren und Gehaltsspielräume zu schaffen. Zusätzlich hat die Münchner IT-Firma ein Bonussystem eingeführt, um alle Mitarbeiter am Gewinn zu beteiligen. Für Resch ist das aber noch kein Grund, sich auf diesen Errungenschaften auszuruhen: "Das reicht heute nicht mehr aus. Darum bemühen wir uns, eine Aktiengesellschaft zu werden."

Denn ohne Aktienoptionsprogramme tun sich selbst große Firmen immer schwerer, neue Mitarbeiter zu finden beziehungsweise die bestehende Mannschaft zu halten. "Aktienoptionen sind mittlerweile fast schon ein Hygienefaktor, ähnlich wie ein Firmenwagen. Dieser Trend überrollt uns an allen Standorten. Ab einem gewissen Level wird es ohne Stock-Option-Progamm zunehmend schwieriger, qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen", sagt Brauner von Infineon. Auch Diederichs von Bintec hat die Erfahrung gemacht, dass gut qualifizierte Vertriebsleute Optionen als Muss ansehen. Gleichzeitig gebe es aber auch Mitarbeiter, die sich mit diesem Thema noch nicht beschäftigt haben und statt Optionen lieber eine Gehaltserhöhung hätten. "Darauf würden wir uns aber nicht einlassen, da sich alle Mitarbeiter an Optionen als Honorierung des Arbeitseinsatzes gewöhnen sollen", betont Diederichs.

Unternehmen, die auf Aktienoptionen setzen, müssen sich aber mit einem veränderten Typus von Mitarbeitern anfreunden. So konnte auch Ixos-Frau Geiger beobachten, dass die meisten Mitarbeiter durch den Aktienbesitz risikofreudiger würden, was im Sinne des Schlagwortes "Unternehmer im Unternehmen" zunächst einmal positiv ist. Risiko kann aber auch bedeuten, dass die Hemmungen, zu kündigen, schwächer werden, besonders wenn man finanziell sowieso abgesichert ist oder die Aktienkurse so flau wie im Moment sind. Angst vor einer Kündigungswelle hat aber Geiger dennoch nicht: "Die Mitarbeiter sehen die Aktienoptionen nicht als kurzfristige Anlage, sondern als langfristige Perspektive."

Alexandra Glasl

aglasl@computerwoche.de

Abb: Die Aussicht auf einen besser bezahlten Job bringt Mitarbeiter ins Wanken. Dem können Unternehmen mit einem guten Betriebsklima entgegensteuern. Quelle: PbS AG