Wenn die Byte-Beißer schmollen

11.02.1977

Der Computer ist ein starkes Stück. Er fährt mit Brass, aber lärmlos durch die Dateien, produziert weder Abgase noch sonstigen Umweltschmutz, erfreut das Auge durch formästhetisches Styling- und befreit den Menschen von Mühsal, Murks und Monotonie. Alle Welt lobt die Laufzeit und Leistung des listenreichen Lösungsautomaten. Alle Leute lieben den Rechner.

Denkste. Eine nicht geringe Zahl von Zeitgenossen empfinden auch heute noch Unmut im Umgang mit dem praktischen Prozessor. Vielen ist der Gedanke an die EDV zuwider. Sie träumen davon, unbemerkt in ein Rechenzentrum einzudringen, dortselbst mit einem Kraftmagneten die Bytes von den Bändern zu saugen oder mit Hilfe von zehn Liter Super einen flammenden Protest zu entzünden. Indes: Aktiver Datenschutz und die hohen Benzinpreise hasten sie davon ab. Außerdem neigen die - meist sensiblen - Systemgegner ohnehin nicht zur Gewalttätigkeit. Es gibt zudem elegantere Methoden, seinen Rochus auf den arroganten Roboter auszutoben, als da sind:

Verhohnepipelung - "Infolge eines Computerfehlers verfügen wir zur Zeit über 3000 Autokarten von New Jersey, in denen die Ortsnamen und Straßennumern aus einem armenischen Städtekatalog eingedrückt sind. Verkauf der gesamten Auflage gegen Höchstgebot." So lautete eine Anzeige in der amerikanischen Saturday Review. An anderer Stelle wurden 16 000 chinesische Wundertüten offeriert; sie waren versehentlich mit Verhatlensregeln bei Luftangriffen bedruckt worden. Ein Witzbold wollte per Inserat 2000 Linksabbiegerschilder verramschen, bei denen der Pfeil nach rechts zeigte (computerbedingter Ausschuß).

Input-Sabotage - In England - wo sonst? - gibt es einen Verein zur Bekämpfung des EDV-Unwesens. Die Mitglieder verpflichten sich, jeden Computer nach Kräften meschugge zu machen, durch teuflische Tricks mit den Eingabe-Belegen (bewußt unstimmige Überweisungen; manipulierte Magnetschrift-Formulare, bei deren Erfassung jeder Belegleser durchdreht und ähnliche Scherze).

Streik - Im vergangenen November traten die Redakteure von Associated Press und Agence France Presse für einige Tage in den Ausstand, um gegen die überstürzte und offenbar schlecht vorbereitete Computerisierung ihrer Arbeitsplätze zu protestierten. Die Zeitungsleute schalteten ihre neuen Bildschirme erst gar nicht ein.

Während die beiden ersten Fälle ins Gebiet der infantilen Trotzreaktionen gehören - typische Verhaltensmuster von Unaufgeklärten, die miese Programmierung mit mickriger Hardware gleichsetzen und, "Schuld" suchen, wo es allenfalls Ursachen gibt -, weist der dritte Punkt auf einen ernst zu nehmenden Tatbestand hin: Den Journalisten ging und geht es nicht um die Demonstration einer grundsätzlichen Anti-Attitüde - sie fühlten sich vielmehr von den ausgefuchsten Informatikern überfahren, als man ihnen zumutete, mit einemmal im computerconformen Dialog zu redigieren, ohne zuvor einen ausreichenden Anpassungsprozeß an die (ungewohnte) technische Bedienung erlebt zu haben.

Der Konflikt ist symptomatisch für die unnötige Verprellung datentechnischer Novizen, die, durch negative Erfahrung eingesäuert, hinfort in puncto elektronischer Innovation auf Kontra-Kurs schalten. Sie finden sich unvermittelt in die Internationale der Byte-Beißer integriert, wo sie gar nicht hinge hören und zur Erregung öffentlicher Heiterkeit nicht einmal viel beitragen können. Die Gefahr einer solchen Gesinnungsfixierung ist um so größer, je mehr Arbeitsplätze entweder ganz wegrationalisiert werden oder plötzlich am ausgestreckten Arm eines Zentralrechners hängen.

Niemandem kann jedoch an einer Polarisierung gelegen sein, denn der EDV-Fortschritt ist unteilbar. Darum seien die Berufsinformatiker aller Marktpositionen daran erinnert, daß sie ein Image zu polieren haben, das sich permanent in anderen Umständen befindet. Zwar wurde das einstige Un-Bild vom "Elektronengehirn" spätestens Anfang der siebziger Jahre erfolgreich gelöscht, doch deswegen schlägt verbreitete Laienskepsis noch lange nicht in Euphorie um. Nur ein behutsames Hinführen, das zugegebenermaßen gar nicht dem überschnellen technologischen Entwicklungsrhythmus entspricht, kann latentes Mißtrauen und randständiges Byte-Beißertum langsam auflösen - was dann andererseits auch wieder schade ist, denn vom Erfindungsreichtum des schmollenden Untergrunds können professionelle Abwehrkanonen - die Datenschutzbeauftragten zum Beispiel manchmal noch was lernen: für die umgekehrte Anwendung, versteht sich.