Masse statt Klasse oder:

Weniger Messen sind mehr

19.10.1984

Nicht nur die Zahl regionaler DV-Ausstellungen wächst. Gleichermaßen verstärkt sich auch das Lamento von Anwendern und Anbietern über Produkt-Aufklärung im Markt, die not tut, aber auf Veranstaltungen bestimmter Couleur hoffnungslos hinter Tanzglitter und Comic-Show zurückbleibt. Die Marketender im Windschatten sahnen ab. Ein Messeboom mit dem Computerboom? So fragt Prokuristin Susanne Molter von l.M.C.S., Langenfeld, und Vertriebsdirektor Rainer Liebich, NCR in Augsburg, ergänzt diesen Eindruck lakonisch: Masse statt Klasse. Dabeisein ist alles, scheint zumindest für Anwender das falsche Messe-Motto, so Unternehmensberaterin Christina Ament-Rambow aus Ottensoos; denn diese Schraube ohne Ende erweist sich als Anfang der Unseriosität. lo

Dipl.-Vw. Christina

Ament-Rambow

BTV, Beratung für Textverarbeitung und Bürokommunikation, Ottensoos

Alle Jahre wieder stöhnen Kaufinteressenten und Hersteller über das, was eigentlich Aufklärung, Information und Umsatz verschaffen sollte - über die Messen.

Was früher einmal als objektive Leistungsschau im Bereich der Bürotechnik gedacht war, verkommt immer mehr zu einem Jahrmarkt mit perfekten Verkaufsständen und reißerischer Darbietung, inklusive Tanzvorführung und Comic-Show.

Und jährlich werden es mehr Anbieter, die sich um die teuren Ausstellungsquadratmeter rangeln. Kein Wunder also, wenn diejenigen Anbieter den Verkaufserfolg erzielen, die schlau genug waren, am Messeeingang eine genaue Wegbeschreibung zum Stand auszuteilen - im Gegensatz zu jenen, deren Produkte zwar überzeugten, aber deren Stand für die Interessenten unauffindbar war.

Den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehend, wird so mancher Kunde zum Verzweiflungstäter und unterschreibt nach der zehnten Systemvorführung demjenigen Verkäufer einen Auftrag, der geschickt seine Stunde zu nutzen weiß, oder er verschiebt die Kaufentscheidung in quälerischen Selbstzweifeln.

Die Anbieter geben heute offen zu, daß ein objektiver Leistungsvergleich und eine beratende Information auf einer Büromesse nicht mehr möglich ist. Das Motto lautet: Dabeisein ist alles, und solange der Mitbewerber erscheint, ist man ebenfalls zur Ausstellung verpflichtet - eine Schraube ohne Ende.

Wenn aber nicht mehr Qualität: und Leistungsumfang des Produkts über den Verkaufserfolg entscheiden, sondern allein die Verkaufsshow, wird man geradezu zur Unseriosität herausgefordert.

So darf es auch niemanden wundern, wenn auf den Messen Leistungsdaten erfunden, pardon, angekündigt werden, die in fünf Jahren vielleicht erst einmal serienreif entwickelt und verkaufbar sind.

Doch es wäre sicher unrichtig, diese Entwicklung nur den Herstellern anzulasten. Denn wie verhält sich die Kundschaft? Vor der Messe wird erst einmal die Entscheidung in der Hoffnung vertagt auf der Messe gezielte Auswahlinformationen gewinnen zu können. Auf der Messe wird dann die Kundschaft von dem undurchsichtigen Überangebot "erschlagen" und verunsichert und braucht nach der Messe erst einmal gehörig Abstand und Zeit zur Nachbereitung. Und schon naht die nächste Messe, die man vor der endgültigen Kaufentscheidung noch unbedingt besucht haben muß.

Vielleicht wäre da der Weg zu einem neutralen, mit fundierten Marktkenntnissen versehenen Unternehmensberatung die bessere Alternative.

Rainer Liebich

Vertriebsdirektor Industrie, Großhandel, Dienstleistungen, NCR GmbH, Augsburg

Spricht man mit Kunden und Kollegen bei Mitbewerbern, so stellt man fest, daß weder Anwender noch Hersteller ein Mehr an Messen wollen. Schon heute ist es schwer, die traditionellen Marktplätze der Eitelkeiten, wie Cebit, Systems, Orgatechnik und andere Branchenausstellungen adäquat zu beschicken. Die EDV-Leiter sind bereits ratlos, wen sie zu welchem Spezialkongreß schicken sollen, und wie der Gesamtüberblick aufrechtzuerhalten ist. Da drängt sich der Verdacht auf, daß Hersteller und Anwender als Marktpartner kaum noch gefragt werden, solange eine Branche boomt. Es scheint genügend Marketender zu geben, denen es gelingt, im Windschatten ihr eigenes Geschäft mit Branchenwissen und Marktkenntnis zu machen.

Wer kann schließlich gegen zusätzliche Informationen sein? Und die Marketendereien kosten natürlich Geld. Nur auch in der EDV-Branche besteht die Gefahr des Informationsoverkill. Der Anwender kann die Kosten der Informationsbeschaffung nicht bezahlen, und viele EDV-Hersteller können es offensichtlich gleichfalls nicht.

Hier gibt es meines Erachtens nur eine Antwort: Der EDV-Markt muß kurzfristig seine Vertriebswege besser strukturieren. Händler, Softwarehäuser, Systemhäuser und Hersteller müssen gemeinsam dem Anwender klarmachen, welche Leistungen er zu welchem Preis und über welchen Vertriebsweg erhalten kann. Die heutige Situation, speziell im Mikrocomputermarkt, aber in zunehmendem Maße auch im übrigen Small-Business-Bereich, haben die Verantwortlichen verwaschen. Sicher ist es für den Anwender optimal, wenn er seine EDV-Leistungen zu Metropreisen mit dem Know-how des spezialisierten Systemhauses und der finanziellen Stärke des internationalen EDV-Herstellers beziehen kann. Hart ist jedoch der Fall in der Realität wenn die Seifenblase zerplatzt und der Anwender mit den wirklichen Installationsproblemen konfrontiert wird.

Resümee: Nicht die glitzernden Verkaufsshows in den Kathedralen des Kommerz tragen zur Aufklärung der Anwender bei, sondern solide Beratung und der fachliche Vergleich. Die Strukturierung der Vertriebswege und die klare Leistungsdefinition der einzelnen Handelsstufen sind eine weit bessere Hilfe für den Anwender bei der Lösung seiner vielfältigen Probleme als noch weitere Ausstellungen und Messen.

Oder geht es uns auch in der EDV-Branche wie in anderen Lebensbereichen: Keiner will eine negative Entwicklung, alle sind sogar dagegen. Doch die Eigendynamik eines Prozesses ist stärker und niemand weiß, wie man diese Entwicklung stoppen kann. Sollen wir etwa kapitulieren? Im Gegenteil: Wir müssen uns kräftig genug wehren, vielleicht sogar einmal gemeinsam.

Susanne Molter

Prokuristin I.M.C.S. Inge Molter Computer Service, Langenfeld/Rheinland

Sicherlich gibt es auf die Frage, ob weniger Messen bessere Informationen verschaffen, keine allgemeingültige Antwort. Es ist aber doch in der Tat so, daß viele Fachmessen auf unterschiedlichen Plätzen innerhalb des Jahres das gleiche Informationsangebot, nur anders verpackt, anbieten.

Wir bilden ein Team von 20 Mitarbeitern und sind als Softwarehaus und Computerzubehörlieferant vorwiegend für mittelständische Unternehmen tätig. Der Besuch von Fachmessen ist für uns daher eine dringende Notwendigkeit.

In diesem Jahr besuchte ich eine Computermesse im rheinländischen Raum, bei der man aus der Werbung entnehmen konnte, daß es sich um eine für alle Interessierten im Kleincomputerbereich kompetente Ausstellung handeln würde.

Wenn man nicht gerade Schüler, Lehrer oder Computerfreak war, konnte man diese Messe in einer Viertelstunde abhaken.

Man gewinnt aus solchen und ähnlichen Erfahrungen allmählich den Eindruck, daß jede Halle, die sich eventuell dafür eignet, als Messestandort genutzt werden soll. Ein Messeboom mit dem Computerboom?

Für einen bestimmten Personenkreis sind diese Ausstellungen sicherlich nützlich, doch sollte der gewerbliche Anwender beziehungsweise Anbieter seine Zeit den großen Fachmessen widmen.

Mein Eindruck basiert auf der Erfahrung, die auf regionalen Messen gewonnen wurde.

Wenn regionale Messen allerdings mit dem notwendigen Know-how und kompetenten Ausstellern durchgeführt werden, bin ich schon der Meinung, daß diese Veranstaltungen neben den bewährten Messen ihren berechtigten Platz finden können.

Diese Messe sehe ich allerdings nicht als Alternative zur Orgatechnik oder Hannover Messe, sondern als Ergänzung für den regionalen Bereich.