Durchbruch bis in zwei Jahren erwartet

Web-Services ante portas

26.07.2002
MÜNCHEN (js) - Web-Sevices haben in der IT-Praxis noch eine untergeordnete Bedeutung. Obwohl seit einiger Zeit kaum ein anderes Thema so viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist das Interesse an der praktischen Umsetzung bisher verhalten.

Seit rund zwei Jahren gibt es Modelle, um Web-Services zu nutzen. Die zentralen Standards wie XML (Extensible Markup Language), Soap (Simple Object Access Protocol) und WSDL (Web Service Description Language) sind definiert. Die Marketing-Broschüren der Anbieter versprechen unzählige Vorteile, die sich Unternehmen damit ins Haus holen. Eine einzige standardisierte Schnittstelle für alle Arten des Datenaustauschs wird beispielsweise versprochen. Letztendlich weichen aber die Vorstellungen darüber, was ein Web-Service ist, voneinander ab. Weitgehende Einigkeit besteht nur bei den Basistechnologien.

Die unterschiedlichen Interpretationen von Web-Services und die teils divergierenden Herstellerversprechen tragen dazu bei, dass sich bei Anwendern bislang keine große Euphorie eingestellt hat. Gab es in den Zeiten des Internet-Booms noch üppig Vorschusslorbeeren für neue Technologien und hektische Projekte, ist die Haltung gegenüber Web-Services heute wesentlich nüchterner. Das bestätigt auch eine neue Studie von Cap Gemini Ernst & Young. Durch die Befragung von 170 Personen versuchte die Unternehmensberatung, ein Stimmungsbild in Sachen Web-Services zu zeichnen. 108 davon gaben an, mit dem Begriff Web-Services vertraut zu sein. Mit diesen Personen wurden die weiteren Interviews geführt. Über die Hälfte dieser Interview-Partner schätzt die Bedeutung der Web-Services als hoch ein. Allerdings glauben ebenfalls 50 Prozent der Befragten nicht daran, dass sich die Web-Servive-Hersteller jemals auf einen gemeinsamen Standard einigen können.

Die Skepsis hinsichtlich eines einheitlichen Standards hält die Anwender aber nicht davon ab, sich gezielt mit dem Thema zu befassen. Immerhin 90 Prozent der 108 Umfrageteilnehmer haben bereits erste Projekte initiiert, allerdings in einem überschaubaren Rahmen. Die Mehrheit gibt sich in der Anfangsphase mit maximal fünf Projekten zufrieden.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt ein Papier von Forrester Research. Die Analysten befragten fast 300 Unternehmen in Nordamerika. Laut dieser Studie haben erst 31 Prozent der Befragten Web-Service-Projekte konkret in die Wege geleitet. Beachtliche elf Prozent gaben an, Web-Services bereits produktiv zu nutzen.

Noch zu früh

Bei den Anwendern in Deutschland sind verschiedene Versuche im Gang. So hat zum Beispiel die Bardusch GmbH & Co. aus Ettlingen schon einen Prototypen entwickelt. Wie der Leiter des Zentralbereichs Informatik, Thomas Bröll, verrät, gibt der Pilotservice den Kunden kontrollierten Zugang zu den ERP (Enterprise Resource Planning)-Systemen des Unternehmens. Allerdings fand der Web-Service bislang keine ausreichende Kundenakzeptanz, aus Brölls Sicht ist es dafür zu früh: "Die technischen Voraussetzungen fehlen noch." Die Entwicklung des Prototypen sei deshalb sehr schwierig und zeitaufwändig gewesen. Laut Bröll könnte das Thema Web-Services bis 2003 oder 2004 interessant werden.

Große Eile ist nach Meinung Brölls derzeit nicht nötig: "Den überzeugenden Nutzen kann ich bis jetzt noch nicht erkennen." Es fehle noch an vernünftigen Anwendungen, die über Firmengrenzen hinaus einen sinnvollen Prozessdatenfluss ermöglichten, so Bröll.

Erste Schritte auf dem Web-Service-Parkett wagte auch schon das Uniklinikum Ulm. Dessen IT-Landschaft sei SAP-zentrisch aufgebaut, erklärt IT-Leiter Franz Jobst. Mit dem neuen SAP-Kernel 6.20 haben dort die Web-Services Einzug gehalten. Die Klinik nutzt dazu die Bordmittel ihrer SAP-Lösung. Die Versuche fanden vor allem im EAI (Enterprise Application Integration)-Umfeld statt, es gebe aber noch echte Anwendung.

Nicht ohne Schwierigkeiten

Die Technik eröffne viele Möglichkeiten, erläutert Jobst. "Das, was in den Marketing-Prospekten zu lesen ist, verzerrt das Bild", schränkt er jedoch ein. Web-Services seien nicht die Lösung aller Probleme. Schwierigkeiten bereitete besonders die semantische Datenebene. Nur zehn Prozent des Aufwands beim Pilotprojekt seien auf die rein technische Arbeit entfallen.

Dabei bieten aus seiner Sicht die Web-Services technologisch keine Revolution, die Verbindung verschiedener IT-Systeme sei schon lange auch mit anderen Techniken möglich. Die Stärke im Vergleich zu den bisherigen Ansätzen liegt laut Jobst auf dem klaren und übergreifenden Grundstandard. Mit den unterschiedlichen Detaildefinitionen kann der IT-Leiter leben, zwei bis drei verschiedene Systeme am Markt seien kein Problem. Wie Bröll sieht auch Jobst den Geschäftsnutzen der Web-Services bis jetzt nur bedingt. Er kann sich jedoch prinzipiell Vorteile sowohl im EAI- als auch im SCM-Bereich vorstellen.

Den breiten Einsatz der Web-Services erwartet auch Jobst bis 2003 oder 2004. Vor allem das Engagement der SAP wird seiner Meinung nach im deutschsprachigen Raum der Technologie Vorschub leisten. Da viele Anwender mit ihren SAP-Systemen jetzt einige Basis-Tools frei Haus geliefert bekämen, rechnet er mit einer zunehmenden Zahl an Projekten.

Web-Services produktiv

Sehr früh schon fing die Bauknecht Hausgeräte GmbH in Schorndorf an, sich mit dem Thema Web-Services auseinander zu setzen. Ein neues Projekt, das den Kunden die Möglichkeiten zur Sendungsverfolgung gibt, soll in den nächsten Tagen produktiv geschaltet werden, freut sich Ralf Bäuerle, IT-Leiter Deutschland. Überhaupt sind Web-Services aus seiner Sicht eher zum Kunden hin und weniger auf interne Prozesse gerichtet: "Für uns ist das ein Tool, das man im weitesten Sinn als CRM bezeichnen könnte." Das Abrufen von Produktinformation oder auch die Ergänzung von EDI stehen bei Bauknecht im Vordergrund. Bevor jedoch Web-Services produktiv gehen konnten, musste die IT-Abteilung bei Bauknecht und der Konzernmutter Whirlpool einige Arbeit investieren: "Wir haben viel experimentiert", erläutert Bäuerle.

Obwohl er nicht am Geschäftsnutzen zweifelt, glaubt Bäuerle nicht an einen schnellen Siegeszug der Technologie. Er befürchtet, dass die Standards mit der Zeit verwässern könnten. Die nun bestehenden Lager sind seiner Meinung nach aber kein Problem. Er rechnet damit, dass es geeignete Tools zur Verbindung am Markt geben wird. Auch Bäuerle schätzt, dass der Durchbruch noch bis zum nächsten oder übernächsten Jahr auf sich warten lässt.

Aus der Sicht der Marktbeobachter sollten sich CIOs (Chief Information Officers) nun verstärkt um das Thema Web-Services kümmern. "Die CIOs werden die Web-Services ganz nach oben auf die Agenda setzen müssen", behauptet Forrester. Die Meta-Group-Analysten Valentin Sribar und Corey Ferengul sehen eine etwas niedrigere Priorität: Drei bis fünf Jahre werde der breite Einsatz noch auf sich warten lassen. Doch auch sie raten Anwendern, sich damit zu befassen.

Web-Services

Web-Services werden häufig als Paradigmenwechsel im Software-Design gesehen. Sie sollen den dynamischen und flexiblen Bau von Applikationen aus Komponenten ermöglichen. Dazu wurde ein Satz Grundstandards definiert, zum Beispiel die Beschreibungssprache XML. Das Ziel sind Programme, die unabhängig von der zugrunde liegenden Plattform und von jedem Standort aus aufgerufen werden können.

Alle namhaften Hersteller haben die volle Unterstützung der Standards angekündigt. Allerdings lassen die Definitionen Spielraum in den Details. Auch sind einige Punkte - zum Beispiel in den Bereichen Sicherheit oder Transaktions-Management - noch nicht hinreichend standardisiert. Bislang sind die Spezifikationen noch im Fluss. Um herstellerübergreifende Einigkeit zumindest für den kleinsten gemeinsamen Nenner zu gewährleisten, haben sich die meisten großen Anbieter in der Web Services Interoperability Group zusammengeschlossen.