Euro-Betriebsraete kritisieren Unternehmer

Weniger Personal und geringere Kosten sind keine Allheilmittel

22.10.1993

NIZZA (hk) - Verlaengerung der Arbeitszeit, Zunahme befristeter Vertraege und verschlechterte Weiterbildungsmoeglichkeiten, wenn es um den Einsatz neuer Techniken geht - so schaetzten Betriebsraete aus der DV-Industrie auf einem europaeischen Gewerkschaftskongress die aktuellen Tendenzen in der Branche ein.

Zwischen Palermo und Stockholm haben sich die Arbeitsbedingungen fuer Datenverarbeiter verschlechtert. Arbeitnehmervertreter aus ueber 20 Laendern stellten unter anderem fest, dass in nicht tarifgebundenen Betrieben Arbeitszeiten von ueber 50 Stunden immer mehr die Regel werden. Ferner gingen vor allem kleinere Softwarefirmen dazu ueber, befristete Arbeitsvertraege nur fuer die Dauer eines Projektes abzuschliessen. Sehr beliebt sei auch das Outsourcing, etwa in der Form, dass Unternehmen die Mitarbeiter als Selbstaendige weiterbeschaeftigten.

Am Beispiel der IBM-Segmentierung erlaeuterte der Duesseldorfer Betriebsratsvorsitzende Wilfried Glissmann die Auswirkungen fuer die Mitarbeiter seines Unternehmens. Die Firmenleitung wolle mit der Aufteilung des Unternehmens in autonome Einheiten schneller auf den Markt reagieren. Der Betrieb muesse auch ein Spiegelbild des Marktes sein, so die Argumentation des Managements. "Die Folge wird sein, dass sich die autonomen Teile unterschiedlich entwickeln", so Glissmanns Einschaetzung. "Einige Mitarbeiter werden das Glueck haben, gut zu verdienen, andere wiederum muessen damit rechnen, dass ihr Bereich geschlossen wird", macht Glissmann die Konsequenzen klar.

Er hat den Verdacht, dass die Verantwortlichen in den Fuehrungsetagen in ihrem Ueberlebenskampf nur die Themen Kostenreduktion und Personalabbau beherrschen, aber kein Rezept haben, "die Arbeit so zu organisieren, dass das Unternehmen auf die schnellen Veraenderungen des Marktes flexibel reagiert".

Und weil der Mensch noch immer das Flexibelste in einem Unternehmen sei, sollten die Mitarbeiter mehr Autonomie erhalten, waehrend sich die Fuehrungsmannschaft nur auf die Rahmenbedingungen festlegen sollte. Der Betriebsratschef zweifelt allerdings, ob ein Management, das jahrzehntelang nur Befehlsempfaenger der US- Zentrale war, die aktuellen Herausforderungen meistert.

Waehrend die meisten europaeischen Betriebsraete und Gewerkschafter ueber eine aktuelle Situationsbeschreibung noch nicht weit hinaus sind, konnte die daenische Arbeitnehmervertretung fuer DV- Spezialisten SAM-Data ein konkretes Programm zur Unterstuetzung ihrer Mitglieder vorstellen. Die Gewerkschaft kuemmert sich um jeden arbeitslos gewordenen Computerprofi, indem sie ein umfassendes Schulungsprogramm durchfuehrt. SAM-Data-Vertreter Nils Andersen: "Nichts ist gefaehrlicher, als die Arbeitslosen haengen zu lassen", man muesse sie vom ersten Tag an aktivieren und motivieren.

Darueber hinaus haben die Daenen eine Datenbank mit beschaeftigungslosen DV-Spezialisten eingerichtet und bemuehen sich in Absprache mit den Arbeitsaemtern um die Vermittlung der Kollegen ohne Jobs. "Die Gewerkschaft muss sich zum Dienstleister entwickeln", fordert Andersen, und "pragmatische Wege gehen", ergaenzte ein oesterreichischer Kollege. Eine staendige Reduzierung der Arbeitszeit, worauf die deutschen Gewerkschafter so stolz sind, bringe wenig, wenn der Arbeitsplatz gefaehrdet sei.

Die Diskussionen zeigten, dass die Probleme in jedem Land sehr aehnlich sind, dass es indes noch ein weiter Weg ist, gemeinsame Projekte durchzufuehren.