IT im Tourismus/E-Commerce-Trends in der Reiseindustrie

Wer die Prozesskette beherrscht, macht das Geschäft

02.03.2001
"Nur" 1,4 Prozent der in Europa verkauften Reisen wurden 1999 online gebucht. In den USA waren es immerhin schon drei Prozent der Pauschalreisen. Obwohl sich die Mengeder Online-Buchungen noch in Grenzen hält, hat das Netz für die Branche eine enorme Bedeutung, weil es die übergreifenden Prozesse vereinfacht. Von Dietrich Schmitt*

Die Tage sind noch kurz, das Wetter ist noch schmuddelig, aber die ersten Knospen gehen schon auf. Die Vorboten des Frühlings lassen nicht nur die Herzen der Urlauber, sondern auch die der Touristikbranche höher schlagen.

Die Reiselustigen beginnen wieder mit vollen Urlaubskonten, Sonnenziele statt Skipisten ins Auge zu fassen. Die Urlaubsplanung lässt die Strände in eine virtuelle Nähe rücken.

Früher holte der Verbraucher sich im Reisebüro Kataloge oder ließ sich direkt vor Ort beraten und von perlweißen Prospektstränden an türkisblaue Lagunen locken. Aber bunte Bilder auf Hochglanzpapier gehören der Vergangenheit an. Heute greifen immer mehr zur Maus und klicken sich durch die weite Welt des Internet, surfen zuerst virtuell in Südseebuchten und genießen den Blick von der Zugspitze vorab durch eine Webcam. Gebucht und bezahlt wird dann direkt im Netz. Das Mietauto für die Fahrt durch die Lavalandschaft auf Fuerteventura ist im Online-Angebot direkt zu buchen.

Fachleute unterschiedlicher Disziplinen bestätigen diesen Trend: Das Internet habe enorme Vorteile im Hinblick auf Aktualität, Individualisierbarkeit des Angebotes und Bequemlichkeit. Kataloge seien immer zu alt, bildeten nur einzelne Bereiche ab, könnten niemals so "vollständig" sein, wie es das Internet suggeriert.

Kein Zweifel: Das Internet verändert die Touristikbranche. Die klassischen Pauschalanbieter stehen unter erheblichem Druck, ihren Platz auch online zu behaupten. 1999 wurden in Europa für 800 Millionen Dollar Reisen per Internet verkauft, das entspricht zirka 1,4 Prozent des Gesamtreisemarktes. In den USA wurden im gleichen Zeitraum bereits drei Prozent der Reisen online gebucht. Die Tendenz ist stark steigend. Bis zu 20 Prozent der gesamten Konsumausgaben entfallen jährlich auf touristische Angebote. Langfristig wird der Besitz einer virtuellen Kundenschnittstelle über den Erfolg entscheiden. Auch die angebotenen Produkte unterliegen einem Wandel. Es gibt zum Beispiel online längst Restplatzbörsen, die manchem Lastminute-Bucher interessante Preisvorteile gewähren.

Durch die Möglichkeiten umfassender Information und bequemer Handhabung von zu Hause aus bietet das Internet deutliche Vorteile für den Kunden. Es gibt aber auch für die Anbieter von Ferienhotels, Erlebnistouren, Flügen etc. wichtige Gründe, ihr Internet-Angebot zu entwickeln und auszuweiten. Hotels, Fluggesellschaften und Autoverleiher vermeiden über den direkten Verkauf im Internet die Vermittlungsprovisionen für die Reisebüros und bauen direkten Kontakt zum Kunden auf. Die unflexible und umständliche Katalogproduktion kann reduziert werden und manchmal sogar entfallen; die Angebote werden in das Netz gestellt und dort idealerweise tagesaktuell gepflegt.

Die Anbieter von Einzelleistungen konkurrieren heute mit Pauschalreiseanbietern, Offline-Reisebüros und einer Vielzahl von virtuellen Anbietern wie www.lastminute.de, expedia und ebookers. Diese haben schneller als die traditionellen Unternehmen den Online-Markt besetzt und führen die Rangliste der Travelsites in Europa an. Dabei entsteht eine Vielzahl von Kooperationen und Fusionen, auch abhängig von der für die Branche neuen "Untreue" ihrer traditionellen Kunden.

Vier Trends zeichnen sich abZum einen bauen die Anbieter von Einzelleistungen massiv mit eigenen Websites den Kontakt zum Kunden auf und wollen ihn mit Verbreiterung des Angebots halten. Ein Beispiel hierfür ist die Homepage von e-Sixt. Ursprünglich war Sixt ein reiner Mietwagenanbieter. Mittlerweile können hier Neu-, Gebrauchtwagen und Leasingfahrzeuge angefragt werden, ein Internet-Zugang erworben und das virtuelle Reisebüro aufgesucht werden. Lastminute-Flüge sind ebenso im Angebot wie ein Reiseversicherungspaket. Über eine Kooperation mit der Lufthansa eröffnen sich Flugverbindungen rund um die Welt. Inzwischen können Sonder- und Linientarife von 37 Airlines weltweit genutzt werden. Angebote für Endkunden sind die eine Seite der Medaille. Die andere ist B-to-B; in diesem Bereich kann zum Beispiel Fuhrpark-Management realisiert werden. Sogar Homepages können gestaltet werden. Ein bunter Strauß rund um die Kernkompetenz also. Über die Kundendaten, die der Anbieter so gewinnt, werden fortlaufend neue Möglichkeiten des Produktportfolios geprüft und zum Teil verwirklicht. Wenn der nächste Schritt das Angebot von Hotelzimmern sein wird, so kann e-Sixt auch die Funktion eines Online-Reisebüros erfüllen.

Der Erfolg liegt bei dem, der die gesamte Prozesskette beherrscht. Dabei spielt es letztlich keine Rolle, von welchem Punkt er ausgeht, wichtig ist nur, alle Angebote über Kooperationen oder über die Erweiterung des eigenen Produktportfolios verbrauchergerecht zu gewährleisten. Der einstige Autovermieter macht das recht geschickt. Der letzte Schritt dürfte hier nicht weit entfernt sein.

Hotels für Geschäftsreisende haben bereits seit einigen Jahren ihre eigenen Buchungsseiten im Internet. Accor-Hotels (www.accor.com) bieten auf ihrer Seite neben der Buchung von Hotelbetten die Möglichkeit zur Mietwagenreservierung über Europcar. Werden auch Flüge zur Auswahl gestellt, ist das Angebot komplett. Neu ist die Online-Präsenz von Leisure-Hotels, die bisher den größten Teil ihres Zimmerkontingents an Reiseveranstalter verkauft haben und nun den direkten Vertriebskanal aufbauen. Beispiele hierfür sind www.mallorcahotelguide.com oder die Buchungs-Site der Hotelkette SolMelia. Mit diesen Aktivitäten erschließen sich die Hotels eine eigene direkte Kundenverbindung, die sie anschließend für Marketing-Aktivitäten nutzen können. Sie lösen sich aus der Abhängigkeit der Reiseveranstalter.

Die Endkundenbeziehung ausbauenEin weiterer Trend ist darin zu erkennen, dass ehemals ausschließliche Systembetreiber wie zum Beispiel Fluggesellschaften ihre Technikkompetenz nutzen und die Anbindung einer hohen Zahl von Reisebausteinen zum Aufbau einer direkten Endkundenbeziehung betreiben. Galileo, Amadeus und Sabre/Travelocity bieten die Möglichkeit der Direktbuchung und lasten damit die eigenen weltweiten Buchungssysteme aus. Auf diese Weise kompensieren sie die sinkenden Provisionen aus Reisebürobuchungen. Sabre verfolgt mit Travelocity eine breite Kooperationspolitik im Business-to-Consumer-Bereich (B-to-C) und bietet seinen Service auf großen Portalen an (Yahoo!, AOL, Excite, Netscape etc.). Auf der anderen Seite wird der Business-to-Business-Anteil (B-to-B) durch Kooperationen mit Anbietern von Unternehmenssoftware erweitert. Sabre baut mit Ariba einen Marktplatz für die Reiseindustrie auf und gab Anfang Dezember die Kooperation mit www.skyfish.com zur Erstellung eines weiteren B-to-B-Marktplatzes für Beschaffungsgüter und Dienstleistungen in der Reise- und Luftfahrtindustrie bekannt.

Doch eines hemmt die Branche zur Zeit: Die Angebote sind zu fragmentiert, jeder versucht, direkt an den Kunden zu kommen. Über Zusammenarbeit lässt sich die Prozesskette kontrollieren und viel mehr Wert generieren. Hier werden die großen Anbieter, wenn sie ihr Säckel geschnürt haben, sicher eine marktbeherrschende Position gewinnen.

Attraktive ZusatzleistungenVirtuelle Reisebüros binden den Kunden über ein breites Angebot und attraktive Zusatzleistungen, die sie sich über Kooperationen sichern. Das ist der dritte wichtige Trend. Trip.com und Expedia.com gehören in diese Kategorie. Bonusprogramme, Flighttracker (www.tiss.com) und virtuelle Aufbewahrung von Reisedokumenten erweitern das Angebot von Flügen, Mietwagen und Hotels. Damit kann gegenüber dem Kunden der Preisnachteil ausgeglichen werden, den die Reisevermittler aufgrund der Systemgebühren haben. Langfristig werden in diesem Segment jedoch nur die großen Anbieter wie www.tui.de bestehen können, die in IT-Infrastruktur und große Kooperationen investieren.

Andere, last, but not least, machen sich die Veränderungen in dieser Branche natürlich zu Nutze und werden zu einem Beschleuniger von Kooperationen, Zusammenschlüssen und Übernahmen. Zugangsprovider beziehungsweise große Portale nutzen Reisen als zusätzlichen Content und kooperieren mit Reiseanbietern.

Strategisches BenchmarkingAllen Modellen ist eines gemeinsam: Sie haben den direkten Kontakt zum Kunden im Visier. Konsequenz dieser Entwicklung ist ein immer härterer Wettbewerb auf dem Online-Reisemarkt. Jeder Anbieter ist auf eine exakte Bestimmung seiner Stärken und Schwächen angewiesen, wenn er bestehen will. Gerade die Unübersichtlichkeit des Marktumfeldes macht ein strategisches Benchmarking unerlässlich.

Fazit: Im Grunde ist das Szenario einfach. Man muss Pakete schnüren und diese modular veränderlich gestalten. So ergeben sich individualisierte Angebote für einzelne Kunden mit Parkhausplatz am Flughafen und Flug sowie der richtigen Hotelbuchung zum Event, Kulturprogramm oder was immer der Kunde wünscht.

Ein erfolgreicher erster Schritt ist die systematische Beobachtung des Online-Wettbewerbs und die Installation einer Wettbewerberdatenbank. Dabei sollten auch Unternehmen entfernter Wertschöpfungsketten betrachtet werden, sofern sie über eine logische Verbindung zur Kern-Wertschöpfungskette verfügen. Eine solche "Wertschöpfungsmatrix" kann als Grundlage für eine Identifikation von so genannten "Hot Spots" dienen. Diese "Hot Spots" sind Wertschöpfungsstufen, auf denen besonders viele Unternehmen aktiv sind oder besonders innovative Wettbewerber existieren.

Ebenso können mit der Wertschöpfungsmatrix Möglichkeiten zur Kooperation erkannt werden und sich neue Business-Modelle herausbilden. Unternehmen können dann das am besten geeignete Geschäftsmodell auswählen beziehungsweise anpassen, ein Konzept für das eigene Internet-Engagement entwickeln und die Implementierung starten.

Für die Touristikbranche bietet sich das Internet deswegen geradezu ideal an, weil es keine Logistikkette gibt, die aufwändig aufgebaut werden muss. Wer aus der Branche glaubt, auf E-Business verzichten zu können, wird schon bald vom Markt verschwunden sein.

*Dietrich Schmitt ist Partner bei der Deloitte Consulting in Frankfurt am Main